TANTRUM CYCLES „Shinning“ – Testintro: von c_g

Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich euch im Zuge der Eurobike’16 den TANTRUM CYCLES Prototypen mit dem neuartiges Missing Link Hinterbausystem und seinen Erfinder Brian Berthold vorgestellt habe. Seither hat Brian, der ein erfahrener Rennsport-Ingenieur und –Entwickler ist, es als echte One-Man-Show geschafft sein eigenes Bike in einer Kickstarter-Kampagne zu finanzieren und die erste Kleinserienproduktion von 50 Rahmen fertigzustellen. Nachdem alle vorgeorderten Rahmen ausgeliefert waren – den allerersten davon hat er persönlich nach der Eurobike’17 an den Backer No.1 übergeben – hat Brian uns angeboten als erstes Magazin einen der letzten noch unvergessenen Rahmen zu testen.

Darf ich euch daher vorstellen – das TANTRUM CYCLES Shinning mit der Seriennummer 048.

Wer sich noch mal genauer über die Funktionsweise der Missing Link Kinematik informieren will, kann das in dem hier verlinkten Artikel von 2016 tun. Grundsätzlich geht es darum welche Kräfte auf den Dämpfer wirken.

 

Durch die Kopplung des Hinterbaus mit dem Dämpfer über den Umlenkhebel zwischen Kettenstreben und Dämpfer, das sogenannte Missing Link werden die auf den Dämpfer wirkenden Kräfte unter Kettenzug, also beim Pedalieren reduziert. Unter extremem Kettenzug, also wenn man wirklich steile Anstiege hochfährt, soll der Hinterbau sich sogar aufrichten und so eine noch günstigere Gewichtsverteilung und kletterfreudige Geometrie erzeugen. Wenn man bergab fährt, also kein Kettenzug wirkt und der Hinterbau durch Schläge einfedert, werden die Kräfte wiederum verstärkt. Durch ein ausgeklügeltes Hebelverhältnis soll das TANTRUM deswegen auch mit offenem Dämpfer sehr ruhig klettern und bergab unglaublich sensibel arbeiten. Ein hoher Anspruch, dem ich ganz sicher nachgehen werde.

Außerdem erlaubt die rein mechanische Wirkungsweise des Missing Link es an dem TANTRUM einen Dämpfer mit sehr wenig Zug- und Druckstufendämpfung zu fahren – viel weniger als es die meistens heute üblichen Kinematik erlauben. Und weniger Dämpfung bedeutete im optimalen Fall einen aktiveren Hinterbau, mehr Traktion und mehr Komfort. Im schlimmsten Fall kann es aber auch ein hyperaktives und wippendes Heck mit sich bringen. Ich bin wirklich gespannt. Als positiven Nebeneffekt soll das Bike selbst mit einfachsten Dämpfern noch sehr gut funktionieren – die ersten Prototypen hat Brian noch mit einem super simplen X-Fusion Dämpfer gefahren. Warum das Bike dann heute mit einem edlen DVO Topaz T3 Dämpfer ausgeliefert wird?  „Weil es damit einfach noch mal deutlich besser funktioniert und so selbst den allerbesten Hinterbausystemen das Wasser reichen kann. Warum, sollte man sich also mit weniger zufrieden geben, wenn es auch besser geht?“ so Brian Berthold auf die Frage.

Die ungewöhnliche Dampferaufnahme „im“ Unterrohr war einerseits notwendig, ist aber gleichzeitig ein konstruktives Mittel um die unterschiedlichen Federwege zu realisieren.

Auch wenn das Missing Link das große Vorzeige-Feature der TANTRUM Bikes ist, hat es noch deutlich mehr Asse im Ärmel: Das erste ist seine Vielseitigkeit was den realisierbaren Federweg angeht. Angeblich kann man den gleichen Rahmen mit 125 mm, 140 mm und 165 mm Federweg am Heck konfigurieren. Bei 140 und 165 mm bleibt die Dämpferlänge gleich (je 200 mm), es verändert sich nur der Dämpferhub (51 mm für 140 mm effektiven Federweg und 57 mm für 165 mm Federweg). Für 125 mm werden ein kürzerer Dämpfer (190 mm) und eine andere Dämpferaufnahme verbaut. Je nach den Vorlieben kann man das Bike also als Touren-/Tailbike, All-Mountain oder sogar als Enduro aufbauen. Ob das in der Praxis auch wirklich funktioniert? Wir haben das Testbike in der Variante mit dem maximalen Federweg, also 165 mm geordert um zu sehen was das Missing Link in diesem Fall kann. Ich hoffe aber auch die anderen Versionen mal ausprobieren zu können.

Als (noch) kleiner Grassroots-Hersteller und One-Man-Show ist die Webseite von TANTRUM CYCLES (leider) noch nicht recht rudimentär und lückenhaft. Derzeit finden sich dort noch keine Angaben zu der 29er Long-Travel-Version die wir zum Test erhalten haben, ein Bike, das Brian „Shinning“ nennt.
Was die Geometriewerte angeht, müssen wir daher auf die Angaben zur 29er Version mit 125 mm am Heck und einer 140 mm Federgabel zurückgreifen. Für dieses Modell, das sich „Outburst“ nennt, gibt Brian bereits ein paar vielversprechender Werte an. Mit einem Lenkwinkel von 66° einem Sitzwinkel von 73,6 bis 74,9° (abhängig von der Rahmengröße), einem effektiven Oberrohr von 635 mm (in der mittleren Rahmengröße) und einem Hinterbau mit gerade mal 430 mm Kettenstrebenlänge ist die Geometrie definitiv sehr zeitgemäß und wirkt richtig trailhungrig. In der bei uns im Test befindlichen Long-Travel-Variante sind die Werte durch eine andere Dämpfer-Aufnahme-Konfiguration und die passende längere Federgabel natürlich noch etwas anders, aber das können wir erst ausmessen, wenn das Bike aufgebaut ist.

Unabhängig vom Federweg kann man das Bike außerdem mit 29er Laufrädern oder mit 27,5“ Laufrädern oder auch Mixed, also 29er vorne und 27,5 hinten aufbauen – allein durch Austausch der Ausfallenden. Unser Bike kam standesgemäß mit den 29er Ausfallenden. Brian war aber so nett und auch einen Satz 27,5er Ausfallenden beizulegen mit denen wir im Laufe des Tests auch experimentieren werden. Gleichzeitig besitzt der Hinterbau eine hervorragende Reifenfreiheit – mit 29er Reifen sollen bis 2,5“ Breite locker gehen und mit 27,5er Format soll man sogar Reifen bis 3,25“ Breite in dem Rahmen fahren können.

Was die oben erwähnte Vielseitigkeit der Geometrie angeht, betonte Brian immer wieder, welche Möglichkeiten sich allein durch die modularen Ausfallenden eröffnen. Damit alleine ließen sich ganz unterschiedliche Charakteristiken aus der Plattform herauskitzeln. In der aktuellen Version der 29er Ausfallenden habe er ein höheres Tretlager in Kauf genommen um einen möglichst kompakten Hinterbau zu realisieren (der BB-Drop beträgt hier nur 15 mm!), er arbeite aber bereits an einer anderen 29er Variante, mit der der Hinterbau zwar etwas länger würde, dafür aber das Tretlager tiefer käme.
Auch was den Lenkwinkel angehe, behauptet Brian, dass seine Kreation „außergewöhnlich viel Spielraum“ bietet. Er selbst sei das Bike gefahren durch unterschiedliche Steuersätze bereits mit Winkeln zwischen 63,5° und 67° gefahren und hätte dabei noch nicht die Grenz des „Praktikablen“ erlebt. Nicht zuletzt um diese Aussage zu überprüfen, werden wir das Shinning auch mit einem CANE CREEK AngleSet fahren, das hier einigen Spielraum bietet – doch dazu andernorts mehr.

In dem Rahmen sind  alle modernen Standards verbaut: Ein konisches Steuerrohr, eine interne Zugverlegung (nur die Bremse verläuft extern), Boost am Heck, Post-Mount-Bremssockel (hier in die modularen Ausfallenden integriert) und eine ISCG05 Aufnahme um das geschraubte BSA-Tretlager. Nichts außergewöhnliches und doch alles, was man sich wünscht.
Mit 3,8 kg für den Rahmen (inkl. Shimano-Steckachse und Dämpfer) liegt unser TANTRUM Shinning Testrahmen gewichtstechnisch in dem Bereich, den man für einen stabilen 29er Rahmen aus Alu  als „noch OK“ bezeichnen kann – weder besonders leicht noch besonders schwer. Der Plan ist mir daraus ein Komplettbike zwischen 14 und 14.5 kg aufzubauen , was in der 160 -Federwegsklasse aus meiner Sicht recht passabel wäre. Außerdem sei der Rahmen ganz bewusst „etwas robuster gebaut … um zu sehen, wozu man mit dem Bike so alles in der Lage ist. Das Unterrohr hat zum Beispiel Wandstärken, wie sie sonst nur in DH-Bikes verbaut sind.“ so Brian.

Warum wir hier auf TNI-de überhaupt ein so seltenes und noch dazu nur in den USA vertriebenes Bike testen? Ganz einfach – aus purer Neugierde darüber ob ein einzelner Tüftler in Sachen Performance den Großen mit ihren Entwicklerteams wirklich Konkurrenz machen kann, wie Brian unverblümt behauptet. Außerdem ist Brian bereits dabei die zweite Generation des Bikes in Fernost fertigen zu lassen, die er im Sommer diesen Jahres ausliefern will. Für alle, die wie wir, neugierig darauf geworden sind, auch mal so ein Bike zu fahren, besteht also Hoffnung sich eines aus der nächsten Generation zu sichern.
In den kommenden Tagen folgen noch ein paar weitere innovative Komponenten, mit denen wir den Rahmen aufbauen werden und dann geht es damit hoffentlich schon bald nach Ostern zum ersten Mal auf die Trails. Ich freue mich jetzt schon darauf!

Ride on,
c_g