EMD 2017 #10 – KTM Scarp Sonic (& KTM Prowler Prototyp): von MiMü
Ein gewisses Maß an Patriotismus hat meiner Meinung nach noch nie geschadet. Und so war es für mich als Österreicher quasi Pflicht, den KTM-Mannen aus dem oberösterreichischen Mattighofen im Rahmen der Eurobike Media Days einen Besuch abzustatten.
Zumal KTM die Präsentation ihres neuen 29er Fully Prowler (engl. Herumtreiber) für das 3-tägige Event angekündigt hatte.
Die Eckdaten des komplett neu entwickelten Vollcarbonrahmes klangen schon mal vielversprechend: 150 mm Fahrwerk, 76,5° Sitzwinkel sowie 67° Lenkwinkel und lediglich 436 mm kurze Kettenstreben. Das Prowler soll dabei aber kein Enduro im klassischen Sinn sein, KTM beschreibt es selbst als „Adventure Fully“. Ein Bike also für Biker, die gerne unbekanntes Terrain erkunden oder mal unter freiem Himmel übernachten, um dann die ersten auf dem Trail zu sein, sind genau die Zielgruppe des Prowler. Die Kombination aus steilen Sitzwinkel und niedriger Front soll es zu einem erstklassigen Kletterer machen. Das kurze Heck dient dagegen der Agilität, der flache Lenkwinkel für eine hohe Laufruhe sorgen.
Bei der Hinterbaukinematik greift KTM auf die selbst entwickelte Straight-Line-Link (kurz SLL) Technologie – ein echter Viergelenker zurück. Die Sitzstreben und der Dämpfer (bereits Metric Size) bleiben dabei über den gesamten Federwegsbereich in einer Linie (Straight-Line), wodurch ein Verkanten des Dämpferkolbens effektiv verhindert und ein feines Ansprechverhalten werden sollen. Kurz vor der Dämpferaufnahme teilt sich das Oberohr in zwei abgeflachte Streben, die dann ins Steuerrohr bzw. Unterrohr einmünden. Dadurch möchte man die beim Aufprall auf ein Hindernis entstehenden Kräfte besser auf Ober- und Unterrohr verteilen.
Für das Komplettbike gibt KTM ein Zielgewicht von knapp 12 kg an, was angesichts des niedrigen Rahmengewichts von angeblich nur 2200 g (ohne Dämpfer) durchaus realistisch erscheint.
Laut KTM entwickelte man den Rahmen rein für 29“ Laufräder, weil man die Vorteile der großen Reifen, wie besseres Abroll- und Überrollverhalten, voll nutzen wollte. Betrachtet man aber die Reifenfreiheit des Hinterbaus, dann dürften auch B+ Reifen bis 2,8“ Breite zwischen die Streben passen. Das Komplettbike wird nur mit SRAMs 1×12 Eagle-Schaltgruppe angeboten werden. Für das Topmodell Prowler Sonic 12 mit SRAM XX1 Eagle Schaltung, FOX Factory 36 Gabel und Float DPS Dämpfer, Magura MT Trail Bremsanlage sowie DT SWISS XM1501 SPLINE Laufrädern gibt KTM einen VK von 6.999.- Euro an.
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Ich brauchte also ein anderes interessantes Testbike für meine letzte EMD-Trailrunde…
Und da lief mir das ebenfalls neue KTM Scarp Sonic 12 über den Weg. Ein reinrassiges Racefully mit Vollcarbonrahmen, das 100 mm Federweg an der Front und 90 mm im Heck zu bieten hat. Auch beim Scarp vertraut KTM auf den SLL-Hinterbau, hier allerdings ohne Horst Link und mit flexenden Kettenstreben. Der massive Tretlagerbereich beheimatet ein BB30 Innenlager, am Hinterbau kommt der 148mm Boost-Standard zum Einsatz.
Ein kleines aufgeklebtes Blech soll die Kettenstrebe vor unliebsamem Kontakt mit der Kette schützen, der restliche Rahmen muss leider ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen auskommen. Dank innenverlegter Zugführung wirkt das Bike aufgeräumt, lediglich die Anlenkung des Remote-Dämpfers wird extern unterhalb des Oberrohrs geführt.
Gerade für mich als All-Mountaineer wirkte die Geometrie des Scarp Sonic etwas befremdlich: In der getesteten Rahmengröße 43 cm (17“) maß das Oberrohr effektiv lange 600 mm, der Reach betrug 433 mm, der Stack 603 mm. Dazu kommen noch 441 mm messende Kettenstreben. Beim Sitz- und Lenkwinkel ging man keine Kompromisse ein und wählte mit 74,5° bzw. 70° für viel Vorwärtsdrang und Agilität.
Bei der Ausstattung des Scarp Sonic 12 kommen nur Topkomponenten zum Einsatz: SRAM XX1 Eagle Komplettgruppe, FOX 32 Float SC Factory Gabel und Float DPS Dämpfer – beides mit Lenkerremote, Magura MT8 Bremsanlage, sowie DT SWISS XCR1200 Laufräder mit SCHWALBE Thunder Burt Evo Liteskin Addix Reifen. Die Anbauteile, wie Lenker/Vorbau und Sattelstütze, stammen von KTM selbst und sind allesamt aus Carbon gefertigt. Mit all den exklusiven Parts brachte unser Testbike dann auch nur wirklich bemerkenswerte 9,2 kg auf die Waage. Das von uns getestete Scarp Sonic 12, kommt auf 7.999.- Euro, die beiden weiteren Carbon-Modelle kommen auf 6.499.- bzw. 4.199.- Euro. Dazu gibt es vier Alu-Varianten zwischen 2.999.- und 1.999.- Euro. Nähere Details werden schon in Kürze auf der KTM-Homepage zu erwarten sein.
Aufsitzen und Loslegen war angesagt, und da ging das Scarp Sonic gleich mal ordentlich auf Geschwindigkeit. Das lange Oberrohr und der 90 mm Vorbau zwingen den Piloten in einen gestreckte, aber keineswegs unkomfortable Sitzposition. Der äußerst steife Tretlagerbereich setzt wirklich jede Pedalumdrehung in Vortrieb um, selbst im Wiegetritt konnte ich kein seitliches Ausweichen des Rahmens erkennen. Und mit meinen gut 80 kg zähle ich mit Sicherheit nicht zur Zielgruppe des Bikes! Die schnell laufenden, kaum profilierten SCHWALBE Thunderburt Reifen förderten den Vorwärtsdrang des Scarp Sonic zusätzlich.
FOX-Gabel wie Hinterbau zeigten selbst im offenen Modus nur wenig Wipptendenzen, in den wurzeligen und grobschottrigen Sektionen der Testrunde offenbarte arbeitete beides sensibel. Interessant, dass KTM den Lenker-Remote für die Federungselemente invers montiert hat: so arbeiten Federgabel und Dämpfer im eigentlichen Lockout-Modus offen, die Hebelmechanik ist dabei vorgespannt. Drückt man nun auf den kleineren Trigger-Schalter des FOX-Hebels (der eigentlich den Lockout-Mode beenden würde), dann schaltet das Fahrwerk blitzartig in den Lockout. Ideal für den Zielsprint, wo nur die Vorwärtsbewegung zählt!
Wird das Gelände technischer oder kurviger, dann zeigt sich der wendige, zielgenaue Charakter des Bikes. Der schmale Lenker (680 mm) und lange Vorbau dagegen verässerten die Präzision des Bikes aber spürbar. Sie waren ungewöhnlich flexibel. Das relativ lange Heck folgt der Front dabei unauffällig und keineswegs sperrig um die Kurven. Im steileren Downhillgelände war das KTM mit seinem steilen Lenkwinkel ganz Racebike – agil mit einem leichten Hang zur Nervosität, wenn’s mal gröber wurde. Die bereits erwähnte weiche Lenker-/Vorbaukombination verstärkte das unsichere Fahrverhalten noch zusätzlich.
Wie gewohnt auf Top-Niveau arbeitete SRAM’s XX1 Eagle Gruppe. Zackig-präzise Gangwechsel selbst unter Last machten das Hin- und Herschaltung zum Erlebnis. Dank der breit abgestuften 10-50er Kassette verlor auch das große 34er Kettenblatt schnell seinen Uphill-Schrecken. Die für mich neue MAGURA MT8-Bremsanlage mit kleinen 160mm Rotoren war unauffällig mit einer angenehmen Hebelergonomie, einem gut definierten Druckpunkt und satte Bremspower. Paßt dann obendrein noch die Blende des Bremssattels zum Rest des Bikes, freut sich auch das Auge. Trotz seines geringen Profils offentbarte SCHWALBE’s Thunderburt ordentlich Grip auf den nassen und glitschigen Wurzeln der Testrunde – selbst in den erdig-aufgeweichten Passagen war.
Nach mehr als 10 Jahren Abstinenz war es für mich eine spannende Erfahrung, wieder einmal ein Race-Fully zu fahren. Der steife, vortriebsstarke Rahmen konnte vollauf überzeugen, war dabei nicht unkomfortabel oder bockig-hart. Sein Hinterbau gab den Fedeweg von 90 mm bereitwillig und feinfühlig frei, harmonierte perfekt mit der ebenfalls sensibel ansprechenden FOX SC Gabel. Die klassische Race-Geometrie wirkt vielleicht old-school, begeisterte mich aber durch ihre hohe Treteffizienz und ein zielgenaues, direktes Lenkverhalten. Nur im technischen Downhill sollte man wissen was man tut. Die hochwertige Ausstattung verrichtete ihre Arbeit auf unserer kurzen Testrunde auffällig unauffällig, SCHWALBE’s Thunderburt bespielsweise funktionierten auf den aufgeweichten Trails besser als erwartet.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das KTM Scarp Sonic 12 den einen oder anderen Podestplatz bei international besetzten CC- und Marathonrennen einfahren wird – das Zeug dazu hat es nämlich.
MiMü