SQ-LAB 611 /612 Ergowave & 612 Active Sättel im Vergleich: von c_g
Seit ich euch den Test des SQ-LAB 612 Ergowave Active Sattels gebracht habe, sind einige Mails reingekommen, in denen nach den Unterschieden zwischen den einzelnen SQ-LAB Sätteln gefragt wurde – insbesondere zum 611 Ergowave Active, aber auch zum weiterhin im Programm befindlichen 611 Active, den ich 2016 bereits im Test hatte.
Anstatt auf die Fragen individuell zu antworten, habe ich mich entschieden dies in einem eigenen Post zu klären. Dazu bin ich in den letzten Monaten jeden der oben genannten Sättel ausgiebig an meinem CUBE Stereo Dauertestbike gefahren (alle in der für mich optimalen Sattelbreite von 14 cm) und habe mich mit den Machern der Sättel, den Ergonomieexperten von SQ-LAB ausführlich unterhalten.
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Das wichtigste und grundsätzliche gleich vorab: Die SQ-LAB Sättel unterscheiden sich in einigen Konzepten grundlegend von den meisten anderen Sport-Sätteln – allen voran durch das Stufensattelkonzept und die Active Technologie:
Indem es einen ausgeprägten Niveauunterschied durch das Stufenkonzept zwischen dem hinteren Sattelteil und dem sich verjüngenden Mittelteil samt Sattelnase gibt, entlastet SQ-LAB das empfindliche Gewebe im Dammbereich weithend und legt den Hauptdruck auf die genau dafür ausgelegten Sitzknochen.
„Dadurch haben alle SQ-Lab Sättel ein deutlich anderes Sitzgefühl als die meisten anderen Sättel der Mitbewerber. Das spürt jeder sofort … aber weil die meisten Biker sich über die Jahre einfach an eine suboptimale Druckverteilung gewöhnt haben und als „normal“ empfinden, brauchen die meisten mit einem SQ-Lab Sattel ein paar Fahrten zur Umgewöhnung.“ so Bikelegende Tibor Simai, der ebenfalls für SQ-Lab im Bereich Entwicklung und Promotion aktiv ist und mittlerweile seine eigene Signature Serie dort hat.
Wie ihr in meinen Testberichten hierzu lesen könnt, erging es auch mir genau so, und ich brauchte etwas Zeit auf den SQ-LAB Sätteln ehe es „Klick“ gemacht hat. Aber seit ich mich daran gewöhnt habe, möchte ich nicht mehr mit anderen Sätteln fahren (… was mein Leben als Tester nicht unbedingt erleichtert :-))
Bei der Active Technologie handelt es sich um eine spezielle Aufhängung des Sattelhecks, die es ermöglicht, dass sich der Sattel in seiner Achse leicht zu beiden Seiten neigen kann und somit dem Becken beim Pedalieren mehr Bewegungsfreiheit gibt. Durch diese zusätzliche Beweglichkeit werden zwei Aspekte vereint, die bei starren Konstruktionen normalerweise im Widerspruch stehen: Eine passende Abstützungung der Sitzknochen und zugleich eine hohe Beweglichkeit im Becken.
Um die Beweglichkeit an das Fahrergewicht und den Fahrstil anzupassen, bietet SQ-LAB drei unterschiedlich harte Elastomer-Einsätze an, welche die Bewegung dämpfen. Mit persönlich ging es so, dass ich mich auch zuerst daran habe gewöhnen müssen. Anfangs bin ich mit dem für mein Gewicht passenden Einsatz gefahren. Mit der Zeit habe ich die Vorzüge der Beweglichkeit aber immer mehr zu schätzen gelernt und bin immer weichere Einsätze gefahren nur um mittlerweile den Elastomer komplett wegzulassen.
Außerdem: Auch wenn es heute fast schon die Norm ist, dass Bike-Sättel in verschiedenen Breiten angeboten werden – SQ-LAB war einer der ersten, die den Ansatz der unterschiedlichen Sattelbreiten je Modell entwickelt und angeboten haben. „Den medizinischen Erkenntnissen folgend, ist es dann auch gar nicht erforderlich frauen- oder männerspezifische Sättel zu haben. Viel besser ist Mann und Frau bedient einfach die Sattelbreite anzupassen und so auf die jeweilige Anatomie einzugehen.“ so Tibor.
Dabei sind diese „innovativen“ Ergonomiekonzepte und auch die Firma SQ-LAB ursprünglich aus einer Notlauge heraus entstanden. Nach einen schweren Motocross Unfall konnte SQ-LAB Gründer und CEO Tobias Bild (Bild oben) nur noch unter großen Schmerzen Biken und war mit der Wahl konfrontiert entweder den geliebten MTB-Sport an den Nagel zu hängen oder sich etwas einfallen zu lassen. Als erfahrener Bikes und Tester hatte Tobias Bild ohnehin ein feines Gespür für Ergonomie, das unfallbedingt nochmal deutlich sensibler wurde. Indien sagen Tobias eine nahezu „seismographische Wahrnehmung“ zu dank derer er selbst feine Konstruktionsunterschiede erspüren kann. Was folgte waren intensive Versuchsreihen und Ergonomie-Studien, stets in Kooperation mit Urologen und Extermbiker Dr. Stefan Staudte oder anderen Ergonomie-Experten . So kam Tobias dann auch auf die oben genannten Technologien, woraus dann in 2003 die Firma SQ-LAB geboren wurde.
Aus dem ursprünglichen Stufensattelkonzept (mit einer ausgeprägten Stufe vor dem Sitzknochen) wurde dann 2015/16 das Ergowave Konzept entwickelt, bei dem der Schritt vom erhöhten Heck zum unteren Niveau in zwei sanfteren Stufen verläuft. Ergowave ist damit einerseits die nächste Evolutionsstufe des Stufensattelkonzeptes, es ist aber auch auf einen anderen Anwendugnsbereich hin ausgerichtet. Ein wichtiger Unterschied zwischen der Ergowave Active Modellreihe und den klassischen Stufensätteln liegt darin, dass die klassischen Stufensättel sehr variabel sind, was die Sitzposition auf dem Bike angeht (von sehr sportlich bis fast aufrecht). Bei der Ergowave Sattelform hat man sich dagegen speziell die Anforderungen einer sportlich tiefen Sitzposition angesehen und die Sättel darauf ausgelegt.
Tibor sagt uns dazu: „Für die meisten Mountainbiker, deren Sitzposition irgendwo im Mittelfeld liegt, kommen grundsätzlich beide Sattelformen in Frage und man hat die freie Auswahl.“
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Soweit zu den theoretischen Erklärungen. Hier meine ganz persönlichen Erkenntnisse der letzen Monate auf den diversen SQ-LAB Sätteln:
Eine der wichtigsten Aspekte der SQ-LAB Sättel ist ihre deutliche und sofort spürbare Entlastung des Dammbereichs mit spürbar mehr Druck auf den Sitzknochen. Doch statt diese auch nach außen zu drücken wie heutzutage bei den meisten schmal bauenden MTB Sätteln üblich, werden die Sitzknochen bei einer passenden Sattelbreite direkt und nur auf Druck belastet. Das allein sorgt für dauerhaft mehr Komfort. Wie alle SQ-LAB Sättel muss man sich zuerst an diese andere Art der Druckverteilung gewöhnen. Das kann von einer halben Stunde bis hin zu mehreren Ausfahrten dauern. Außerdem ist es wichtig auch mit der Sattelneigung zu arbeiten, denn wer wie bisher mit der Wasserwege seinen Sattel ausrichtet, wird mit den Stufensätteln nur wenig Freude haben. Bei mir persönlich hat sich eine um 1,4 cm tiefere Sattelnase gegenüber dem Heck als optimal herauskristallisiert (Achtung für Road-Racer: Diese Position ist nicht mehr UCI-konform.)
Formgebung: Während alle drei getesteten Sättel mit der Nominalbreite von 14 cm tatsächlich gleich breit sind, unterscheidet sich der 611 Active (oben links) von den beiden Ergowave Modellen (oben Mitte und rechts) durch eine runde und vor allem längere Sattelnase. Obwohl die Sattelnase bei allen Modellen effektiv gleich breit ist, wirkt sie bei den beiden Ergowave Modellen rein optisch breiter. In der Fahrpraxis, wenn man in besonders steilen Anstiegen auf der Sattelnase sitzt, ist der Unterschied kaum zu spüren.
Der schon angesprochene Unterschied zwischen der Einfachstufe beim 611 Active und der Doppelstufe bei den Ergowave Modellen ist in den Abbildungen deutlich zu erkennen. Damit vermittelt der 611 Ergowave und 612 Ergowave den Eindruck einer „Schale“ für die beiden Sitzknochen, während man beim 611 Active mit dem Sitzknochen direkt auf der dicksten Stelle der Polsterung sitzt. Diese „Schalenform“ ist auch dafür verantwortlich, dass ich bei den Ergowave Sätteln bergauf weniger das Gefühl hatte nach hinten zu rutschen was SQ-LAB als Effizienzsteigerung ansieht (weil damit unterbewußte Haltearbeit wegfällt). Der Unterschied zwischen dem 611 Ergowave (tendenziell eher für Trail und MTB) und dem 612 Ergowave (mehr für Lange Strecken und Rennrad) ist allein die Polsterungsdicke (3mm liegen zwischen den beiden Modellen), sowie ein Kantenschutz beim 611 Ergowave – in den Bildern gut zu erkennen.
Sitzgefühl und Komfort: Rein subjektiv ist das Sitzgefühl zwischen den drei Sätteln zwar nicht grundlegend unterschiedlich, aber wer dafür eine gewisse Sensibilität hat, wird doch Unterschiede spüren. Ein Unterschied ist, dass ich mich in den Ergawave Modellen im Becken eher „gehalten“ und „geführt“ fühle, während ich auf dem 611 Active (oben) noch mehr Beweglichkeit nach vorne und hinten verspürt habe. Ich persönlich mag das eingebettete Gefühl der Ergowave-Modelle, zumal mir das Active System ja viel seitliche Beweglichkeit bietet. Vom reinen Komfort und der Vibrationsdämpfung her betrachtet, liegen die beiden stärker gepolsterten 611 Modellen, der 611 Active (oben) und der 611 Ergowave Active (unten) ziemlich gleich auf. Beide Modelle verteilen den Druck auf die Sitzknochen sehr gut und bieten zugleich eine angenehm dämpfende Polsterung.
Auf dem sehr straffen und dünn gepolsterten 612 Ergowave Active (weiter unten) ist das Sitzgefühl spürbar „direkterer“, aber durch die für meine Anatomie optimale Einbettung der Sitzknochen in die Sattelschale hat der sich zu meiner Überraschung im Laufe des Tests als mein persönlicher Favorit herauskristallisiert.
Auch auf wirklich langen Ausfahrten hatte ich mit keinem der Sättel je echte Sitzprobleme. Aber während ich auf dem 611 Active und 611 Ergowave Active immer wieder meine Sitzposition variiert habe – eine automatische und oft unbewußte Entlastungsreaktion – konnte ich auf dem 612 Ergowave Active auch nach Stunden noch beschwerdefrei und komplett ruhig sitzen.
Sattelbreite: Eine interessante Erfahrung war es, dass neben den hier besprochenen 14 cm breiten Sätteln auch kurz die Gelegenheit hatte einen 611 Ergowave in 13 cm Breite zu fahren … und obwohl 14 cm laut der Sitzknochenvermessung der für mich optimale Wert sind, bin ich auf diesem Bike mit dem 13 cm breiten Modell dieses Sattels gefühlt genauso gut zurecht gekommen. Auf diese Beobachtung angesprochen, erklärte mir Tobias Hild: „Die Sitzknochenvermessung ist ein sehr wichtiger Anhaltspunkt und das effektivste Hilfsmittel um die optimale Sattelbreite zu bestimmen. Bei den allermeisten Menschen ergibt die Messung des Sitzknochenabstandes eine ideale Sattelbreite, bei manchen kommen zwei Sattelbreiten in Frage – meist bedingt durch unterschiedliche Sitzpositionen auf unterschiedlichen Bikes (wie wahrscheinlich hier der Fall). Nur bei ganz wenigen, unter 1% der Biker, gibt es echte Abweichungen.“
(Tibor Simai ist nicht nur fit in Sachen Bike-Ergonomie und ein klasse Biker – er ist auch ein wirklich netter Typ.)
Ganz wichtig war es dem SQ-LAB Team darauf hinzuweisen, dass die Sattelbreite nicht nur als Option und Vorschlag gesehen werden sollte. „Wir erleben es oft, dass Biker aus ästhetischen Gründen eine oder sogar zwei Sattelbreiten schmäler als ermittelt nehmen. Wer das macht ignoriert was wir in Jahren über die richtige Sattelergonomie gelernt haben. Wir raten dringend dazu die optimale Passform vor die Optik zu stellen.“
Wie in meinem Testbericht zum SQ-LAB 611 Active nachzulesen, hatte ich auch zuerst Vorbehalte mir einen optisch so ausladenden Sattel ans Bike zu schrauben, durfte aber bald lernen, dass 14 cm genau die richtige Breite für mich ist und ich dadurch keine echten Nachteile hatte. Gerade in Zeiten, wo man den Sattel mit Hilfe der Dropper Stütze schnell und effektiv aus dem Weg räumen kann, ist das viel zitierte „zu breit um hinter den Sattel zu rutschen“ kaum mehr ein Thema.
Um dies auch wirklich verständlich und erlebbar zu machen, rät SQ-Lab explizit dazu sich im Fachhandel beraten zu lassen, dort eine Sitzbreitevermessung durchzuführen und danach mit Hilfe der vorhandenen SQ-Lab Testsättel diese auch wirklich auf dem eigenen Bike auszuprobieren. Nur wer sich wirklich die Zeit nimmt und sich auch auf die bereits erwähnte Eingewöhnungsphase einlässt, kann sich wirklich sicher sein auch wirklich den optimalen Sattel zu finden.
Zum Abschluss möchte ich nicht versäumen zu sagen, dass die Sattelwahl natürlich immer eine subjektive Sache ist und auch bleiben wird. Die Ausführungen und Erkenntnisse zu den SQ-LAB Sätteln stammen überwiegend aus meinen ganz eigenen Erfahrungen als Tester und sind demnach auch individuell und subjektiv. Wie auch hier auf TNI nachzulesen, kommt nicht jeder immer mit den SQ-LAB Sattelmodellen besser zurecht (GG zum Beispiel konnte sich mit dem 612 Ergowave nicht anfreunden). Aber aus meinem persönlichen Umfeld unter denen natürlich auch sehr viele aktive Biker sind, habe ich die Erfahrung gemacht, dass sehr viele welche die Sättel von SQ-LAB ernsthaft ausprobiert haben, auch dort „hängen geblieben“ sind und nicht mehr zurück zu den konventionellen Sattelformen wollen. Ich für meine Person gehöre auch dazu sonst hätte es der SQ-LAB 612 Ergowave Active nicht in meine „Beste Of Test 2016“ geschafft.
RIDE ON,
c_g
Guter Bericht c_g.
Schon seit jahren bin ich SQ-Lab infiziert und habe fahre verschiedene Sattelmodelle an meinen Bikes. Auf dem Rennrad den ’normalen‘ 611, der durch seine Form gut passt und mir die Entlastung bietet, die ich mir zu meiner Lizenzzeit gewünscht hätte. Auf dem Hardtail (Kona Honzo) habe ich den 611 active montiert, den ich zuerst für das rennrad vorgesehen hatte aber durch seine Länge mir am MTB besser gefällt. Der active bietet spürbar besseren Komfort, ähnlich dem 610 und ich fahre das mittlere Elastomer. Der 610 war mein erster SQ-LAB und das ist einfach ‚mein Satte‘. Ich fahre ihn sowohl auf dem Stumpi FSR, als auch auf dem Daily Driver (On*One Scandal mit fetten Strassenreifen).
Der 610 ist für mich der vielseitigste Sattel…bequem auch für lange Strecken…am MTB und am Tourenbike nutzbar, nur evtl. optisch ein bissl zu wuchtig fürs Rennrad.
Die beste Entlastung von den dreien bietet der 611 active.
Last but not least hatte ich noch den 603 auf dem On*One. Der eignet sich gut für Jedermann, weil die Stufe nicht so ausgeprägt ist und so gut wie keine Gewöhnungszeit braucht. er macht sich auch gut auf nem Fatbike. Der 603 fährt mitlerweile ein Kumpel von mir und ich habe mir dafür oben genannten 611 active geholt.
Das ist ein interessanter Vergleich der drei Sättel. Ich habe seit einigen Wochen den 612 active und kämpfe noch sehr mit starken Schmerzen an den Sitzknochen. Dazu meine Frage, in der Anleitung von SQlab steht ausdrücklich, dass man immer eines der Elastomer eingesetzt haben muss, Sie schreiben aber, dass Sie dieses weggelassen haben? Gab es keine Probleme? Ich bin immer noch am Überlegen, zum 611er zu wechseln, um die geringe Mehrpolsterung zu haben…
@ Ingrid: Es tut mir leid zu hören, dass du Schmerzen beim Biken hast. Wie du ja weißt, ist es gerade bei den Ergowave Modellen sehr wichtig die Neigung auch passend einzustellen.
Wie lange fährst du den 612 active denn mittlerweile? Dann sollten nach ein bis zwei Wochen Umgewöhnungszeit aber keine Probleme mehr damit vorkommen. Danach sollte man sich grundsätzlich fragen, ob die Sattelform wirklich zu einem passt.
Nein, durch das Weglassen der Elastomere hat es keine Probleme gegeben.