NICOLAI Saturn-11 Raceline – Zwischenstand: von c_g
(bisher hierzu erschienene Artikel: Offizielle Vorstellung des Saturn-11, Testintro)

Kennt ihr das komische Gefühl, wenn ihr jemandem begegnet und euch ganz sicher seid, dass ihr euch schon von früher kennt, euch aber nicht mehr erinnert bei welcher Gelegenheit oder wann das war? Genau so ist es mir mit dem Saturn-11 von NICOLAI gegangen, das ich euch vor ca. 2 Wochen vorgestellt habe.

Unser Saturn-11 Testbike hat mit seinen vielen golden eloxierten Teilen einen extrem hohen „Bling-Faktor“. Wer’s etwas dezenter will hat bei NICOLAI aber vielfältige Möglichkeiten.

Dann ist es mir wieder eingefallen: Das BANSHEE Phantom! Der Blick auf dessen Geometrie- und Federwegsangaben zeigt nahezu vollkommene Übereinstimmung – nur dass das Phantom als „aggressives „Short-travel-Trailbike“ vermarktete wird und das NICOLAI Saturn-11 als „trailtaugliches Marathon-Bike“! Wie sich die Zeiten doch ändern!

Während ich mir beim nochmaligen Durchlesen meiner damaligen Fahreindrücke sehr viel wiedergefunden habe, was mir auch am Saturn aufgefallen ist, gibt es neben der Größe (das Saturn in L entspricht fast haargenau einem BANSHEE Phantom in XL!) noch einen ganz gravierenden Unterschied zwischen den beiden Bikes – das Gewicht. Während das BANSHEE insgesamt auf maximale Robustheit getrimmten ist und es so auf gut 13 kg brachte, ist das Saturn-11 dank des leichten Rahmens und der voll auf Race getrimmten Ausstattung mit knapp 11,3 kg schon eine ganz andere Gewichtsklasse. Und das spürt man natürlich, denn … das NICOLAI geht nach vorne und zwar wie!

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Jetzt aber zu den bisherigen Praxiseindrücken mit dem NICOLAI Saturn-11

Die Sitzposition ist sportlich gestreckt, genau so wie man es von einem Marathonbike erwarten würde. Alle Distanzen, ob der Abstand Lenker-Sattel, die Sattelüberhöhung und sogar die Relation von Sattel zum Tretlager fühlen sich keineswegs ungewöhnlich an. Mit dem kurzen, negativ montierten Vorbau und dem geraden Lenker liegt viel Gewicht auf der Front. Ideal für richtig Druck auf die Front in Kurven und für steile Uphills. Der steiler als übliche Sitzwinkel ist mir was die Ergonomie angeht, nie negativ aufgefallen. Andererseits bin ich von den Trailbikes auch steile Sitzwinkel gewohnt. Andere Fahrer die rein aus der XC-/Marathon-Ecke kommen, müssen sich vielleicht mehr an den steileren Sitzwinkel gewöhnen.

Das Saturn ist ein Marathonbike – man spürt man vom ersten Aufsitzen an, wie das Bike nach vorne zieht.

Wie oben schon angesprochen, fehlt es dem Saturn-11 ganz sicher nicht an Vorwärtstrieb. Mit seiner recht „normalen“ Ergonomie und der leichten Ausstattung geht es sehr flott nach vorne, setzt jeden Tritt unvermittelt in Vortrieb um. Um das zu überprüfen waren die ersten Ausfahrten auch eher durch Kilometersammeln als durch technische Trails gekennzeichnet. Dabei gab es keinen Augenblick in dem ich mir mehr Effizienz oder eine andere Sitzposition gewünscht hätte. In der Raceline Ausstattung ist das Saturn-11 ganz sicher fähig, jeden noch so großen Heißhunger nach Speed zu stillen.

In dem Zusammenhang möchte ich aber auch gleich auf das Thema Federung zu sprechen kommen. Hier zeigt sich das Saturn-11 als Marathonbike definitiv von einer komfortbetonten Seite. Es ist weit davon weg wippanfällig zu sein, aber insgesamt ist die Federung im offenen Zustand noch aktiver als beim vorher gefahrenen CUBE AMS 100 – an der Front mit der 120 mm Federgabel sowieso, aber auch am Heck. Beim Überfahren von kleineren und mittleren Hindernissen gleitet das Saturn-11 im Vergleich zu Bikes mit ähnlichem Federweg auffallend sanft über den Trail. Ich persönlich als Nicht-Racer finde das super, denn es spart Energie und schafft Sicherheit wo sie wirklich zählt, nämlich auf dem Trail. XC-Racer und Fahrer, die bei jeder Gelegenheit in den Wiegetritt gehen, können das Fahrwerk mit dem gut erreichbaren Low-Speed-Druckstufenhebel des DPS-Dämpfers aber im Nu so straff stellen, wie man es bei einem Racebike erwarten würde.
Ich selber nutze diese Einstellmöglichkeit recht viel und fahre das Saturn in beiden Modi, je nach Art der Ausfahrt und aktueller Laune. Richtig falsch machen kann man in beiden Einstellungen nichts, denn beide sind gut nutzbar – unterscheiden sich in erster Linie darin, welchen Charakter sie dem Saturn verleihen. Die sehr gute FOX Float 32 Federgabel fahre ich außer im Wiegetritt eigentlich fast immer komplett offen.

 

Was die Uphill-Eigenschaften des Saturn-11 angeht, hatte ich sehr hohe Erwartungen, schließlich ist das Ion-G13 durch seine Geolution Geometrie mit langem Heck und steilem Sitzwinkel mein absoluter Favorit, wenn es darum geht steile uns technische Anstiege sitzend ganz entspannt hochzuklettern. Zu meiner Freude fand ich meine Erwartungen auch beim Saturn erfüllt. Es setzt sich zwar nicht so extrem von den anderen Bikes ab, zählt aber klar zu den am besten kletternden Bikes, die ich kenne. Bereits mit sehr wenig Schwerpunktsverlagerung kann ich damit auch die steilsten Wurzeltrails erklettern. Wenn es grenzwertig steil ist, hilft die Plattformdämpfung das Heck zusätzlich hoch zu halten, aber in den meisten Fällen bevorzuge ich die hervorragende Traktion des aktiven Hecks um selbst schlimmste Wurzeltrails zu erklimmen.

Bisher hört sich der Bericht noch fast nach einem „normalen“ Racebike an, aber wenn wir aufs Handling zu sprechen kommen, zeigt sich sehr deutlich, dass das Saturn aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt ist. Auch wenn die Begriffe Geolution und Geometron nirgendwo in der Beschreibug des Bikes auftauchen, sind deren Einflüsse doch allgegenwärtig.

Bergab vermittelt das Saturn aufgrund seiner speziellen Geometrie extrem viel Sicherheit – viel mehr als jedes andere mir bekannte Marathonbike.

So laufruhig und sicher war ich bisher mit noch keinem Marathonbike unterwegs gewesen. Sei es über grobe Wurzeltrails oder in überschlagsgefährdeten Steilstücken, mit dem Saturn, fühlt man sich immer Herr der Lage. Die Lenkung lässt sich kaum aus der Ruhe bringen und man kommt mit bemerkenswert wenig Schwerpunktsverlagerung auf dem Bike zurecht. Ein Bike wie das Saturn-11 ist eine Offenbarung für all diejenigen Marathonfahrer, die gerne schnell und effizient unterwegs sind, technische Trails bisher aber eher gemieden haben. Für technisch versierte Fahrer dagegen gibt das Saturn ein Gefühl von Sicherheit – ich möchte fast sagen von Unbesiegbarkeit – die dazu verleitet, sich und das Bike auch dann noch mehr zu fordern, wo man mit klassischen Marathonbikes schon beginnt das Tempo zu drosseln. Mich jedenfalls hat das Saturn-11 schon mehrfach zu verleitet so zu fahren, dass insbesondere die Laufräder und Reifen schon an ihre Grenzen gekommen sind.

Das Saturn-11 wurde bisher schon sehr viel über meine üblichen wurzeligen Waldtrails bewegt … und macht mir richtig Spaß.

Womit wir auch schon bei der sehr edlen Ausstattung des Testbikes sind. NICOLAI macht keinen Hehl daraus, dass das Fokus bei der Komponentenauswahl der „Raceline“ Version beim Einsatzbereich Marathon-Race lag. Man wollte ein möglicht Marathon-taugliches und damit leichtes Bike auf die Beine stellen. Wäre die Trailtauglichkeit im Vordergrund gestanden, hätte man in manchen Bereichen wohl anders spezifiziert. Aus meiner Sicht kann ich bestätigen, dass man das angestrebte Ziel sehr gut erreicht hat. Mit den vielen leichtgewichtigen TUNE Bauteilen, den leichten Laufrädern und den schnellen Reifen ist das Saturn-11 richtig schnell, keine Frage.

Der TUNE „Turnstange“ Lenker ist von Grund auf recht flexibel …

Ein von Anfang anspannendes Bauteil war für mich der TUNE Turnstange Flatbar Lenker. Abgesehen davon, dass er für meinen Geschmack zu gerade baut (eine persönliche Vorliebe meinerseits für Lenker mit 12-16° Backsweep J) ist er mir sofort als außergewöhnlich flexibel aufgefallen. So sehr, dass ich mich schon auf der ersten Ausfahrt entschieden hatte, ihn recht bald zu tauschen.

… und gab schon bei der ersten Ausfahrt nach!

Leider bin ich gar nicht mehr dazu gekommen diesen Plan freiwillig umzusetzen, weil der Lenker mir schon am Ende der ersten Ausfahrt, auf einer (einfachen) Wurzelabfahrt abgebrochen ist (!). Ein spontaner Lenkerbruch ist keine Erfahrung, die ich jemandem wünsche, der unvermeidliche Sturz blieb aber Gott sei Dank fast ohne Folgen. Ein derartige Vorfall ist unverzeihlich und schlichtweg gefährlich – um aber nicht voreilig zu urteilen, möchte ich nichts weiter dazu sagen, ehe TUNE genug Zeit hatte den Lenker ausführlich zu inspizieren und eine technische Stellungnahme dazu abzugeben. Aufgrund dieses Vorfalls sind auf vielen Bildern gleich der SQ-LAB Super3 Lenker zu sehen, samt 411 Innerbarends.

Die Raceline Ausstattung des Saturn-11 ist genau so ausgelegt wie der Name es sagt: Schnell & leicht … Race eben!

Die leichten und schmalen TUNE/NOTUBES Crest Laufräder sind für mich ein weiteres Zugeständnis an den Einsatzbereich Marathon. Mit gerade mal 21 mm Innenweite sind die an dem Testbike verbauten Crest Felgen einfach zu schmal um den 2,2er CONTINENTAL X-King auch bei niedrigen Drücken ordentlich zu stabilisieren. Besonders deutlich wurde das als ich nach den ersten Ausfahrten die sehr flexiblen Racesport Reifen auf tubeless umgerüstet habe (was in meinem Fall sehr gut funktioniert hat. Die stattliche Gewichtsreduktion um 165 g habe ich aber damit erkauft, dass ich fortan deutlich zu hohe Reifendrücke fahren musste, damit die Reifen in Kurven nicht undefiniert ins Walken geraten. Hier könnte ich mir vorstellen mal einen anderen Laufradsatz und größere Reifen ans Bike zu schrauben. Aber dafür ist ja noch Zeit. Die TUNE King/Kong Boost Naben laufen absolut seidenweich und sauber.

  

Der WTB Hightail Pro Sattel, eigentlich ja ein DH-Sattel, hat mich am Saturn-11 dafür positiv überrascht.  Er ist auch als XC-Sattel richtig komfortabel und für meinen Geschmack voll langstreckentauglich. Beachtlich. Der SRAM X01 Eagle Antrieb mit 34er Kettenblatt ist auch hier ein Gedicht an Schaltperformance und Übersetzungsbandbreite. Auch die MAGURA MT8 Bremse funktionieren mustergültig. Die farblich abgestimmte golden eloxierte TUNE Sattelstütze arbeitet ausgezeichnet, gehört aber, trotz ihres mageren Gewichtes zu den wenig dämpfemden Sattelstützen. Dank eines sorgfältig ausgeräumten Sattelrohrs und einer hochwertigen Eloxierung, ist sie auch nach zahllosem Absenk-Vorgängen noch komplett kratzerfrei. Die geschraubte TUNE Sattelstützkelmmung habe ich schon  sehr bald gegen eine Klemmung mit Schnellspanner getauscht – auf meinen Trails wird alles andere schnell zum nervenden Ärgernis.

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Zwischenstand: Das NICOLAI Saturn-11 ist ein Bike das etablierte Grenzen überschreitet. Es hat den Vortrieb, das Gewicht und den Federweg eines Marathonbikes, aber das Handling und die Laufruhe eines Trailbikes. Bergauf wie bergab gehört das Saturn-11 damit zu den ruhigsten Racebikes die es gibt. Während die Rahmengeometrie und die aktive Federung das Saturn gleichermaßen als Marathon- und Endurance-BIke, wie auch als kurzhubiges Trailbike qualifizieren, setzt die sehr leichte Raceline Ausstattung deutliche Akzente in Richtung Marathon. Um das Potential des Bikes auch auf ruppigen, technischen Trails auszuloten, werde ich noch ein wenig mit der Ausstattung spielen, denn auch wenn es sich als Marathonbike sehr gut macht, bin ich mir sicher, dass das Saturn-11 auch noch andere Qualitäten hat ….

RIDE ON,
c_g