ORANGE Stage 6 RS – Testfazit: von MiMü (mit Eindrücken von Ch.W.)
Vier spannende Wochen dürfte ich unser knall-rotes Testbike ORANGE Stage 6 jetzt mein Eigen nennen. Während es die erste Testphase vorwiegend auf gemäßigten heimischen Trail und nur sporadisch in alpinen Gefilden verbrachte, mußte das Bike sein Potential die letzten beiden Wochen noch Mal unter verschärften Bedingungen mit sehr viel technischem Gelände unter Beweis stellen.
Wer sich ein derart fähiges 29er Enduro wie das ORANGE Stage 6 zulegt, der weiß mit Sicherheit was er on Trail erleben möchte. Seine lange, laufruhige Geometrie fordert und fördert zugleich den sportlichen Fahrer, der das Stage 6 aktiv und schnell durch den Kurvenwald bewegen will. Die satte Laufruhe vermittelt unglaublich viel Sicherheit, erfordert aber mitunter eine aktive Fahrweise bei schnellen Richtungswechseln. Dabei ist der 65,5° messende Lenkwinkel zwar flach aber für den beabsichtigten Einsatzbereich nicht zu flach gewählt. Selbst in verwinkelten Trail mit kleinen Kurvenradien empfand ich das Stage 6 nie als sperrig oder unhandlich.
Verglichen mit kompakteren Bikes fiel der benötigte Körpereinsatz dabei doch etwas höher aus. Die Quirligkeit eines (meist auch federwegsschwächeren) Trailbikes darf man dabei nicht erwarten, aber selbst in engen Kehren bin ich mit dem Bike bestens zurecht gekommen. An die anfänglich ungewohnt langen Kettenstreben habe ich im Laufe des Tests gut gewöhnt, auch hier gilt: das ORANGE-Enduro braucht einen Fahrer, der weiß was er will und der aktiv mit dem Bike arbeiten, oder besser „spielen“ kann. Dann gelingen auch Manuals problemlos, man muss den gewohnten Bewegungsablauf nur aktiver als sonst ausführen.
Felsdurchsetztes, verblocktes Gelände, also das was man unter dem Einsatzbereich Enduro gerne versteht, lies das Stage 6 während unserer Testphase richtig aufblühen. Der lange Radstand zusammen mit dem flachen Lenkwinkel sorgte für ein extrem hohes Sicherheitsgefühl, bei Highspeed wie auch in langsameren Sektionen fühlte ich mich auf dem ORANGE-Enduro extrem gut aufgehoben. Die zentrale Position auf dem Bike integriert den Fahrer optimal in das Bike und die geringe Überstandshöhe sorgt für viel Beweglichkeit in kniffligen Situationen. So bewaffnet, habe ich mich dann auch mit viel Freude in die X-Line in Saalbach-Hinterglemm gestürzt, eine 6,3 km und satte 1025 Tiefenmeter lange Freeride-Strecke … und hatte sooo viel Spaß dabei!
Gestuftes Gelände etwa überflog ich mit dem Stage 6 ohne einen zweiten Gedanken. Die Geometrie und das potente Fahrwerk verleiteten einfach zum Rasen. Besonders hat mir mir die Sensibilität des Eingelenkers gefallen. Bei etwa 30% Sag überzeugte der Hinterbau durch direktes Feedback, hat selbst kleinste Unebenheiten effektiv vom Fahrer ferngehalten ohne jee schwammig zu wirken und noch dazu bereitwillig die 150 mm Federweg bereitgestellt – einfach eine Wucht!
Aber auch die Ausstattung konnte während der vierwöchigen Testphase durchwegs überzeugen. ROCK SHOX’s Federelemente hatte ich ja schon in den Ersten Eindrücken als äußerst sensibel arbeitende Exemplare ihrer Art gelobt. Die 160 mm ROCK SHOX Lyrik Federgabel arbeitet ähnlich sensibel wie der Monarch Plus RC3 Dämpfer im Heck. Daran änderte sich bis zuletzt nichts.
SRAMs Guide Bremsanlage steckte auch die mehr als 5000 Tiefenmeter der Big 5 Runde in Sallbach Hinterglemm locker weg, selbst vorsätzliche Dauerbremsungen brachten die 203mm bzw. 180mm Scheiben nicht zum Fading. Die Druckpunkte blieben dabei stets stabil und selbst 1-Finger-Bremsen war nach mehr als 1000 Abfahrtsmetern am Stück noch problemlos möglich.
Aber was nutzt einem die beste Disc-Bremse, wenn deren Power nicht effektiv auf den Boden übertragen wird? Dafür sorgten die beiden MAXXIS-Reifen Minion DHF und Highroller II, die sich vier Wochen lang nicht von Fels, Wurzeln oder matschigen Waldtrails beeindrucken liesen. Dass der Minion DHF dabei mehr der Kurvenräuber war und sein Pendant am Heck seine Vorzüge bei der Übertragung von Brems- und Antriebstraktion zeigte, entsprach dabei exakt meiner Defintion einer idealen Enduro-Bereifung.
Dank ihrer hohen Pannenresistenz konnte ich die Vorliebe des Stage 6 für härteres Gelände stets voll genießen, die 30 mm breiten RACE FACE ARC 30 Felgen verliehen den beiden Reifen zudem viel Volumen und dadurch Komfort. Wer öfter höhenmeter-lastige Trailtouren unter die Stollen nimmt, sollte vielleicht einen rollfreudigeren Hinterreifen montieren.
SRAMs 11-fach-Komponenten-Mix aus GX-, X1- und X01-Teilen war auch weiterhin ein Musterbeispiel für Präzision und leichtgängige Gangwechsel. Trotz fehlender Kettenführung blieb die Kette auch in ruppigen Passagen immer an Ort und Stelle. X-SYNC-Kettenblatt und das mit der Roller Bearing Clutch Technologie ausgestattete X01-Schaltwerk sorgten hier für eine saubere Führung der Kette und minimien lästiges Kettenschlagen beinahe perfekt.
Anfangs ungewohnt war der 800 mm breite RENTHAL-Lenker, der nach kurzer Eingewöhnungszeit zusammen mit dem 50mm kurze HOPE-Vorbau für ein zielsicheres, direktes Handling des doch recht langen Bikes sorgte. Mit Hilfe der 150 mm Absenkung bietenden ROCK SHOX Reverb Stealth Dropper-Stütze konnte ich mich stets sehr gut im Bike bewegen, gerade in Steilstücken fühlte ich mich dadurch sicher. Extra erwähnen möchte ich an dieser Stelle noch die RENTHAL’s Ultra Tacky Lock-On Griffe, die im technischen Gelände mit enormer Griffigkeit und viel Komfort begeistern konnten. Die unzähligen kleinen Rauten bieten sehr viel Kontaktfläche, die verwendete Gummimischung hat die Beschreibung „klebrig“ absolut verdient.
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Bikepark-Sonderprüfung mit Ch.W.
Um das ORANGE Stage 6 auch auf seine Bikepark-Tauglichkeit hin zu testen, habe ich mich kurzerhand mit c_g und unserem Enduro-Tester Ch. W. am Samerberg getroffen. Unter Ch. W.’s geübter Hand konnte es dort dann beweisen, dass es sich auch bei Wallrides, Tables & Co. wohlfühlt. Hier seine Eindrücke dazu:
Das ORANGE überraschte mich in mancherlei Hinsicht. Wenn man es in die Hand nimmt, fällt einem sofort das geringe Gewicht auf – hätte ich so nicht erwartet, dass ein relativ massiv wirkendes Bike aus Aluminium der Konkurrenz aus Carbon das Wasser reichen kann. Die Sitzposition in Rahmengröße M war für meine 183 cm die nächste Überraschung, denn selbst der für mich eigentlich zu kleine Rahmen habe sich keinesfalls zu kompakt angefühlte. Um ein Rad bei der ersten Ausfahrt besser kennenzulernen, trete ich immer erst mal ein paar Höhenmeter bergauf.
Am Samerberg trifft sich das ganz gut, da ja der Lift eine gefühlte Ewigkeit braucht, bis er oben ist. Ab der Hälfte der Strecke war ich zum einen warm und zum anderen – dank des vortiebfördernden Sitzwinkels von 74,5° – noch so voller Energie, dass ich gefühlt im Cross Country Tempo nach oben stürmte. Mit schnelleren Reifen könnte ich mir das Orange durchaus auch als Trail-Tourer für eine Alpenüberquerung vorstellen. Oben angekommen blieb noch etwas Zeit, das Orange zu betrachten. Die eigenwillige Optik und das hochwertige Finish haben nicht nur meine Blicke auf das Bike gezogen; schnell fühlt man sich mit dem Bike beobachtet – im positiven Sinne.
Die ersten Abfahrten auf dem Trail vervollständigten den bisherigen positiven Eindruck. „The Red Rocket“, wich ich das Bike nenne würde, macht alles platt, was sich ihm in den Weg stellt. Klar tragen die 29er Reifen ihren Anteil dazu bei, aber auch die Geometrie und der Eingelenker-Hinterbau habne mich voll überzeugt. Stufen und Drops stellen es vor keine große Herausforderung. Der Hinterbau spricht schön sensibel an – hätte ich so nicht erwartet. Lange Einfahrphasen sind mit dem Orange Stage 6 definitiv nicht nötig.
Man fühlt sich sofort wie zuhause, dementsprechend wird der Gashahn aufgedreht bzw. die Bremse so wenig wie möglich betätigt. In der Luft liegt es schön zentral, man merkt das hier Leute am Werk waren, die auch selber fahren. Einzig ein leichtes Bremsstempeln ist spürbar, was aber bei den Verhältnissen im Bikepark mit den Bremswellen durchaus normal ist. Bei den paar Abfahrten die ich im Laufe des Tages machen durfte, lockerte sich allerdings die Dämpferbefestigungs-schraube, mir fiel das lediglich durch ein leichtes Spiel am Hinterbau auf. Da sich bei einem Eingelenker die Kraft überwiegend auf eine Stelle konzentriert, würde ich diesbezüglich auch öfter die Schrauben kontrollieren. Ansonsten würde ich als kurzes Testfazit meinerseits das Orange Stage 6 mit Chapeau beurteilen. Sehr breites Einsatzspektrum, je nach Aufbau für jeden was dabei und ganz sicher ein Bike das nicht jeder hat.
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Testfazit:
„Handbuilt in Britain“- darauf darf man bei ORANGE zu Recht stolz sein. Das Stage 6 in der getesteten RS-Version (mit einigen Upgrades) ist nicht nur optisch eine Augenweide, es kann auch auf dem Trail voll überzeugen. Der aufwendig geschweißte Aluminiumrahmen zeugt von höchster Rahmenbaukunst, die jahrelange Perfektionierung des Eingelenker-Hinterbaus resultiert in äußerst sensiblem Federungsverhalten bei gleichzeitig geringen Antriebseinflüssen. Von wegen Eingelenker seien nicht mehr zeitgemäß!
Mit seiner langen, flachen Geometrie spricht das Stage 6 den geschwindigkeitsliebenden, technisch versierten Fahrer an. Mit seinem flachem Lenkwinkel und den außergewöhnlich langer Kettenstreben ist es eine laufruhige Speedmaschine fürs Grobe, wird aber selbst in langsamen, verwinkelten Passagen nie träge. Ein für mich sehr guter Kompromiss. Das gewählte Ausstattungspaket paßt dabei wunderbar zum Bike und macht es zu einem rundum gelungenen Gesamtpaket. Zusammenfassend hat mir das Stage 6 extrem viel Spaß up- wie downhill gemacht, sein nahezu perfektes Handling verleitete mich nicht bloß einmal dazu, über meinen Vernunftschatten zu springen. Mir bleibt jetzt nur noch über Byebye zu sagen und das ORANGE Stage 6 ziehen zu lassen – oder anders ausgedrückt: It was a pleasure to meet you!
MiMü und CH.W.