Manchmal kommt es anders: „Ein Tag mit dem 2017er NINER JET9 RDO und RIP9 RDO.“: von c_g
(Dieser Artikel ist nur teilweise ein Bericht über meine ersten Praxiserfahrugen mit zwei brandneuen NINER Bikes die wir euch erst vor kurzem vorgestellt haben. Er ist auch eine Hommage an die Unvorsehbarkeit des Testerlebens, die einen zwingt flexibel zu bleiben und und Umstände, die einen nich immer zu klaren Aussagen kommen lassen …)
Begonnen hat alles mit der Einladung des italienischen NINER Importeuers RACEWARE nach Finale Ligure um dort für einen Tag die beiden neuen Bikes der 29er Pinioniere zu fahren. Nur ein Tag? Ja, denn das NINER JET9 RDO und das NINER RIP9 RDO stand nur für einen Tag zwischen zwei Präsentationen in Spanien und Israel zur Verfügung.
Immerhin hatte ich damit als erster Tester die Gelegenheit die beiden Bikes auf echten Trails zu bewegen (Die offizielle Vorstellung in Idaho, USA war, wenn man die Pressestimmen dazu liest war zwar wunderschön, aber mit so zahmen Trails, dass sich keiner der Tester/Journalisten danach getraut hat irgendwelche wirklich substantiellen Aussagen über die Bikes zu machen.)
Also ging es sehr früh los für nur einen Tag Bikes Testen in Finale … doch der Tag sollte ein wenig anders verlaufen:
Erste Überraschung vor Ort: Ich war der einzige Journalist und Tester und wurde an dem einen Tag auch noch von einer ganzen Foto-/Video-Crew begleitet – man wollte parallel zum Test auch noch einiges an Bild-/Filmmaterial zu den Bikes sammeln. Einzig ein Fotofahrer war noch geladen um mich bei den Aufnahmen zu unterstützen. Noch dazu kam, dass beide Bikes nur Rahmengröße Medium waren und während mir die Bike in der Länge noch ganz passabel gepasst haben, konnte ich selbst mit maximalem Sattelauszug der KS Dropper Stützen keines der Bikes normal sitzend fahren. Bergauf war also fast immer Wiegetrittfahren angesagt …
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RIP9 – der lediglich vermeintliche Test
Ganz selbstverständlich habe ich mir zuerst das RIP9 RDO geschnappt, das ja als 29er aufgebaut war und habe es den Vormittag über gefahren. Falsche Entscheidung! Während ich einerseits von der ausgesprochen hohen Agilität und Verspieltheit des Bike angetan war, fragte ich mich immer, ob ein Bike mit mit 150 mm am Heck und 160 mm Gabel sich nicht doch etwas sicherer fahren sollte und was NINER mit dem fast schon XC-ähnlichen Handling bezweckte.
Nach vielen zuerst vorsichtigen Fragen, dann offenen Diskussionen, sind wir erst am Abend auf sie Ursache gekommen. Das RIP9 hatte eine falsche Gabel verbaut – die FOX 36er Gabel am RIP hatte gerade mal 140 mm Federweg und war dementsprechend 2 cm kürzer. Das hat die gesamte Geometrie und das Handling des Bikes verkorkst. In Folge waren die Winkel natürlich alle viel steiler als beabsichtigt und die Beobachtungen an dem Bike alle verfälscht. Wer denkt schon an so was wenn er ein Bike zum ersten Mal fährt und versucht es zu verstehen! Deswegen möchte ich hier noch nichts über das Handling und die Geometrie des brandneuen NINER RIP9 sagen – und muss mich auf ein paar Teilaspekte des ansonsten wirklich schönen Bikes beschränken.
- Wer NINER’s CVA Kinematik mit dem weit vor dem Tretlager liegenden Drehpunkt kennt, weiß wie ruhig sie auf Kettenzug reagiert und wie sauber sie auch bergauf funktioniert. Auch mit satten 150 mm am Hinterbau ist das der Fall und so hat es mich positiv überrascht was Vortrieb und Antriebsneutralität angeht – echt klasse.
- Logischerweise ist der Hinterbau mit 150 mm bergauf etwas eingetaucht, aber auch der Effekt war nicht so stark wie erwartet. Über ein paar wirklich fordernde Trails in den Bergen von Finale konnte ich mich auch der Federungsperformance des Hinterbaus vergewissern, der wirklich toll funktioniert, aber weil das Handling einfach nicht gepasst hat, konnte ich das Bike nie voll ausfahren.
So kam es es, dass ich die schon mal knapp die Hälfte des Tages damit verbracht habe ein Bike zu fahren, das sich erst später als defekt herausgestellt hat. Doch das wusste ich zu dem Zeitpunkt noch gar nicht und versuchte immer noch zu verstehen wie ein 150 m Bike wie das RIP9 RDO so gar nicht meinen Erwartungen in Sachen Handling entsprach.
Zu allem Überfluss, habe ich mir kurz vor der Mittagspause und dem geplanten Radwechsel bei einer technischen Abfahrt auch noch – trotz Protektoren! – eine Fleischwunde am Knie zugezogen, die zuerst ärztlich versorgt werden musste und so war der Tag schnell vorangeschritten.
Kurzum: Wir sind bereits im Gespräch mit NINER einen echten Test des RIP9 zu organisieren – dann aber mit ordnungsgemäßer Ausstattung und vollem Trailpotential.
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JET9 RDO – Erfahrungen als Plus und 29er:
Während die vorher genannten Ausführungen beschreiben wie unwägbar so ein testtag manchmal sein kann, blieb mir noch ein kurzer Spätnachmittag um das JET9 RDO zu fahren, das wenigstens korrekt aufgebaut war und so funktionierte, wie es sollte …(Anmerkung: Den Irrungen und dem Zeitdruck des Tages ist es auch geschuldet, dass bei den Actionbildern immer der Fotofahrer auf dem JET9 RDO zu sehne ist und ich auf dem RIP9 RDO – am Nachmittag, der allein zum Testen gedacht war, war kein Fotograf mehr dabei gewesen.)
Wie bei der Vorstellung bereits ausführlich beschrieben, ist das JET9 RDO ja mit dem Modelljahr 2017 ordentlich in seinem Federweg gewachsen: 120 mm am Heck und 130 bzw. 140 mm an der Front, wobei NINER dem Plusbike 10 mm mehr Federweg an der Gabel spendiert. Wie schon erwähnt, kam das JET9 RDO ja als Plusbike aufgebaut und hatte deswegen eine 140 mm ROCK SHOX Pike verbaut. Interessant.
Im Groben entsprach der Aufbau, dem was NINER USA als 3-Star-Build verkauft – ein SHIMANO XT 1×11 Antrieb und Bremsen, dazu eine KS Dropper Stütze In Serei mit interner Ansteuerung) und ein kompaktes, aber breites RACE FACE Aeffect Cockpit.
Mit der Intention ihre eigenen Laufräder zu präsentieren, hatte RACEWARE nur einen edlen KUROSHIRO Enso 7474 Laufradsatz (hier schon getestet) mit VITTORIA Bomboloni 3.0“ Reifen (Hier im 29+ Format getestet) verbaut, statt der normalen NOTUBES/MAXXIS Kombi. Dementsprechend ist auch das Gewicht des Komplettbikes von 12,2 kg nur wenig aussagekräftig, zeigt aber, dass das neue NINER JET9 RDO keineswegs unter Übergewicht leidet.
Und wie fährt sich das 2017er NINER JET9 RDO? Eine einfache Frage, auf welche die Antwort keineswegs so einfach ist, denn das JET9 RDO ist ein Bike, dessen Charakter sich dermaßen mit dem Reifenformat verändert, dass man meinen könnte ich wäre zwei Bikes gefahren.
Meine ersten Runden in den Bergen oberhalb Finale (die NATO Trails, wer die Gegend kennt) waren mit dem Plusbike und ich war echt begeistert, wie satt, ruhig und sicher sich das JET9 über die zum teil sehr losen und technischen Trails bewegen lies. Keine Spur von Nervosität, wenn es mal schneller oder steiler wurde und ein rundum begeisternd sicheres und dennoch verspieltes Bike, das mir richtig Spaß gemacht hat. Weil wir zu dem Zeitpunkt das Problem am RIP9 noch nicht erkannt hatten, war ich echt geflasht, wie sich das JET9 hier mindestens genauso sicher und schnell hat bewegen lassen, wie das RIP9 (am Abend verstand ich dann warum). Aber losgelöst, von dem Widerspruch mit dem RIP9, war das JET9 als Plusbike ein wirklich tolles Bike, das mir in allen seinen Aspekten super gefallen hat:
Das Handling war genau so wie ich es mir von einem Grenzgänger zwischen Trailbike und Marathonbike erhofft hatte – verspielt und direkt, aber dennoch sicher und immer berechenbar und wunderbar kontrolliert. Die Federung war optimal auf das Plusformat abgestimmt und hat perfekt harmoniert – keine Spur von einen Disblanace zwischen dem 120 mm Heck und der 140 mm Gabel. Bergauf konnte ich das JET9 immer offen fahren. Selbst im Wiegetritt, den ich bergauf wegen des zu kleinen Rahmens immer fahren musste, war für mich die Plattformdämpfung zwar angenehm, aber nie notwendig.
NINER JET9 RDO als 29er
Als ich dann kurz entschlossen den 29er Laufradsatz vom RIP ans JET geschraubt habe um damit die identischen Trails zu fahren, war es als säße ich fast schon auf einem Racebike. Mit der gleichen Geometrie, der gleichen Sitzposition, nur den 29er Reifen und Laufrädern war das JET9 auf einen Schlag noch viel agiler (fast schon beängstigend agil J). Es hat eine kleine Weile gedauert, bis ich nicht in jeder Kehre nachsteuern musste, will sich das JET9 als 29er so schnell um die Kurven zirkeln lies. Außerdem zeigte sich, dass selbst mit den aggressiven MAXXIS DHR II WT vorne und Ardent hinten die Traktion viel schneller am Limit war und ich eine viel bedachtere Linienwahl treffen musste als zuvor. Besonders deutlich wurde auch, dass die Federung, die vorher sehr sensibel und sanft gearbeitete hat, sich jetzt viel direkter und straffer angefühlt hat und auch schneller am Limit war – auf Passagen, in denen das Bike vorher mit Plusbereifung einfach drübergeglitten ist, war es jetzt eine regelrechte Rüttelpartie und Sprünge, die ich vorher ganz locker gehüpft bin, wurden jetzt mit heftigen Durchschlägen quittiert. Andererseits hat es sich trotz schwerer Reifen und Laufräder als 29er effizienter und präziser angefühlt. Immer wo der Trail schneller und glatter wurde, war das JET9 so mindestens genauso gut, wie als Plusbike
Anfangs war ich entsetzt, gewöhnte mich aber rasch wieder daran und hatte auch mit dem JET9 auch als 29er viel Spaß auf den Trails, aber in diesem Fall und in dem Gelände muss ich dem JET9 RDO als Plusbike zusprechen, dass es hier besser zu fahren war. Das kann natürlich auch an den oft staubigen und felsigen Trails in Finale liegen, denn bisher habe ich jedes Mal das 29er Format bevorzugt, wenn ich beide Laufradformate an einem Bike gefahren bin.
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Welche Quintessenz zieh ich nun aus dem wirklich ereignisreichen Tag? Um ehrlich zu sein und glaubt mir, diese Aussage fällt mir nicht eicht: Ich weiß es nicht. Die philosophische Interpretation wäre, dass es eben manchmal solche Tage gibt, in denen alles anders kommt. Wie beschrieben, möchte ich mich aufgrund der genannten Problematik noch nicht zum NINER RIP9 RDO äußern. Zum JET9 RDO kann ich aber sagen, dass das es seinen Anwendungsbereich mit dem Jahrgang 2017 deutlich erweitert hat – was vorher ein fähiges XC-Bike war, ist jetzt zu einem sehr wandlungsfähigen und vielseitigen Multitalent geworden, das in meinen Augen einen sehr breiten Bogen zwischen effizientem Marathonbike (als 29er) und vollwertigem Trailbike (als B+) aufspannt und auch ausfüllt. Das JET9 RDO ist damit eines der Bikes, bei dem ich auf jeden Fall dazu raten würde sich beide Laufradformate zuzulegen und je nach Trail und Fahrweise auch zu wechseln.
So viel zu diesem etwas „anderen“ Testtag in Finale – dessen Ergebnisse nicht ganz so eindeutig sind, wie sonst oft und von dessen Folgen sich mein Körper auch 2 Wochen später noch erholt J.
RIDE ON,
c_g