FOX LiveValve Fahrwerk – Zwischenstand: von c_g
Selten hatte ich ein Produkt im Test, auf das ich so gespannt war, wie es sich fährt, wie das elektronische FOX LiveValve Fahrwerk. Obwohl die Rahmenbedingungen gesetzt waren und bereits im Testintro erklärt wurden, war ich doch sehr gespannt, wie die Umsetzung sich in der Praxis wirklich fahren würde.
Was kann man aus drei Beschleunigungssensoren (je ein 2-dimensionaler einer an der Gabel und am Hinterbau und ein 3-dimensionaler zentral an der Recheneinheit), einer Rechnereinheit mit Akku und zwei speziellen Federelementen mit superschnellen Solenoid-Ventil-gesteuerter Low-Speed Druckstufe noch herausholen, was anderer Federelemente nicht bereits zu leisten vermögen? Kann das Fahrwerk wirklich so schnell reagieren wie angekündigt und fährt sich das bike dann wirklich so natürlich oder ist doch irgendwo dieses digitale Fahrgefühl zu spüren. Im Grunde ist auch LiveValve nicht viel mehr als eine elektronisch gesteuerte Low-Speed-Druckstufe – wenn auch eine automatische und sagenhaft schnelle und daher ist es weniger die Hardware, als vielmehr die hinterlegte Software, die wirklich entscheidet, wie der Fahrer das System wahrnimmt. Ich habe das System nun gut 2,5 Wochen im Seinsatz und habe bereits erste wichtige Erfahrungen damit gemacht.
Das Setup der Federelemente ist schon mal genau so, wie man es von einer Float FIT4 Gabel und einem DPX2 Dämpfer kennt. SAG und Rebound einstellen … mehr gibt es fürs Erste nicht zu tun. LiveValve hat zwar noch die Möglichkeit zwischen 5 Software-Settings auszuwählen (erkennbar an 1-5 Dioden am Akku, die anzeigen, ob man komfortbetonter sportlich straff unterwegs ist – mehr dazu später), aber ich habe für die erste Zeit und zum Eingewöhnen den per Default voreingestellten Mittelweg genommen. Das Erste, was ich bei den Ausfahrten auf meinen heimischen Trails gemerkt habe, ist … nichts. LiveValve arbeitet absolut unauffällig und natürlich – fast so als wäre da keine aufwendige Elektronik am Bike, sondern ein ganz normales FOX Fahrwerk. Nur im Stillstand kann man das ganz dezente Klacken des Ventils hören, wenn es sich öffnet oder schließt.
Im ersten Wurzeltrail-Uphill, den ich gerne als Referenz für die Kletterfähigkeiten eines Bikes nutze und von dem ich mir den größten Effekt von LiveValve erhofft hatte, dann die nächste Überraschung: Das Bike SCOTT Genius klettert genauso aktiv und traktionsstark wie es soll, aber eben auch keinen Deut anders als das Scott Genius ohne Livevalve, das ich vor gut einem Jahr im Test gefahren bin. Der gelegentliche verstohlene Blick nach unten auf die Diode, die leuchtet, wann immer das System die Dämpfung öffnet, erklärt auch schnell warum: Der Trail ist so mit Wurzeln und Hindernissen gespickt, dass das Fahrwerk eigentlich ständig offen bleibt. Das ständige Stakkato der Wurzeln lässt dem Fahrwerk das je immer erst etwas zeitverzögert die Dämpfung auch wieder schließt, wohl nicht die Zeit auch nur kurz in den strafferen Plattformmodus umzuschalten. Zuerst hat mich diese Erkenntnis ein wenig enttäuscht, aber weiter oben, wo der Trail dann ein wenig ruhiger mit kleineren flacheren Stücken zwischen Wurzelstufen ist, konnte ich zum ersten Mal erkennen, dass LiveValve in der Praxis doch was kann. Während das Fahrwerk über den Wurzeln sehr sauber einfedert und die Traktion hält wie im offenen Modus, ist es schon wenig später und vollkommen unbemerkt wieder straff und effizient wie man es eben vom Plattformmodus her kennt. Kommt dann die nächste Wurzel, spürt man den nächsten Schlag wirklich nicht, den die Federung öffnet sich derart schnell wieder. Wie von Geisterhand scheint das fahrwerk zu wissen, wann ein offenes, komfortables und traktionsstarkes Fahrwerk gefordert ist und wann es straffer sein soll. Es ist wirklich beachtlich, wie schnell und unmerklich LiveValve zwischen den beiden Modi hin und herwechselt, ohne dass man es als fahrer wirklich wahrnimmt.
Überhaupt ist die unglaubliche Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit –auch nach gut 2 Wochen mit LiveValve – die für mich bei weitem die herausragendste Eigenschaft des Systems ist. Man vergisst innerhalb kürzester Zeit, was da an High-Tech unter einem werkelt. Meine echte Hochachtung an die Ingenieure von FOX für diese Leistung. Weil LiveValve sich so natürlich anfühlt und keine klar spürbaren Eigenheiten hat, hat man sich sehr schnell daran gewöhnt.
Die erste Begeisterung über das selbständig denkende Fahrwerk einmal beiseite gelegt, muss ich aber auch ganz offen gestehen, dass ich die zugeschaltete Plattformdämpfung mit der einhergehenden Effizienzsteigerung am SCOTT normalerweise viel weniger deutlicher wahrnehme, als erwartet. Beim Gegentest – also das Fahren mit abgeschaltetem LiveValve und damit dauer-offener Dämpfung (dazu genügt ein Knopfdruck auf den Akku)– habe ich zwar hin und wieder ein wenig mehr Wippen wahrgenommen, habe das Fahrerlebnis aber nie wirklich als grundlegend anders oder wirklich schlechter erlebt. Kann es sein, dass LiveValve einerseits perfekt funktioniert, aber aufgrund der Performance bestehender Fahrwerke gar nicht mehr notwendig ist – schließlich war das SCOTT Genius auch ohne LiveValve schon ein saugutes und effizientes Bike?
Die Antwort auf diese keineswegs simple Frage hat sich mir erst allmählich erschlossen: Ein Teil dessen, warum Livevalve mir nicht so deutlich spürbare Vorteile bringt, hat mehr mit mir und meiner antrainierten Fahrweise zu tun hat, als mit LiveValve selbst. Ein zum Teil unbewusster Nebeneffekt, den es mit sich bringt, wenn man so viele unterschiedliche Bikes fährt, ist, dass man sich im Laufe der Jahre eine Fahrweise angewöhnt, die sich unter anderem auch danach richtet die Fahrwerke möglichst wenig zum Wippen zu bringen – eher höhere Trittfrequenzen und einen sehr runden Tritt. Das ermöglicht es mir auch langhubige Bikes effizient bergauf zu treten, beraubt aber zugleich Livevalve einen Teil seiner eigentlichen Wirkung … schließlich muss ein ohnehin nichtwippendes Fahrwerk nicht noch zusätzlich effizienter gemacht werden. Es mag paradox sein, aber solange ich mit dem Liveavle Bike gefahren bin wie bisher, war die Wirkung eher nur gering bis mäßig spürbar, sobald ich ganz bewusst unrund getreten habe, mehr in den Wiegetritt gegangen bin, usw. hat Livevalve auf einem Schlag viel mehr Sinn für mich gemacht.
Dies wurde umso deutlicher, als ich das LiveValve-Testbike auf einen Kurzurlaub zum Lago mitgenommen habe. Hier auf zum Teil neuen Trails, auf denen ich nicht jede Wurzel und jede Kurve kenne, wo ich nicht intuitiv und zum perfekten Zeitpunkt den richtigen Gang einlege … hier habe ich umso deutlicher gespürt, wie LiveValve mir wirklich geholfen hat und zum handfesten Vorteil geworden ist. Wenn man es nicht immer schafft die optimale Trittfrequenz zu fahren, man immer wieder auch im Wiegetritt arbeiten muss um noch vorwärts zu kommen – dann spürt man, welcher Segen wirklich in dem System steckt. Kein wegsackendes Fahrwerk mehr im kurzen unerwarteten Gegenanstieg, keine verpuffende Energie wenn man sich im zu hohen Gang gerade noch über die Kuppe retten muss … das sind die Situationen, in denen LiveValve zum wirklichen Vorteil wird. Situationen, die man als Tourenfahrer oft noch verschmerzen kann, die aber bei sportlichen Fahrern oder im Rennen umso wichtiger sind.
Auch wenn ich es schon im Intro gesagt habe und damit so manche Hoffnungsvolle Erwartung im keim erstickt habe: Bergab ist LiveValve eigentlich ziemlich überflüssig. Auf allen bisher von mir gefahrenen Trails ist das System eigentlich die allermeiste Zeit offen und das Fahrwerk fährt sich dann ziemlich genau so, wie ein ganz normales sehr gutes Fahrwerk mit derart fähigen Federelementen wie dem FOX DPX Dämpfer und einer Float 36 FIT4 Federgabel … und das ist schon mal ein ziemlich großes Kompliment für ein Fahrwerk. Im Rennen könnte es von Vorteil, wenn man auf halbwegs glattem Untergrund noch beschleunigt, aber für mich war es hier quasi nicht wirklich wahrnehmbar. Was ich allerdings sagen kann ist, dass das System auch bei langen Downhills genauso präzise und zuverlässige arbeitet und auch nach über 1000 Tiefenmetern am Stück bisher keine Probleme gemacht hat. Nach gut 2 Wochen habe ich den Akku mal zwischengeladen, auch wenn die Akku-Anzeige noch 2 von 5 Punkten angezeigt hat.
Soweit zu meinen ersten Praxiseindrücken dieses High-Tech-Fahrwerks am SCOTT Genius. Das FOX LiveValve Fahrwerk verhält beachtlich natürlich und unauffällig. Was ich schon nach wenigen Tagen auf meinen gewohnten Hometrails sagen konnte, war, dass LiveValve genau das tut, was es sagt: Unmerklich, blitzschnell und sehr smart zwischen den beiden Modi (offen und Plattform hin und herschalten), aber genauso, wie ich meinen anderen Fahrwerke fast immer offen fahren kann, so war für mich LiveValve auch nie die innovative Federungsrevolution oder die große Offenbarung. Bisher finde ich das System aber eher unauffällig als Vorzüge hat und die Effizienz steigern kann, musste aber auch Feststellen, dass dies bei meiner Fahrweise und in meinem üblichen Gelände weit weniger spürbar ist, als erhofft und erwartet. Demnächst mehr zu meinen Erfahrungen mit dem LiveValve High-Tech Fahrwerk von FOX.
RIDE ON,
c_g
Sehr guter Bericht – wie immer. Vielen Dank dafür!!