XSHIFTER elektronische Nachrüstschaltung – Erste Eindrücke: von c_g

Innovationen sind per Definition vorher noch nicht dagewesene Technologien oder Anwendungen, die neue Möglichkeiten eröffnen. Das elektronische Schaltsystem XSHIFTER ist eine solche Innovation, die ganz offensichtlich neue Optionen eröffnet: Ein universelles funkgesteuertes Schaltsystem, das sich an bestehenden Kettenschaltungen nachrüsten lässt – egal wie viele Gänge und welcher Hersteller. Sogar zur Ansteuerung von mechanischen Dropper-Stützen soll es später einmal genutzt werden können.

  

Wir haben als eine der ersten Medienvertreter ein derartiges System zum Test und ich bin in Verbindung mit einer SRAM X01 Eagle 1×12 Schaltung mittlerweile schon über 2 Wochen damit unterwegs. Wie es sich bisher dabei geschlagen hat, lest ihr im Folgenden. Wie im Intro vor knapp zwei Wochen bereits beschrieben, ist der Einbau ja schon mal ein ziemliches Kinderspiel. Das Entfernen den alten Schaltungskomponenten ist dabei aufwendiger als das neue System mit dem alten Schaltwerk zu verbinden und den Funk-Schalter an den Lenker zu schrauben. Das Set-Up ist auch kein Problem. Solange man den Anweisungen der App folgt und sich bewusst ist, dass die automatische Einteilung der Gangschritte auf der „E-LINK SETUP“ Page nur eine erste Näherung ist und man danach in der „TUNE“ Page alle Gänge noch mal manuell präzise nachstellen muss, ist alles recht simpel und selbsterklärend.

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Auf dem Trail …

Im Traileinsatz war XSHIFTER für mich dagegen eine komplett neue und sehr spannende Erfahrung. Ich bin vorher noch keine SHIMANO DI2 gefahren und wusste nicht so recht, was ich von einer elektronischen Schaltung erwarten sollte. Im Stand und auf dem Montageständer funktioniert das System schon mal komplett unauffällig. Ein Tastendruck, gefolgt von einem leichten Surren des Servomotors und die Kette wandert schnell und präzise auf das gewünschte Ritzel. Eigentlich recht unauffällig, oder? Doch was sich in der Trockenübung so normal gewirkt hat, birgt in der Fahrpraxis doch so seine Besonderheiten …

Seit ca. 2 Wochen läuft die elektronische XSHIFTER Schaltung an unserem Testbike … mit durchaus spannenden Erkenntnissen.

Die Schaltpräzision ist, wie erwartet, ausgezeichnet. Indem man jeden Gang einzeln ansteuern und präzise bestimmen kann, trifft das Schaltwerk den Gang später immer perfekt. Ich hatte in den letzten zwei Wochen keine einzige Fehlschaltung, Rattern, oder sonstige Auffälligkeiten, für die ich den E-LINK Servomotor verantwortlich machen kann. Was die mechanische und elektronische Umsetzung des Schaltvorgangs selber angeht, gibt es an XSHIFTER wirklich nichts auszusetzen.

Die Gangschritte hin zu einem leichtern Klettergang verrichtet das elektronische Schaltsystem genauso schnell und präzise wie eine gut gewarteten und eingeteilte, mechanische Kettenschaltung.

Die einzige Auffälligkeit des E-LINKs liegt in der Schaltgeschwindigkeit, die mit dem Servomotor in beide Richtungen absolut gleich ist. „Na und?“ werden die meisten sagen, doch die Tücke liegt im Detail. Bisher sind wir es gewohnt, dass der Schalthebel um in einen in einen leichteren Gang zu kommen, also auf ein größeres Ritzel zu schalten, an einem Seil zieht. Mit dem XSHIFTER passiert genau das gleiche, nur, dass der Servomotor, statt der Schalthebel am Stahlseil zieht. Im Vergleich gibt es deswegen auch kaum Unterschiede in der Schaltgeschwindigkeit. In die andere Richtung , also der Schritt auf ein kleineres Ritzel erfolgt dagegen bei einem klassisch mechanischen System indem ein Auslösemechanismus ein Stück Zug auf einen Schlag freigibt, das durch die Zugfeder im Schaltwerk getrieben bis zur nächsten Rasterung zurückschnellt. Auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, geht dieser Vorgang schneller vonstatten.

Schaltete man allerdings in die anderer Richtung, hin zu schnelleren Gängen, erfolgen die Gangwechsel zögerlicher als von herkömmlichen, mechnischen Systemen gewohnt.

Bei XSHIFTER werden aber beide Richtungen durch den Motor angesteuert, und der ist zwar schnell, aber nicht eben doch nicht soo schnell. Der Gangsprung in einen leichteren Gang erfolgt zwar auch hier mit Unterstützung der Schaltwerksfeder, (sonst würde da Schaltwerk überhaupt nicht in diese Richtung gehen), in Relation zur Kraft des Servos ist diese aber so schwach, dass sie quasi keinen Einfluss auf die Schaltgeschwindigkeit hat. Bei XSHIFTER muss der Servomotor diese Position aktiv ansteuern und das dauert ein klein wenig länger. Der Unterschied ist zwar nur der Bruchteil einer Sekunde, ist in der Fahrpraxis auf dem Mountainbike aber deutlich spürbar. Gerade am Anfang des Tests hat das zu Fehlschaltungen geführt, weil ich intuitiv dachte, der erste Schaltbefehl wäre nicht übertragen worden. Dem war aber nicht so, ich war es lediglich gewohnt, dass der Schaltvorgang in diese Richtung schneller und knackiger ablaufen würde. Mit der Zeit habe ich aber gelernt, dem System hier zu vertrauen und etwas länger abzuwarten, wodurch die anfänglichen Fehlschaltungen immer seltener wurden.

Die Kettenführung und -kontrolle bleibt von XSHIFTER unbeeinflusst.

Was die Kettenführung und –kontrolle angeht, hat sich ja ohnehin nichts verändert, denn diese Aufgaben werden weiterhin von den bisherigen Komponenten verrichtet – in meinem Fall dasbewährten SRAM X01 Eagle Schaltwerk mit seiner Clutch2 Reibungskupplung und ein X01 Eagle Kettenblatt. Weil bisher die Bedingungen recht gutmütig gewesen sind, mit lediglich leicht feuchten und mäßig schlammigen Trails, kann ich nur wenig zum Thema Wasser-dichtigkeit und Schmutzanfälligkeit sagen. Aufgrund der gekapselten Konstruktion erwarte ich mir dabei aber keine größeren Auffälligkeiten. Nach Aussage von XSHIFTER selbst verkraftet das System es sogar komplett untergetaucht zu werden.

Zum Thema Akku-Kapazität und Ladeintervalle kann ich noch nicht viel sagen, weil wir einen defekten Akku ausgeliefert bekommen haben, der viel zu häufig nachgeladen werden muss. XSHIFTER ist aber bereits dabei uns einen Ersatzakku mit deutlich höherer Kapazität zuzuschicken. Daher vertagen wir dieses Team auf die nächste Testphase.

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Problemfall Schaltlogik & -ergonomie

Doch jetzt zum Schalthebel, auch Shifter Pod genannt, bei dem in seiner aktuellen Variante nur zwei von 4 Tasten nutzbar sind. Ein fürs Rauf- und eine fürs Runterschauten. Eigentlich ist es ganz logisch, dass man mit dem rechten Knopf die Kette nach rechts schaltet und mit dem linken, die Kette nach links geht, aber weil wir es über die Jahre hinweg gelernt haben mit dem äußeren Trigger-Hebel in einen leichteren Gang zu schalten und mit dem weiter innen liegenden in einen schwereren, und unser Hirn einfach nicht so leicht umzupolen ist, habe ich mich immer wieder verschaltet.

Der Shifter Pod von XSHIFTER ist verantwortlich dafür, dass ich mich bisher noch nicht wirklich mit dem System habe anfreunden können.

Solange ich aktiv daran gedacht habe und jeden Schaltvorgang bewusst angegangen bin, war es kein Problem, aber sobald ich in den normalen „Ride-Modus“ gegangen bin (ich also einfach als Biker unterwegs war und nicht als Tester), hat mich die inverse Schaltlogik immer wieder zur Verzweiflung getrieben. Wir Menschen sind Gewohnheits-tiere und deswegen ist es wohl so schwer sich an diese umgekehrte und an sich „richtige“ Schaltlogik zu gewöhnen – SHIMANO hatte es vor 20 Jahren auch schon mal versucht die Biker umzugewöhnen und ist damit kläglich gescheitert.Durch Umbelegen der Tasten-funktionen, wie auch schon in der XSHIFTER-App vorgesehen, ließen sich das Problem leicht beheben, aber genau diese Funktion ist derzeit in der XSHIFTER-App noch nicht aktiv. Das Entwicklerteam um Paul Gallagher, der Kopf hinter XSHIFTER, arbeitet aber bereits daran und mit dem nächsten Software Update soll auch das behoben sein. Ich bin gespannt, ob es mir damit dann leichter fällt, immer den richtigen Gang zu treffen.

Am Bike selber fällt das XSHIFTER System nur durch die rote Schalthebel-Abdeckung auf. Eine unauffällige, schwarze Abdeckung wird mitgeliefert.

Ein anderer Kritikpunkt an dem aktuellen Shifter-Pod ist, dass der eigentliche Schaltknopf in der Mitte der breiten Taste liegt, die Taste selber aber aus einem sehr weichen Gummi besteht. Wenn man die Taste am Rand drückt, kommt es immer wieder vor, dass der darunterliegende Schalter gar nicht aktiviert wird. Vor allem, wenn man mit Handschuhen fährt, ist es manchmal schwer einzuschätzen, ob man den Schaltvorgang auch wirklich eingeleitet hat.
–> Schlussendlich läuft es darauf hinaus, dass der bestehende uns zum Test ausgelieferte Shifter es ergonomisch und funktionell nicht mit modernen Trigger-Shifter aufnehmen kann. Auf Rückfrage hat man uns aber versichert, dass der aktuelle Shifter nur der erste in einer Reihe von Schalthebel-Optionen wäre, unter denen es auch klassisch anmutende Trigger-Shifter und auch eine Gripshift-Variante geben wird.

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Zusammenfassung

Mit XSHIFTER fahre ich derzeit ein System am Bike, das für mich komplett ungewohnt ist und dem ich deswegen auch eine gewisse Eingewöhnungszeit eingeräumt habe. Dass ich mich nach gut 2 Wochen aber immer noch nicht richtig damit angefreundet habe, liegt in allererster Linie an dem Schalthebel, dessen Haptik und Ergonomie XSHIFTER für die Anwendung am Mountainbike nur bedingt funktioniert. Die Umsetzung des Grundkonzeptes – eine nachrüstbaren elektronischen Schaltung – finde ich dagegen gut gelungen. Es gibt kleinere Aspekte, wie das etwas langsamere Herunterschalten, die gewöhnungsbedürftig sind, aber grundsätzlich funktioniert XSHIFTER in seiner aktuellen Entwicklungsphase richtig gut. Insbesondere die Optionen beliebige Gangzahlen festzulegen und jeden Gang individuell einzustellen, bieten vielfältige, zum Teil noch ungeahnte Möglichkeiten. Der große Aha-Effekt bei der Nutzung blieb bei mir bisher allerdings noch aus. In der Fahrpraxis konnte ich bisher nichts finden wo XSHIFTER wirklich besser funktioniert, als andere hochwertige Schaltungen. womit sich mir die Frag stellt: „Warum, wenn das bekannte, genauso gut und in Bereichen sogar besser funktioniert?“

 

Ich bin mir aber auch voll und ganz bewusst, dass es sich bei dem hier getesteten System nur um eine erste Entwicklungsstufe handelt. Paul Gallagher selbst spricht vom aktuellen System als eine „fortgeschrittene Beta-Version mit noch eingeschränkter Funktionalität“. Allein schon durch bereits in Arbeit befindliche Software-Updates (mit Optionen wie Multi-Shift oder einer frei wählbaren Tastenbelegung) könnte das System sein bislang noch brach liegendes Potential deutlich besser zur Schau tragen und den derzeitigen Systemen ernsthaft Konkurrent machen. Und wenn es dann noch eine ergonomischere, praxisgerechte Shifter-Variante dazu gäbe. Wer weiß, was da noch alles möglich ist.

RIDE ON,
c_g