NICOLAI Helius AC 29er (2013 Version) – Testfazit: von c_g

Vor einiger Zeit haben wir das neue 2013er NICOLAI Helius AC 29er in den Test bekommen. Die technischen Infos und Vorstellung des 140 mm All-Mountain 29ers findet ihr hier. Die ersten Fahreindrücke sind hier einzusehen.

Nun ist der Test abgeschlossen und das Bike wieder auf dem Weg zurück zu NICOLAI. Dazwischen hat es aber noch viele Kilometer auf unseren heimische Trails und auch ein paar Tage im Enduro-Paradies von Sölden im Ötztal verbracht. Es hat alles, von langen alpinen Touren, bis hin zu schwerem Enduro-Einsatz und auch viele eher XC-lastige Fahrten hinter sich. Unser Bild des Helius AC 29ers ist daher ziemlich komplett. Im Laufe das Tests haben sich die ersten Beobachtungen zum Helius aus dem ersten Eindruck weiter gefestigt, – es ist und bleibt ein hochkarätiges Trail- und All-Mountain mit tollen Qualitäten und nur wenigen Schwächen. Doch der Reihe nach:

Die OPTIK: Das Helius AC 29er ist ein Bike das sofort durch seinen eigenständigen Look auffällt. Das rohe Alu-Finish des Testbikes hat in der kurzen Testphase eine echte Patina angenommen, die ihm zusätzlich zur geradlinigen Formsprache des Rahmens einen nüchtern-funktionellen Look verleihen. Wären nicht die grün eloxierten Kleinteile, möchte man das Bike für einen Prototypen halten. Doch das Finish ist bei NICOLAI individuell und daher kann jeder sich sein NICOLAI individuell gestalten.

Die Sitzposition in der neuen kompakteren Geometrie (ein Vergleich ist in dem Intro-Artikel zu finden) passt sehr gut zum AM-Einsatzbereich – man sitzt mittig im Bike, nicht zu gestreckt und nicht zu kompakt. Das kürzere Oberrohr und der flachere Lenkwinkel tun dem Bike in technischen Trails gut. Für Downhillruns war das gelieferte Cockpit aus externem Steuersatz, den nur leicht negativ abgewinkelten Vorbau und den Low-Riser-Lenker passend – aber für den weniger gravity-orientierten Einsatz auf meinen heimischen Trails fehlte es mir etwas an Druck aufs Vorderrad. Nach ein paar Versuchen fühlte sich das Bike am besten mit einem steileren Vorbau – ein 70mm Vorbau mit dramatisch klingenden -17° ergab für mich das Optimum.
Die Beobachtung, dass das Helius sich gegenüber der ´12 Version nicht mehr ganz so effektiv pedalieren ließe, hat sich weiter gefestigt. Besonders bei langen (z. B. alpinen) Anstiegen kann ich aufrichtig sagen, dass ich mir die Abfahrten redlich verdient hatte J. Schuld daran ist aber keineswegs eine wippende Federung (ganz im Gegenteil) oder das Gesamtgewicht von 13,65 kg, sondern die weniger vortriebsorientierten Geometrie. Wir haben bei mehreren Touren immer wieder die Bikes getauscht und diesen Eindruck mehrfach bestätigt gefunden.  An diesem Punkt hatte das Tallboy mehr Tourenpotential.

Aber dieses Manko gilt eben nur bei langen Anstiegen. Auf meinen heimischen Trails mit schnellen Wechseln zwischen bergauf und bergab war dies weniger deutlich. Generell gilt, sobald die Schwerkraft das Bike nach vorne (oder besser unten) zieht, offenbart das Helius AC 29er sein gigantisches Trail-Potential. Sowohl auf den waldigen Kursen zuhause, wie auch auf den oft groben und verblockten Trails im Ötztal, war das Bike eine Wucht. Die direkte Federung gepaart mit dem ausgewogenen Handling und den Big-Wheels nahmen so manchen verblockten Passagen jeden Schrecken.

Im Handling ist das Helius AC sehr neutral, nicht ganz so verspielt, wie das Santa Cruz Tallboy LT, aber eben nur einen Tick ruhiger. Dafür bevorzugt das Helius keinen besonderen Fahrstil. Es lässt sich sowohl in die Kurve durch Gewichtverlagerung „Drücken“ wie auch einfach „Lenken“.

Dank der sehr guten Rahmensteifigkeit ist es wunderbar direkt und präzise zu steuern. Zugegeben – im Gewicht kann es mit den modernen Carbon-Rahmen nicht mithalten – in der Steifigkeit aber offenbarte das Helius im Test keinerlei Schwächen.

Federungscharakterisitk: Es fällt schwer bei einem 140 mm Fully von straffer Federung zu sprechen, aber im direkten Vergleich zum scheinbar endlosen Federweg des Tallboy LTs fühlt sich der 4-Gelenker-Hinterbau deutlich direkter an. Hierin unterscheiden sich die beiden Bikes grundlegend, dem Helius merkt man die kontinuierliche Progression deutlich an wobei die Federung im positiven Sinne völlig unbemerkt ihre Federungsarbeit tut. Wie effektiv man den vollen Hub aber doch oft ausnutzt, zeigt der Blick auf den Dämpfer. Interessanterweise bedeutet das im Gelände keinerlei Einbußen in der Kontrolle oder den erreichbaren Geschwindigkeiten – nur eben einen eigenen Charakter. Nicht besser, oder schlechter, nur anders. Sprünge, grobe Schläge und Wurzeln, schluck das Fahrwerk ebenso souverän, wie das kürzlich so hoch gelobte Tallboy LT.

Spricht man von der Heckfederung muss man die wunderbar antriebsneutrale Kinematik beim Helius AC 29 aber nochmals besonders hervorzuheben. Die Kinematik arbeitet weitgehend unabhängig von Antriebskräften; nur durch heftige Gewichtsverlagerung des Fahrers lässt es sich zu leichtem Wippen verleiten. Die Plattformdämpfung des ROCK SHOX Monrach RT3 HV Dämpfers brauchte das Helius fast nur im Wiegetritt und die geschlossene Position war ohnehin die Ausnahme – nur in steilen Anstiegen um ein Einsinken des Hecks fast völlig zu unterbinden habe ich sie gelegentlich eingelegt.

Eine kleine Problematik hatte ich mit dem Hinterbau in der Abschlussphase – die NICOLAI Steckachse (mit Sechskant oder 6er Inbus geklemmt) hat sich unerklärlicherweise nach 1-2 h Fahrzeit mehrfach gelockert. Erst als ich die Achse wieder gegen eine Maxle-Steckachse (mit Schnellspannhebel) augetauscht habe, kam es nicht mehr vor.
(Die am Testbike verbaute 135/12 Steckachse hinten, welche die Laufradmontage oft unnötig erschwert, wird in Serie ohnehin gegen eine bedienungsfreundlichere 142/12 Achse ersetzt werden.)

Die SUNTOUR Epicon X1 mit ebenfalls straffen 140 mm Federweg war für mich eine gute Ergänzung zum Hinterbau. Den Lockout der Gabel habe ich wegen der straffen Charakteristik nur selten genutzt. Bei den wenigen Malen hat sich aber gezeigt, dass die ursprüngliche Montageposition nicht mit der Avid Elixir 9 Bremse harmoniert hat (siehe Abbildung). Entweder ließ sich der Lockouthebel nicht bis zum Einrasten durchdrücken, oder die Griffweitenverstellung des Bremshebels hat sich an der Klemmung des Lockouthebels verhakt. Erst eine Ummontage auf die Innenseite hat dem Abhilfe geschaffen – etwas zum Leiden der Ergonomie. Ebenfalls nicht ganz mein Ding – die spezielle Steckachse der Suntourgabel. Sie kommt zwar ohne Gewinde an der Gabel aus (und ist daher rechts oder links zu montieren), machte aber die den Laufradausbau oft unnötig schwer weil sich das Expanderstück in der Nabe durch den Zug ausgedehnen und dann verhaken.

Wenn man davon absieht, dass die Avid bei den langen Abfahrten im Ötztal doch öfter an ihre Standfestigkeitsgrenzen gekommen ist, gab es mit allen andern Komponenten keinerlei Probleme. Alles war bis ins Detail funktionell und unauffällig. Besonders gut fanden wir die 22/36 Kettenblattkombi (mit unterer Kettenführung), die viel Bodenfreiheit und eine stets sinnvolle Übersetzungsbandbreite geboten hat.

Was würden wir ändern? Als All-Mountain-Bike mit Ansätzen für Enduroqualitäten würden wir nicht viel anders machen … evtl. eine etwas niedrigere Front durch einen semiintegrierten Steuersatz. Mehr optisch motiviert, würden wir uns auch eine Vorbereitung zur Montage einer Reverb Stealth wünschen aber damit wären wir auch schon am Ende.

Das Thema Gewicht geht man bei NICOLAI gelassen an und stellt die Haltbarkeit in den Vordergrund – Fakt bleibt: Mit einem Helius AC wird man kein Leichbaurekorde aufstellen.

Und wenn man bedenkt, dass jedes Bike eine individuelle Einzelanfertigung in D ist, bleibt auch wenig Grund für preisliche Kritik. So würden wir die Ausstattung des Testbikes etwa auf das Niveau des kürzlich gefahrenen Tallboy LTa setzen, mit dem es auch das Gesamtgewicht teilt … nur dass das NICOLAI noch mal gut € 600.- Euro günstiger ist.

 

FAZIT: Das 2013er Modell des NICOLAI Helius AC29er hat eine Umorientierung gegenüber dem Vorgängermodell durchgemacht – mit dem auf 140 mm gewachsenen Federweg und der stark modifizierten Geometrie hat es einerseits an Trailpotential gewonnen, andererseits aber auch etwas an Allroundeigenschaften (vor allem im Uphill spürbar) eingebüßt. Was geblieben ist, ist ein durchweg „ehrliches“ Bike ohne versteckte Besonderheiten oder Zickigkeiten, bis ins Detail durchdacht und langlebig konstruiert … wer auf gewichtsoptimierte Alu-rohre in Hydroforming oder gar einen Carbon-Rahmen verzichten kann, sich dafür aber ein speziell nach seinen Wünschen gebautes All-Mountain 29er „Handmade in Germany“ wünscht, der wird vom Helius AC sicher nicht enttäuscht werden. Mit seiner sehr ausgewogenen Geometrie und tollem Handling ist es schwer sich einen Fahrertyp vorzustellen, der mit dem Bike nicht zurechtkommen würde und dank der Customoptionen, bleiben selbst Sonderwünsche nicht unerreichbar.
Für mich ist das NICOLAI Helius AC 29 gut aufgehoben in der Oberklassse der All-Mountain 29er Bikes auch wenn es im direkten Vergleich mit der jüngsten Generation der All-Mountain-Bikes vom Schlage eines Santa Cruz Tallboy LT (Fahrbericht hier) oder CUBE Stereo (Fahreindrücke folgen) ernstzunehmende Konkurrenz bekommen hat.

RIDE ON,
c_g

Ps: Danke an die Mannschaft von NICOLAI für die Bemühungen, die ihr unternommen habt uns das Bike zur Verfügung zu stellen – ein weiterer Test, der uns viel Spaß gemacht hat und bleibende Erinnerungen beschert hat.