ORANGE Stage 6 – Erste Eindrücke: von MiMü

„Blood red“ – welch Name für eine Rahmenfarbe! Mit dem knallig roten ORANGE Stage 6, in unserem TNI-Test ist es nicht möglich nicht aufzufallen. Aber auch was die Formgebung angeht, kann der Aluminiumrahmen mit der typischen Hinterbaukonstruktion auffallen. Schon vor der ersten Ausfahrt war mir klar: Das ORANGE Stage 6 ist kein normales Enduro, obwohl es klar auf Trail-Highspeed ausgelegt ist.

Das ORANGE Stage 6 durfte sich schon früh auf alpinen Trails bewähren …

Die Sitzposition ist leicht gestreckt, aber dennoch zentral. Der relativ steile Sitzwinkel ermöglicht eine für diese Bikekategorie bemerkenswert vortriebsorientierte Tretposition. Die tiefe Front (kurzes 100 mm Steuerrohr bei Rahmengröße M) trägt ihren Teil dazu bei. Trotz des tiefen Lenkers genießt man eine tolle Übersicht über den Trail. Die vier ab Werk unterhalb des Vorbaus montierten Spacer platzierte ich sogar noch um und erreichte dadurch eine tiefere Lenkposition für noch mehr Druck auf dem Vorderrad. Schließlich muss ein Enduro auch bergauf effektiv zu bewegen sein.

und hat nicht nur bergab richtig Spaß gemacht.

Im Uphill gefiel mir der massiv ausgeführte Eingelenker-Hinterbau durch seine hohe Ruhe bei gleichzeitig sensiblem Ansprechverhalten. Im Sitzen waren nur minimale Wippbewegungen zu erkennen. Im Wiegetritt reichte die Pedal-Einstellung des ROCK SHOX Monarch Plus RC3, um den Hinterbau ruhig zu stellen. Wer die Einstiege seiner Hometrails über Asphaltstrassen erreichen muss, wird sich über die Lockout-Funktion des Dämpfers freuen, ich empfand sie im bisherigen Testverlauf als weitgehend überflüssig.

Die den Eingelenkern nachgesagte geringe Steifigkeit ist hier definitiv nicht zu spüren, weder im harten Antritt im Tretlagerbereich noch in der Lenkpräzision. ORANGE’s aufwendige Konstruktion aus vielen zusammengeschweißten Aluminiumblechen scheint sich also auszuzahlen. Einzig limitierender Uphill-Faktor stellen lediglich die beiden MAXXIS-Reifen Minion DHF und Highroller II Reifen, die durch ihren hohen Rollwiderstand auffielen. Auf weichen Waldböden oder Fels war davon weniger zu spüren, hier änderte sich nur wenig am Vortrieb.
Für die höhenmeterhungrigen und viel Zeit im Sattel verbringenden Fahrer unter euch dürfte der SDG Bel Air 2.0 einen genaueren Blick wert sein. Er ist für meinen Geschmack selbst nach Stunden noch angenehm komfortabel, durch seine mittige Vertiefung waren Taubheitsgefühle bei mir kein Thema. Sein rundliches kantenfreies Heck sorgt für sorgenfreies Hinter-den-Sattel-gehen.

Bergab bietet das ORANGE Stage 6 viel Laufruhe und Sicherheit.

Kippt der Trail Richtung Tal, zeigt das Stage 6 sein echtes Potential. „Länge läuft“ könnte man sagen, denn mit einem Radstand von immerhin 1223 mm ist das Bike richtig lang. Der 65,5° flache Lenkwinkel begünstigt die immense Laufruhe noch zusätzlich und man ist schnell verleitet, das Gas ordentlich aufzudrehen ohne je den persönlichen Wohlfühlbereich zu verlassen.

Die ROCK SHOX Federelemente, eine Lyrik RCT3 an der Front und der Monarch Plus RC3 im Heck schaffen es speilend so gut wie alles glatt zu bügeln, was der Trail in den Weg legt. Beide Parts arbeiten dabei sehr sensibel und harmonieren nahezu perfekt. Die 160 mm Gabel steht dabei wunderbar hoch im Federweg und neigt auch in scharf angefahrenen Kurven nicht zu übermäßigem Wegtauchen. Der Monarch-Dämpfer gibt seinen Hub gefühlt sehr gleichmäßig frei. Er hat den Eingelenker dabei gut im Griff, lediglich auf heftigen Bremswellen neigt der Hinterbau etwas zum Stempeln – aber das schaffen ohnehin nur die besten Hinterbauten. Positiv bei beiden Federelementen ist die kinderleichte Einstellung – einmal Luftdruck und die effetktiv arbeitende Zugstufe eingestellt und es kann los gehen.

Auch auf technischen Trails ist das Stage 6 erstklassig. Groben Stufen …. kein Problem!

Die mit 450 mm wirklich langen Kettenstreben des Stage 6 schränkten das Handling des Bikes nur selten ein. In engen Kehren oder Kurvenkombinationen fielen sie mir im bisherigen Testverlauf nie negativ auf, verglichen mit kürzeren Bikes fährt sich das ORANGE ähnlich handlich. Vielleicht muss der eine oder andere mehr mit den Dimensionen des Stage 6 arbeiten, aber mich hat das bisher nicht gestört. Nur um das Bike sauber in den Manual zu ziehen braucht es etwas mehr Einsatz. Nach meiner Erfahrung erfordert die Kombination aus langen Kettenstreben und langem vorderen Rahmendreieck einen pro-aktiveren Bewegungsablauf von Seiten des Fahrers um das Vorderrad in die Luft zu kriegen.

Unterstützend für das präzise Kurvenhandling empfand ich den satte 800 mm breiten RENTHAL Fatbar 35, ein wahrhaft schickes Teil in matt-gold. Wer noch nie mit einem derartig breiten Lenker unterwegs war, wird sich unter Umständen an die enorme Breite gewöhnen müssen. Man muss schon mehr mit den Armen und dem Oberkörper arbeiten um das Stage 6 flüssig von einer Kurve in die andere zu werfen. Mir persönlich haben die Dimensionen des RENTHAL gut gefallen. Nicht vergessen darf man den nur 50 mm kurzen HOPE-Vorbau, der Für meinen Geschmack gsehr gut zum breiten Lenker und dem flachen Lenkwinkel passt.

Im technischen, stufigen Gelände kommen die Vorteile der modernen „long, low ’n‘ slack“ Geometrie dann voll zum Tragen. Es lastet stets genügend Gewicht auf dem Vorderrad, um eine präzise Linienwahl zu gewährleisten. Trotz der niedrigen Front kamen dabei nie Überschlagsgefühle auf. Dank der niedrigen Überstandshöhe und der Dropper Post mit guten 150 mm Hub konnte ich mich auf dem Bike optimal bewegen. Der Hinterbau geht im rauheren Terrain sensibel zu Werke, saugt sich bei schnellen Schlagabfolgen nicht im Federweg fest und zeigte auch keinerlei Tendenz durchzuschlagen. Ich muss es noch einmal erwähnen: das ROCK SHOX-Fahrwerk arbeitet wirklich sehr harmonisch.

Der MAXXIS DHF in 2,5″ Breite bieten sehr viel Kurvenführung …

Die beiden MAXXIS-Pneus sind offensichtlich für hartes, technisches Terrain gemacht. Hier laufen sie zur Höchstform auf. Beide verfügen über massive Seitenstollen, die wirklich hohe Kurvengeschwindigkeiten zulassen. Das Fahrverhalten ist dabei sehr direkt, die seitlichen Profilreihen geben viel Feedback vom Untergrund. Zusätzlich sind beim vorne montierten MINION DHF 2.5 auch die mittleren Profilblöcke längs ausgerichtet, für besseres Laufverhalten und direktes Kurvenfeeling. Beim Highroller II 2.3 hingegen hat man die Mittelstollen quer angeordnet, hier stehen Traktion und Bremskraft im Vordergrund. Obendrein scheinen die beiden schwarzen Rundlinge über guten Pannenschutz zu verfügen, bis dato verlief der Test problemlos.

… während der High Roller II am Heck für den Vortrieb sorgt.

Die RACE FACE ARC 30 Felgen mit immerhin 30 mm Innnenweite verhelfen den Reifen zu viel Volumen und damit hohem Fahrkomfort. Die hintere Felge hat allerdings schon eine kleine Delle in Folge eines Felskontakts davon getragen, jedoch ohne Höhen- oder Seitenschlag. Die tubeless-Tauglichkeit wurde durch diesen Schaden bisher nicht geschmälert. Die hochwertig gedichteten HOPE-Naben laufen leicht und spielfrei, den tapisch lauten Klang des Freilaufs muss man mögen – mir gefällt das Geknatters. Wenn wir schon das Thema Bremskraft erwähnen: SRAM’s Guide R Bremsanlage erwies sich selbst bei 1000 Nonstop-Tiefenmetern als standhaft und leicht dosierbar, der Druckpunkt ist dabei konstant, allerdings nicht der härteste. Das Fehlen einer Druckpunktverstellung empfand ich dabei als verschmerzter. SRAM’S 11-fach Schaltungskomponenten aus der GX-, X1- und X01-Gruppe lieferten erwartungsgemäß knackig-präzise Gangwechsel, die Kombination aus 30er Kettenblatt und 10-42 Kassette machte selbst längere steile Anstiege erträglich.

Das breit und kurze Cockpit fordert das Handling. Punktabzüge gibt es für die weit hinten liegenden Zugeinlässe, die zum Klappern neigen.

Nach all dem Lob für Bike und Komponenten bleiben nur zwei kleine Punkte, die mich etwas störten: ORANGE setzt die Öffnungen für die innenverlegten Leitungen relativ weit hinten am Unterrohr an, wodurch die Schaltzüge und Hydraulikleitungen von Bremse und Dropper Post in großen Bögen um das Steuerrohr geführt werden müssen. Speziell die Leitung der ROCK SHOX Reverb neigte dann bei jeder Erschütterung zum lästigen Klappern gegen die Lenkerunterseite. Weiter hinten am Bike machte sich die Kette durch heftiges Schlagen gegen die hoch angesetzte Kettenstrebe bemerkbar, was auf Dauer zu reichlich Lackabplatzern führen dürfte. Beides keine großartigen „Probleme“ und leicht zu beheben.

Bisher hat das ORANGE Stage 6 mir sehr viel Spaß gemacht. Mal sehen wie der zweite Teil des Tests verläuft.

Zwischenfazit: Ein wahrliches Spaßgerät, das ORANGE Stage 6. Mit seiner laufruhigen, aber dennoch wendigen Geometrie ist es auf Flowtrails oder schnellen Downhills ebenso zuhause wie im technisch-verblockten Gelände. Es vermittelt dem Fahrer dermaßen viel Sicherheit, dass er seine bisherigen Limits damit gerne weiterhinausschiebt – frei nach dem Motto: „Das Bike wird’s schon richten“. Das Fahrwerk des Stage 6 geht dabei äußerst sensibel zu Werke, der Eingelenker-Hinterbau wirkt sehr steif und robust. Bei ROCK SHOX’s Lyrik Gabel und dem Monarch Plus Dämpfer merkt man den Verwandschaftsgrad, so ähnlich verrichten sie ihre Arbeit. Der Rest der hochwertigen Ausstattung gibt ebenfalls keinen Grund zur Kritik und ihr dürft schon gespannt sein, was wir in der restlichen Testdauer mit dem ORANGE Stage 6 anstellen werden.

MiMü