NICOLAI ION-G13 QLF-Line – Testfazit: von c_g
(bisher dazu erschienene Artikel: NICOLAI Geolution auf der Euorbike’16, Testintro des ION-G13 QLF-Line, Erste Praxiseindrücke)
Als ich das NICOLAI ION-G13 QLF-Line vor gut 4 Wochen im Empfang genommen habe, war es eine Mischung aus Neugierde und Faszination die das in mit hervorgerufen hat. Eine innere Stimme hat mir immer wieder zugeflüstert: „Eine solche Geometrie kann nicht wirklich funktionieren. Vielleicht beim High-Speed Ballern im Bikepark, aber auf deinen normalen Trails … nie und nimmer!“ Umso überraschter war ich, als sich das 29er Trail-Fully so gar nicht behäbig oder gelangweilt gefahren hat.
Keine Frage, das Bike mit seinem aberwitzig flachen Lenkwinkel, dem extrem langen Reach und Radstand und dem langen Steuerrohr ist auf Laufruhe getrimmt. Aber entgegen der früheren Vorurteile den ersten 29er Generationen gegenüber – was ist an Laufruhe so schlecht, wenn das Bike trotzdem nicht langweilig wirkt? In meinen Augen nicht sehr viel, denn ein laufruhiges Handling, wie es das ION-G13 an den Tag legt, sorgt gerade dort, wo andere Bikes an ihre Grenzen kommen für ein Potential das man einfach mal erleben muss … bergab, aber eben auch bergauf.
Bergab genießt man ein Gefühl von Sicherheit und Gelassenheit, wie man es auf einem Trailbike mit gerade mal 135 mm am Heck und 140 mm an der Front nie erwartet hätte. Genial! Zugegeben, man muss seinen Fahrstil ein wenig anpassen, das Timing des langen Radstandes verinnerlichen und bewusst ein wenig mehr Druck aufs Vorderrad bringen, aber all diese Dinge kamen bei mir ganz natürlich und ohne mich dabei verbiegen zu müssen.
Ich bin mit dem Bike alles gefahren was es an Teststrecken in meinem Umfeld gibt von wurzeligen Trails mit engen Kehren bis sprunglastigen High-Speed-Passagen und das für mich faszinierende war, dass mir das ION-G13 fast überall saugut gefallen hat. Eine der besonderen Eigenschaften der Geometrie ist es, schwieriges Gelände einfacher wirken zu lassen. Extrem steilen Abfahrten, bei denen man sonst oft um eine Balance zwischen Gewichtsverlagerung, Bremskontrolle und Überschlagsgefühlen ringt, sind mit dem weit nach vorne ragenden Vorderrad, den ultrakurzen Vorbau und dem langen Rahmen ein Kinderspiel. Die Gesetzt der Physik kann das Bike nicht außer Kraft setzen und wer grobe Fahrfehler macht, wird dafür bestraft, aber der Bereich in dem man ganz gelassen agieren kann, ist hier um ein Vielfaches größer. Und sollte das Bike doch mal ausbrechen, geschieht das meist so gelassen und kontrolliert, dass man es locker wieder einfangen kann.
Dieses ungemeine Gefühl von Sicherheit hat immer den selben Effekt: Man traut sich mehr zu. Für vorher zurückhaltende Fahrer, bedeutet das, dass sie mit mehr Freude und Flow auch über technischere Trails fahren und für versierte Fahrer bedeutete das, dass sie ihre Grenzen noch weiter hinausschieben können und noch aggressiver unterwegs sind.
Darin zeigt sich allerdings auch eine Crux des ION-G13, denn auch wenn die Federelemente des Bikes, eine FOX 34 und ein Float DPS EVOL Dämpfer sehr gut arbeiten, und die Ausstattung sehr gut ist, begann ich schon recht früh darüber nachzudenken, wie sich das Bike wohl mit noch potenteren Federelementen fahren würde. Doch dazu weiter unten noch mehr ….
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Zu meiner großen Freude überträgt sich genau diese Gelassenheit auch auf Bergaufpassagen. Mit seinen 14 kg ist das ION-G13 zwar kein Bergsprinter, aber weil die Front selbst in den steilsten und technischsten Ansteigen nie leicht wird und man kaum je mit aggressiver Schwerpunktverlagerung gegensteuern muss, kommt man oben trotzdem frische und entspannter an als mit einem leichteren Bike, das man aber verkrampft auf Kurs halten muss. Selbst mit einer geringen Gewichtsverteilung kennt das Ion-G13 bergauf und sitzend kaum Grenzen. Gerade die bei uns Bikern gerne unterentwickelte untere Rückenmuskulatur weiß das sehr zu schätzen J.
Im Wiegetritt konnte ich keine Defizite feststellen, aber hier könnte das Hinterrad bei leichtern Fahrern durchaus auch mal durchdrehen. Hinzu kommt, dass die Federung zwar sehr sensibel arbeitet, aber selbst bergauf nur selten eine Beruhigung über den DPS-Hebel braucht.
Damit kann man zwar dem unvermeidlichen Einsinken des Hecks durch die Schwerpunktverlagerung bergauf noch mal weiter entgegenwirken, aber wirklich erforderlich ist es eigentlich kaum. Es gibt auf meiner Testrunde eine Betontreppe, die ich mit dann allermeisten Bikes immer nur mit Mühe und Not bergauf schaffe – mit dem ION-G13 war das Teil nur noch halb so schwer zu fahren!
Auch wenn es auf den ersten Blick ein Widerspruch ist, so ist für mich das NICOLAI ION-G13 das beste mir bekannte Bike für steile oder technische Uphills und damit auch ein sehr empfehlenswertes Bike für schwere alpine Routen.
Verwinkelte Kurse verlangen nach ein wenig mehr Nachdruck und angepasster, aktiver Fahrweise. Mich persönlich hat das nie gestört und ich habe mich auch in engen Spitzkehren damit pudelwohl gefühlt. In engen Kurven spürt zwar, wie das Hinterrad bedingt durch den langen Radstand eine spürbar engere Kurve zieht, aber auch daran gewöhnt man sich schnell. Nur in wirklich verblocktem Gelände könnte mir Vorstellen, dass das je zum echten Thema würde.
Auf den gerade in diesem Test oft sehr weichen und rutschigen Wurzeltrails war ich dafür mehrfach überrascht, wie die hohe Sicherheit und Traktion mir dabei geholfen hat durch manche enge und knifflige Schlüsselstelle zu kommen ohne den Fuß vom Pedal zu nehmen. Trotzdem denke ich dass es durchaus Fahrer gibt, denen das ION-G13 allein durch seine Größe und Laufruhe schon ein wenig zu weit geht. Lässiges aufs Hinterrad ziehen und langsam gefahrene Drops bei denen die Front lange in der Luft ist, ehe das Hinterrad folgt, sind mit dem ION-G13 jederzeit möglich, brauchen aber definitiv eine sehr aktive Fahrweise und viel Nachdruck. Wer mit einem BMX-HIntergrund an das Bike herantritt und einimaximal verspieltes Bike sucht, sollte woanders schauen, denn das ist nicht die Stärke des ION-G13.
Im Nachhinein bin ich auch recht froh darüber, dass ich mich obwohl ich mit meinen Proportionen genau zwischen den Rahmengrößen Medium und Large stehe, mich für ein Medium entschieden habe. Selbstverständlich könnte ich es mit letzter Sicherheit erst sagen, nachdem ich auch ein Large gefahren bin, aber rein dem Empfinden nach möchte ich für meine Trails kein noch größeres Bike fahren.
Selbstverständlich habe ich mit dem NICOLAI IN-G13 auch ein paar klassische XC-Touren unternommen – Kilometer um Kilometer auf Forstrassen und über gemäßigte Trails – und während ich offen zugeben muss, dass das Bike hier nicht zuhause ist und sich nicht ganz so effektiv anfühlt, hat mich das nie wirklich gestört … und wenn ich meine Zeiten auf diesen Strecken anschaue, war ich selbst dort oft schneller unterwegs wie mit anderen, gemäßigten Trailbikes.
Dass NICOLAI mit der Geolution Geometrie bereits scharf am Limit der Massentauglichkeit schrammt, zeigt sich für mich in der für meine Empfinden bereits leicht abkippenden Lenkung in der niedrigen Position des Flip-Chips an der Dämpferumlenkung. Der resultierende 64,5° Lenkwinkel ist mir für den normalen Traileinsatz einfach zu extrem. Weder am Anfang, noch in einem zweiten Anlauf später im Test, habe ich mich damit wirklich anfreunden können.
Diese Option ist für mich wirklich so stark auf High-Speed ausgelegt, dass sie besser für Shuttle-Runs als zum Trailbiken geeignet ist … Meine Beurteilung bezieht sich deswegen auch fast ausschließlich auf die Erfahrungen in der hohen Geometrieeinstellung mit einem 65,2° Lenkwinkel. Wenn ich irgendeine Veränderung an der Geometrie des ION-G13 als Trailbike vornehmen würde wäre es deswegen auch nur die High-Position als Normal-Position zu wählen und evtl. noch eine etwas steilere Position für Touren und Strecke hizuzufügen. Genau aus dem Grund habe ich auch gar nicht versucht in der Bike eine 160 mm Federgabel einzubauen – die es der Performance nach durchaus verkraften würde – denn auch die hätte durch ihre Bauhöhe das Handling aller Voraussicht nach eher beeinträchtigt.
Über der sehr edlen Ausstattung des QLF-Line Testbikes kann ich nur Lob aussprechen. Die Tatsache, dass das ION-G13 sowohl bergab wie auch bergauf so potent ist, macht die Komponentenwahl sehr schwer. Mit der spezifischen Auswahl an unserem Testbike beschreitet NICOLAI dem Spagat zwischen Gewicht und Haltbarkeit sehr gut ohne, dass es irgendwo richtig zwicken würde. Selbstverständlich könnte man das ION-G13 genauso mit noch aggressiveren Reifen, noch robusteren Laufrädern, einer FOX 36 und evtl. sogar einem X2 Dämpfer ausstatten, aber dann wäre das Bike eben auch schnell wieder 1 bis 1,5 kg schwerer. Mein einziger eher milder Kritikpunkt liegt bei den verbauten HOPE Tech3 E4 Bremsen. Die waren super ergonomisch, leicht einzustellen, und wunderbar kraftvoll, aber irgendwie fehlte es mir bei der an Feedback und Bremsgefühl um immer sicher sagen zu können wann ich das Traktionslimit der Reifen erreicht hatte. Das gelegentlich resultierende Ausbrechen war aber dank der Gutmütigkeit des Bikes nie ein Problem gewesen.
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Testfazit:
Im Zwischenstand hatte ich beschrieben wie ich noch die Feinheiten des NICOLAI ION G13 ergründen wollte. Wie sich in der zweiten Testphase herausgestellt hat, gab es nicht mehr viel zu ergründen, denn das ION-G13 ist ein „grundehrliches“ Bike. Es hat trotz seiner Andersartigkeit einfach keine versteckten Eigenheiten.
Mit seiner bahnbrechenden Geolution Geometrie ist das von Hand in Deutschland gefertigte ION-G13 ein maximal laufruhiges und damit sicheres 29er Trailbike, das für viele Fahrer neue Möglichkeiten aufzeigen wird. Neben dem erwarteten, sehr hohen Bergab-Potential, ist es auch bergauf das fähigste mir bekannte Bike. Die Tatsache, dass man damit völlig unverkrampft jede Steigung nimmt ist für mich fast genauso wichtig, wie seine Bergab-Performance.
Die Erfahrungen mit der Geometrieverstellung und der leicht abkippenden Lenkung in der Low-Position zeigen mir aber auch, dass sich das ION-G13 was den Lenkwinkel angeht bereits im Grenzbereich der Massentauglichkeit bewegt. Was mich angeht, fand ich es in der High-Position einfach nur genial, aber ich bin mir sicher, dass es auch Fahrer geben wird, denen selbst das bereits zu weit geht.
Über die extrem hohe Fertigungsqualität des Rahmens, die wunderschönen CNC-Frästeile und den einzigartigen Look der NICOLAI Bikes und ihre hohe Robustheit muss man eigentlich nicht mehr viel sagen, aber der Vollständigkeit halber seien sie hier noch einmal aufgeführt. Zugegeben mit fast 6000.- Euro in der getesteten Ausstattung bzw. 2400.- Euro für den nackten Rahmen ist das ION-G13 schone eine ernsthafte Investition aber angesichts der einzigartigen Fahreigenschaften und der Mangels an Alternativen (ich kenne sonst nur noch das ebenso exklusive POLE Evolink 140 EN) ist es jeden Cent davon wert.
RIDE ON,
c_g
servus, kannst du mal einen kurzen verleich mit dem pole 140 anstellen, auch wenn ihr das nur kurz in den fingern hattet?
wie siehts bergan / bergab aus, besondere unterschiede…
besten dank vorab 🙂
@Thomas Herrn: Wie du jage selbst schon anmerkst, bin ich das POLE nur kurz gefahren, daher bitte ich den Vergleich auch dementsprechend zu interpretieren :-).
Im Grundkonzept und was die Geometrie angeht sind bei Bikes sich sehr ähnlich. Wo das POLE beim Evolink 140 EN einen minimal flacheren Lenkwinkel und noch steileres Sitzrohr hat, setzt das NICOLAI auf mehr Reach und ein etwas längeres Oberrohr. Auch der Hinterbau ist beim POLE minimal länger, aber ich bezweifle, dass man den Unterschied wirklich herausspürt.
Was die Federung angeht, fand ich das Nicolai etwas ausgewogener (weil komfortabler und dennoch mit viel Progression fürs Grobe) während mir der Hinterbau bei dem gefahrenen Testbike etwas „hölzern“ vorkam und erst bei wirklich aggressiver Fahrweise zum Leben erwachte. Aber das war damals ja auch ein Vorserienbike ohne speziellen Dämpfertune – das mag mittlerweile wieder völlig anders und vielbesser sein. Das Geometriefeintuning hat nur das Nicolai. Wirklich gravierende Unterschiede, die deutlich für das eine oder andere Bike sprechen, würde ich keine sehen außer vielleicht, dass das POLE aus Finnland bestellt werden muss, während das NICOLAI ja echte deutsche Handarbeit ist. Wer auf die Faltbike-Option steht, findet die natürlich nur am POLE.
soo, ich glaube das war’s. Sag uns beschied wofür du dich entschieden hat und wenn du magst auch gerne deine Fahreindrücke dazu.
besten dank für die kurze schilderung! ich bin noch bei der meinungsfindung. deutsche wertarbeit ist für mich klar ein thema, allerdings hat das nicolay einen fetten haken… die trinkflasche… ich weiß darüber streiten sich die geister aber für mich isses halt wichtig, vor allem im rahmen und net unter direktem dreckbeschuss… gibt ja noch mehr schöne töchter… irgendwie hab ich den eindruck dass jeder hersteller irgendwas an seinem rahmen weglässt was mir wichtig ist 😀
Hallo,
soweit mir bekannt passen in die Ion G13 Trinkflaschen ins Rahmendreieck 😉
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Gruss,
Andreas.
Hallo,
kannst du mir evt. einen direkten Fahrvergleich zwischen
Saturn II u. ION G13 beschreiben?
stehe vor der Wahl zwischen diesen beiden bikes(meine bevorzugten
Gebiete sind Wurzeltrails im Mittelgebirge/1xAlpencross und ein
paar Bergtouren im Hochgebirge im Jahr).
welches der beiden würdest du bei meinem Einsatzspektrum eher
bevorzugen?
Grüße
Wolfi