Meinungen – Wie wichtig ist das Gewicht bei einem All-Mountain oder Endurobike wirklich? (von c_g)

Der regelmäßige Leser weiß, dass uns kaum mehr schlechte Bikes unterkommen. Klar, für den einen Tester ist hier mal ein Tretlager zu hoch, die Reifenfreiheit nicht ganz so, dass die trendigen 2,6“er noch passen oder der Rahmen ein wenig zu schwer … aber im Großen und Ganzen sind die aktuellen 29er doch mittlerweile ziemlich ausgereift. Gleichzeitig sind die Bikes über alle Federwegskategorien hinweg leistungsfähiger als je zuvor.

Unsere Bikes werden immer potenter und leistungsfähiger .. aber damit eben oft auch schwerer. Was bedeutete das für euch? Gut oder Schlecht?

Seid ihr soweit meiner Meinung? Insgesamt werden die Komponenten immer besser, die Rahmen und Kinematiken immer fähiger und eigentlich wäre unsere kleine Bikerwelt nahezu perfekt, oder? Aber ein Thema, beschäftigt die Leser und auch uns doch immer mehr – fast wie der vielzitierte Elefant im Raum: Das deutlich angestiegene Gewicht der Bikes. Die Tatsache lässt sich nicht leugnen: Unsere Bikes werden immer schwerer. Für uns hier bei TNI wird das angestiegene Gewicht zwar registriert, wir sehen es aber doch in erster Linie als Ausdruck davon, dass die Bikes immer fähiger werden und sich die Komponenten dem neuen Potential eben auch angleichen müssen. Heute fährt man mit einem 140 mm Fully durchaus Trails und Features, die man noch vor ein paar Jahren nie einem solchen Bike zugetraut und auch zugemutet hätte. Durch die höheren Anforderungen an die Robustheit werden die Komponenten zwangsläufig schwerer.

Je härter wir unsere Bikes fahren wollen, desto robuster und leistungsfähiger müssen auch die Komponenten ausgelegt sein. Und trotz aller technologischer Fortschritte bedeutete, das oft immer noch eine höheres Gesamtgewicht. Aber spielt das Gewicht überhaupt noch eine so große Rolle?

Wer früher nie darüber nachgedacht hat ob eine FOX Float 34 ihm/ihr nicht ausreicht zum Teil auch, weil es eben eine deutlich geringere Auswahl an 29er federgabelnd gab, der greift heute – oft ohne weiter zu überlegen – zur Float 36. Wo früher die Pike, das Referenzmaß war, ist heute die Lyrik das Objekt der Begierde für die meisten Biker, egal ob Trailbiker oder wirklich Enduro-Racer. „Sind ja nur 200 bis 250 g mehr“, doch die zusätzlichen Gramm addieren sich. Wer früher jeden Reifen jenseits der 1 kg Grenze automatisch in die Gravity-Szene gestellt und erst gar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hat, fährt heute ohne Murren auch Reifen mit < 1,3 kg. Wieder zwischen 300 und 600 g mehr am Bike. Über die Notwendigkeit einer Dropper diskutiert man in dem Zusammenhang Gott sei Dank schon gar nicht mehr.

Auf diversen Touren mit dem POLE (hier am Lago) hat sich für mich gezeigt, dass die modernen Geometrien sehr wohl dazu in der Lage sind ein hohes Gewicht durch ihre entspannterer Sitzposition effektiv zu kaschieren.

Was ich hier beschreibe, ist nicht nur etwas, das wir alle beobachten, sondern tatsächlich mein ganz persönlicher Weg als Biketester während der letzten Jahre. Früher habe ich Bikes jenseits der 13 kg schon als „ziemlich schwer“ angesehen und für „nur noch bedingt tourentauglich“ gehalten … heute fahre ich ohne mir ernsthaft darüber Gedanken zu machen ein Bike mit 16 kg in der Gegend herum (ja, soviel wiegt mein POLE Evolink in der aktuellen Ausstattung wirklich). Und das auch auf längeren und höhenmeterreichen Touren. Der einzige Punkt, an dem ich mich über schwere Bikes wirklich noch ärgere, ist eigentlich nur noch, wenn es doch mal längere Schiebe- oder Fragepassagen gibt. Ansonsten ist das Gewicht für mich nur noch einer von vielen Werten, die man als Tester einfach misst und als Vergleichshilfe nutzt, die ich heute aber als weit weniger relevant ansehe, als früher vor ein paar Jahren. Sowohl meine Erfahrungen mit dem POLE Evolink als Dauertester, wie auch der letzte test mit dem ebenfalls recht schweren YT Capra 29 AL Comp beweisen, dass auch schwere Bikes sich selbst im Toureneinsatz noch sehr gut fahren können. Das YT Capra hat mir allerdings mit seiner FlipChip-Einstellung aber auch gezeigt, wie schnell ein „hohes“ Gewicht bei einer weniger tourenfreundlichen Geometrie (hier eben mit dem FlipChip in LOW) eben doch störend werden kann.

Durch die modernen Geometrien meiner Meinung nach vor allem im Zusammenhang mit langen Hauptrahmen und steilen Sitzwinkeln klettern viele Bikes extrem gut – wie hier das LAST Glen.

Wie aber kann es sein, dass das Gewicht selbst für mich als Tester nur noch als weiches Qualitätskriterium gilt und ich mich selbst regelmäßig dabei ertappe es schnell zu relativieren? Selbstsuggestion? Betriebsblindheit? Den Grund dafür sehe ich vor allem in den neuen, modernen Geometrien mit langem Reach und steilem Sitzwinkel. Mein aktuelles Dauertestbike, das POLE Evolink 158 ist ein hervorragendes Beispiel dafür, denn es ist einerseits das schwersten Bike, das ich je länger hatte und doch zählt es zu den Bikes, von dessen Uphill-Eigenschaften ich immer wieder positiv angetan bin. Nein, ich versuche nicht euch zu erklären, dass so progressive Bike-Geometrien die Gesetzte der Physik außer Kraft gesetzt hätte. Masse bleibt Masse und überall, wo man allein aus eigener Kraft etwas anhebt, leistet man mit höherer Masse auch mehr Arbeit. Leichterer Bikes sind grundsätzlich erstrebenwert, aber Bikes wie die Geolution Modelle von NICOLAI oder eben auch das POLE haben mir gezeigt, dass die Sitzposition und Gewichtsverteilung ein hohes Gewicht durchaus kompensieren können.

Das CUBE Stereo 150 TM ist eines dieser Bikes, das eine moderne Geometrie (wenn auch nicht so progressiv wie das POLE) mit einem leichten Rahmen kombiniert und so bemerkenswert leicht (… und in dem Fall sogar erschwinglich) bleibt. Aber wie wichtig ist das Gewicht heutzutage wirklich noch?

Leichterer Bikes sind grundsätzlich erstrebenswert, das möchte ich auch garnicht in Frage stellen. Bikes wie das CUBE Stereo 150 TM oder das SCOTT Ransom 900 Tuned zeigen, wie sich ein gutes Gewicht und moderne Geometrien unter eine Hut bringen lassen, aber Bikes wie die Geolution Modelle von NICOLAI oder eben auch die POLE Bikes haben mir auch aufgezeigt, dass die Sitzposition und eine kletterfreundliche Gewichtsverteilung ein hohes Gewicht durchaus (oder zumindest weitgehend) kompensieren können. Allein dadurch, das man damit in entspannter Haltung und Sitzend auch sehr steile und technische Trails recht gelassen hoch treten kann, hat sich für mich als nahezu gleichwertig zu einem leichten Bike herauskristallisiert … und ich bin bei weitem weniger auf Shuttletouren oder im Bikepark unterwegs als man solchen Bikes zutrauen möchte.

Das SCOTT Ransom gehört zu den Bikes, die wegen ihrer modernen Geometrie im Up- und Downhill richtig Spaß machen. Das sagenhaft niedrige Gewicht bei der 900er Tuned Top-Variante, wie im Test trägt ganz sicher auch dazu bei, ist aber meiner Meinung nach nicht ausschlaggebend dafür.

Bergab wird wahrscheinlich keiner daran Zweifel erheben, dass die modernen, Geometrien mit Lenkwinkeln zwischen 64° und 66° langen Oberrohren und satten Fahrwerken den Spaß und die Sicherheit beträchtlich erhöht haben, aber wie steht es bei euch wenn ihr aus eigener Muskelkraft die Schwerkraft bezwingt? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht wie ich? Kennt ihr das Paradoxon, dass euch dank der modernen Geometrien eventuell schwere Bikes b auch ergauf mehr Spaß machen? Oder stehe ich damit eher alleine da? Lasst uns wissen, was ihr von meinen Gedanken haltet und welche Erfahrungen ihr selber in dieser Beziehung gemacht habt.

RIDE ON,
c_g

Ps: Nur um sicher zu gehen, nicht missverstanden zu werden – ich spreche hier nicht von XC-Rennen, Marathons oder anderen Disziplinen, bei denen man auf Zeit bergauf fährt und auch nicht vom Gegenpol, dem Daher, der nur im Bikepark oder auf Shuttle-Touren unterwegs ist. Die Gruppe der Biker, die ich hier meine sind die ganz normalen Trail- und Tourenbiker – die, die ihre Uphills nicht auf Zeit fahren, die Anstiege als Training und Herausforderung oder auch einfach nur als „Weg zum Ziel“ ansehen – die Spaß-Biker wie du und ich eben.