POLE Evolink 110 TR – Kurztest: von Oli
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mir gefallen Konzepte, die erst mal einen neuen Weg gehen wollen. In den vergangenen Jahren waren das für mich erst die 29er, dann die Fattys, zuletzt die Plusbikes (in Verbindung mit Bikepacking). Und jetzt die Trailbikes mit der flachen und langen Geometrie. MONDRAKER mit der Forward Geometrie und NICOAI mit ihren Geometron Bikes fallen mir spontan ein, wenn ich an laaaange Fullys mit flachem Lenkwinkel denke. Und nun POLE Bicycles co. (POLE heißt übrigens übersetzt: pedaliere, oder “tritt in die Pedale”), eine junge Marke aus Finnland, von der wir Anfang 2016 zum ersten Mal berichteten. Nur wenig später konnte c_g ja bereits den Prototypen des Evolink 140 EN in Riva Probe fahren und war sichtlich angetan. Für mich ergab sich jetzt bei den Eurobike Media Days in Kirchberg die Gelegenheit, die Cross-Country-lastigere Version Evolink 110 TR fahren zu können.
Unter all den bekannten Marken fand ich den POLE Stand fast am spannendsten. Da steht ein junger finnischer Entwickler und zeigt der staunenden Bikewelt, dass es auch radikal anders geht, und behauptet das seine Bikes richtig gut wären. So war der Stand war immer gut besucht und seine Bikes fast immer auf den Trails unterwegs. Umso erfreuter war ich, als ich nach ein paar Anläufen die Chance bekam, ein Mal das Evolink 110 TR, quasi den “kleinen Bruder” des POLE Evolink 140 Enduro EN fahren zu können.
Die 110 sind ein Hinweis auf den Federweg hinten, in dem Fall 110 mm, TR steht für den Einsatzbereich: 40% Cross Country, 60% Trail. Ein Bike ganz nach meinem Geschmack 😉 Das getestete Bike war ausgestattet mit einer DT-SWISS OPM OL mit 120 mm Federweg, einem X 313 Dämpfer. Dazu DT-SWISS XR 1501 Spline Laufrädern und weiteren leichte Teile von Race Face und Co, mit denen POLE den an sich recht schweren Rahmen ein wenig mehr Richtung XC und Leichtbau trimmen wollte.
Aktuell gibt es POLE Bikes in Deutschland nur online im Direktvertrieb zu kaufen, da Leo Kokkonen und sein Partner Patric Wladimirov aktuell noch keinen Vertrieb in D haben. Das Komplettrad gibt es in einer etwas einfacheren Ausstattung ab ca. 4100.- Euro, den mit ca. 3.3 kg ausgesprochen schweren Rahmen für 2350.- Euro. Leider habe ich vergessen, das Komplettbike zu wiegen, ich würde aber sagen, dass es noch deutlich jenseits von 13,0 kg wog .. und damit weniger ein XC, als ein recht schweres Trailbike ist.
Jetzt bin ich als Architekt ja ein Mensch, der sich berufsbedingt viel mit Ästhetik auseinandersetzt und hatte schon viele abfällige Kommentare zu den POLE Bikes gelesen, die vielfach zuerst von dessen Hässlichkeit sprachen und dann erst von den „andersartigen“ Fahreigenschaften. Als das Evolink 110 dann aber das erste Mal live vor mir stand, war ich positiv überrascht. Für mich, als jemanden, dem viele Bikes erst mal zu kurz sind und ich das dann oft mit einem längeren Vorbau ausgleichen muss war es eine optische Wohltat, endlich mal ein langes Bike vor sich zu haben – ein richtig langes.
Weil als Testrunde der Fleckalm Trail in Kirchberg mit diversen nassen und technischen Passagen anstand, hatte ich erst mal etwas Skepsis wegen der aus meiner Sicht unterdimensionierten Reifen, vorne ein WTB Trailboss 2.25 und hinten der Nine Line 2.25. Ich dachte mir: „Egal. Viel wichtiger ist eh der vordere, der hintere wird eh nur mitgezogen….“ Und so war es auch. Es hat funktioniert … und wie! Nach der Auffahrt mit der Gondel galt es erst einmal, sich an das Bike zu gewöhnen. Nicht wegen der Reifen, sondern wegen der wirklich beachtlichen Länge. Bei der ersten engeren Kurve bin ich in hohem Tempo auch fast rausgeflogen. Ich musste kurz stehenbleiben und erst mal tief Luft holen. Man merkt dem Foto unten auch an, dass ich erst mal unsicher war. Die maximale Fahrsicherheit, von der c_g beim Evolink 140 EN gesprochen hat, hat sich bei mir nicht sofort eingestellt.
Weiter ging es dann erst mit etwas gemäßigterem Tempo und einem Herantasten an enge Kurvenradien. So hat es durchaus etwas gedauert, aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich schlicht etwas anders fahren und die Kurven etwas anders nehmen muss. Ich hatte das Gefühl, sie etwas weiter innen nehmen und am Kurvenende wieder an den Rand des Trails ausfahren zu müssen. Nicht viel, aber spürbar. Und dann ging es richtig ab.
Im Geradeauslauf über wurzelige, mit kleinen Stufen versetzte Trails habe ich dann das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Die Länge, gepaart mit dem flachen Lenkwinkel verleiht dem Bike eine wirklich unglaubliche Laufruhe, mit dem verbauten kurzen Vorbau dann aber wieder genügend Wendigkeit in Kurven. Den “traktionsschwachen” Reifen hinten habe ich nur wenig gespürt, da ich die Kurven nicht so eng genommen habe.
Auf dem Trail gibt es eine Schlüsselstelle für mich, bei der es nach einer kleinen Brücke erst mal im Wald steil bergab geht. Ich muss zugeben, dass ich hier mit dem Evolink 110 erst mal mit einem mulmigen Gefühl drüber bin, als ich unten war, dachte ich aber: Wow, war ja doch nicht so schlimm. Ich vermute, dass auch das wieder mit der Länge zusammenhängt. Wer sich noch an den Schritt von 26er auf 29er erinnern kann, weiß, dass die Überschlagsgefühle deutlich geringer wurden. So war es hier auch und der Zuwachs an subjektiver Sicherheit ist ähnlich – POLE Geometrie gibt wirklich mehr Sicherheit.
Allerdings hat die Rahmenkonstruktion auch einen für ein XC-Trailbike gravierenden Fehler: Das Sattelrohr ist relativ kurz und weil unten konifiziert, ließ sich die Stütze deshalb zu wenig absenken. Das Bild oben rechts zeigt die 400 mm EASTON Stütze maximal eingefahren. Mit einer Dropper-Stütze wie am Evolink 140 gefahren, währe mir das gar nicht aufgefallen. Wer also mehr als nur XC-Trails damit fahren will, sollte unbedingt eine Dropper-Stütze nachrüsten.
Eine weitere Schlüsselstelle für den Test der Bikes war für mich immer ein kurzes Bergaufstück, in der man die Uphilltauglichkeit der Bikes zumindest antesten konnte. Auch hier schnitt das POLE mit Bravour ab. Der Hinterbau bleibt auch offen sehr ruhig, neigt dank seiner speziellen Geometrie kaum zum Wippen.
Unten angekommen war ich dann erst mal hin und weg und habe dann noch die Chance genutzt, mit Leo ein paar Worte zu wechseln. Dabei hat er mir dann – während wir sprachen – noch die nächste Besonderheit genauer gezeigt, den das Rad aufweist: Auch wenn das nur für wenige ein Kaufargument sein wird, so lässt sich das Bike durch Herausziehen eines Bolzens mit nur wenigen Handgriffen, wie ein Klapprad zusammenfalten. Wenn man bedenkt, wie lang das Bike ist (der Mitarbeiter der Seilbahn hatte tatsächlich Schwierigkeiten, das Bike überhaupt in die Gondel zu bekommen J) umso überraschender ist dann das Paket anzuschauen, wenn es dann gefaltet dasteht.
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Kurztest-FAZIT: Alles in allem hinterlässt das POLE Evolink 110 TR nach der zweistündigen Testfahrt bei mir einen hervorragender Gesamteindruck. Hat man sich erst mal an die doch etwas „andere“ Fahrweise gewöhnt und fährt die Kurven anders an, so vermittelt das Bike eine traumwandlerische Sicherheit auf allen Trails. Ohne den Vergleich zum 140er Evolink hat mich persönlich auch der kurze und straffe Federweg kaum gestört – denn hier kommt die Gutmütigkeit und Fahrsicherheit weniger aus der Federung, als aus der Geometrie.
Auch das POLE Evolink 110 TR ist damit ein wirklich tolles Bike. Mein aufrichtiges Kompliment an Leo Kokkonen für seinen Mut, hier etwas ganz Anderes und Neues zu präsentieren und konsequent seinen Weg zu gehen! Wie schon beim Evolink 140 EN, das c_g gefahren ist, kann ich auch dem Evolink 110 TR attestieren, dass das Bike auf dem Trail eine grandiose Sicherheit vermittelt. Natürlich ist ein solcher Kurztest zu kurz für ein umfassendes Urteil, ganz besonders bei einem so andersartigen Bike wie dem POLE Evolink 110 TR, aber der erste Kurzeindruck ist vielversprechend.
OLI