EMD’17 # 6 – MARIN Wolf Ridge 9: von c_g

Es gab wohl keine andere 29er Neuheit auf dem Eurobike Media Days 2017 die mehr diskutiert wurde wie das bereits im Frühjahr vorgestellte MARIN Wolf Ridge. Bei jeder Pause kam wieder ein Testerkollege und fragte: „Und wie kommst du damit zurecht?“ Allein schon beim Anblick wird klar, das MARIN Wolf Ridge polarisiert. Die massiv wirkende Monocoque-Hinterbauschwinge des NAILD R3act-2Play Hinterbaus ist ein Anblick an den man sich erst einmal gewöhnen will.

Das MARIN Wolf Ridge mit der neuartigen Hinterbaukinematik war sicher eines der spannendsten 29er Bikes der Eurobike Media Days.

Dabei ist der Anspruch des Wolf Ridge ganz einfach formuliert: „One-Bike-for-All!“ Das 29er will trotz satter 160 mm Federweg bergauf so effizient und wippneutral sein wie deutlich kurzhubigere Bikes und zugleich soll es bergab andere Bikes seiner Federwegsklasse locker stehen lassen. Eine mutige Ansage und genau deswegen habe ich das spannende Bike gleich auf zwei Testrunden mitgenommen wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – eine in der man am ehesten ein XC-Bike testen würde und dann noch den bereits mehrfach angesprochenen Herrnsteig, eine sehr vielfältige und in Abschnitten auch richtig fordernde 1300-Tiefenmeter-Abfahrt vom Kronplatz hintuntet nach Reischach-Bruneck. Doch bevor wir auf meine Fahreindrücke zu sprechen kommen noch ein paar Details zum Bike selber.

Die große Besonderheit des MARIN Wolf Ridge ist der R3ACT-2Play Hinterbau entwickelt von Federungs-Guru Darrel Voss unter dem Markennamen NAILD. Diese spezielle Kinetik ist dabei keine Eigentenwicklung von  MARIN sondern wird von ihnen unter Lizenz im Wolf Ridge verbaut , nicht anders als es viele andere Hersteller mit den Hinterbau-Systemen von Dave Beagle machen. Neben MARIN verbaut  derzeit noch von POLYGON das System, dort in einem 180 mm Enduro im 27,5er Format. Ob 2018 auch noch andere folgen wird sich auf der Eurobike’17 zeigen. Die Besonderheit der Eingelenker-Kinematik ist dass die Monocoque-Einarmschwinge auf einem großen Führungsrohr frei gelagert ist. Durch die beiden Umlenkhebel geführt, kann sich die Schwinge auf dem Führungsrohr je nach Position im Federweg „verlängern“ oder „verkürzen“. Der Hauptdrehpunkt liegt dabei extrem weit vor dem Tretlager. Die Kinematik soll so nahezu ideale Anti-Squat-Werte über den gesamten Federweg erzielen, was einerseits für eine hohe Effizienz sorgen soll und andererseits die heutzutage übliche Dämpfung zur Fahrwerksberuhigung nahezu überflüssig machen soll. Nach Aussagen von MARIN ein „Quantensprung in der Federungstechnologie“.
Auch wenn äußerlich ganz normale Dämpfer im Wolf Ridge verbaut sind, sind diese ganz speziell für dieses Bike mit einer extrem geringen Dämpfung aufgebaut. Auf einen zusätzlichen Hebel für Plattformdämpfung oder Lockout verzichtet man komplett. Das nenne ich Selbstbewusstsein.


Um den Freiraum zwischen Schwinge und Rahmen vor Schmutzansammlung zu schützen, verfügt der Rahmen über einen festen Fender, der auf die Schwinge geschraubt ist. Aufgrund der komplexen Formen, die durch die spezielle Kinematik gefordert sind, gibt es das Wolf Ridge bis auf weiteres nur als Vollcarbonrahmen.

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Geometrie

Die Geometrie des Wolf Ridge ist dabei modern und Trail-lastig, aber keineswegs übertrieben progressiv. Der Lenkwinkel wird mit 66,5 ° angegeben und der Sitzwinkel mit moderaten 73,5°. Das effektive Oberrohr liegt mit 620 mm im Normbereich für einen Large Rahmen und auch die Reach/Stack-Werte sind mit 462 bzw. 636 mm in einem für ein Enduro erwarteten Bereich. Bemerkenswert ist allerdings die mit nur 435 mm angegebene Kettenstrebenlänge, die sich allerdings im Laufe des Federwegs ständig ändert.

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MARIN Wolf Ridge –Modelle

Derzeit gibt es drei Ausstattungsvarianten des MARIN Wolf Ridge. Noch sind keine Euro-Preise bekannt (die sind für Ende August angekündigt), zur Orientierung haben wir aber schon mal die US Preise genannt. Alle Wolf Ridge Modelle sollen bis Anfang Oktober verfügbar sein .

  

Unser Testbike, das Wolf Ridge 9 ist das mittlere der drei. Die 160 mm Federweg werden durch eine ROCK SHOX Lyric RCT3 Federgabel und einen Monarch R Debonair Dämpfer gewährleistet. Die übrige Ausstattung ist sehr hochwertig und leicht. Als Antrieb arbeitete einen SRAM X01 Eagle Gruppe mit 34er Kettenblatt. Die Verzögerung übernimmt die bewährte SRAM Guide RS.

Die Laufrädern sind NOTUBES Flow MK3 (29 mm Innenweite), dazu WTB Vigilante (f)/ WTB Breakout (r) 2,3 TCS Reifen. Aufgrund des großen Offsets des Sitzrohrs zum Tretlager verbaut MARIN eine KS Lev Dropper Stütze mit speziellem Setback-Kopf um die effektive Sitzposition wieder in den Normbereich zu bewegen. Der Hub der Stütze liegt bei vernünftigen 150 mm. Das Cockpit selber kommt von DEITY mit einem 50 mm langen Vorbau und 800 mm Lenker (25 mm Rise).
Das Gesamtgewicht des Testbikes in Gr. L war ohne Pedale sehr ordentliche 14,2 kg. Der US VK wird mit 6799 USD angegeben.

Das Topmodell, das Wolf Ridge Pro (oben links) wird dagegen mit einer FOX Float 36 FIT4 Federgabel, FOX Float X2 Dämpfer und E*THIRTEEN Carbon-Laufrädern, einem SRAM XX1 Antrieb und Guide Ultimate Bremsen etwas leichter aber auch deutlich teuerer sein. Hierzu gibt es einen US VK von 8599 USD. Neu und mit den Eurobike Media Days vorgestellt wird es auch ein Modell darunter geben, das Wolf Ridge 8 (oben rechts). Für einen US VK von ordentlichen 5199 USD bekommt man hier etwas einfachere ROCK SHOX Federelemente, FORMULA Alu-Laufräder und einen SRAM GX Eagle Antrieb.
Soviel zur Vorstellung des MARIN Wolf Ridge – nun aber zu den Erfahrungen mit dem innovativen Wonderbike auf den Trails rund um den Kronplatz.

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Praxiseindrücke

Gleich vorab eine Anmerkung: Noch mehr als bei den anderen Testbikes, die wir auf den Eurobike Media Days gefahren sind, stellt das MARIN Wolf Ridge ein außergewöhnliches Bike dar. Als Biker ist man es heute gewohnt, dass die Hinterbaucharakteristik sowohl durch die Federung, wie auch die Dämpfung bestimmt wird. Allein durch die spezielle Kinematik mit dem extrem wenig gedämpften Federbein hat sich das Wolf Ridge in manchen Situationen aber spürbar anders gefahren, als jedes Bike, das ich sonst kenne. In der Kürze der Zeit war es deshalb nicht möglich jede Facette des Bikes in aller Tiefe zu untersuchen. Deswegen bitten wir dies wirklich nur als einen ersten Eindruck zu werten. Wir hoffen sehr darauf noch dieses Jahr einen regulären TNI-Test mit einem MARIN Wolf Ridge machen zu können.

Das Marin Wolf Ridge Testbike auf dem Kronplatz, kurz vor der Abfahrt über den Herrnsteig.

Das erste, was beim Aufsitzen auf das Wolf Ridge auffällt, ist, dass es nicht weiter auffällt. Die Sitzposition ist gut gelungen. Die Gewichtsverteilung ist für meinen Geschmack ein klein wenig hecklastig, was sich aber allein schon durch Verstellen der Sattelposition wieder hat korrigieren lassen – mehr dazu weiter unten. Insgesamt ist das Wolf Ridge in Bike auf dem man sich sehr schnell wohlfühlt und dessen Geo einerseits viel Sicherheit vermittelt und zugleich noch zum Spielen auf dem Trail einlädt. Aus einer Sicht und für meine Proportionen ein sehr guter „Fit“ wie man heutzutage sagt.

Als maximal vielseitiges Bike musste das Wolf Ridge auch auf einer XC-Runde zeigen, was es kann.

Tritt man jedoch in die Pedale passiert etwas, das man erlebt haben muss. Einerseits reagiert der Hinterbau fast nicht auf Pedaleinflüsse, bleibt im Antritt trotz geringster Dämpfung sehr ruhig und effizient, und andererseits reagiert das Heck unglaublich feinfühlig und aktiv auf jede Gewichtsverlagerung, jeden Kieselstein auf dem Trail und jede Auf- und Ab-Bewegung des Fahrers. Ein wirklich ungewohntes Gefühl – einerseits sehr direkt und effizient und anderseits extrem sensibel und aktiv .. und das beides gleichzeitig. Ich muss zugeben, das ich eine Weile gebraucht habe mich auf der ersten tretlastigen Runde daran zu gewöhnen – der treffendste Vergleich ist das Gefühl, als würde man mit einem etwas zu geringen Luftdruck fahren.

Der NAILS Hinterbau erspart einem nicht das Treten, er bietet aber ein fast unglaubliches Maß an Traktion.

Ein großer Augenöffnermoment war für mich ein ganz besonders wurzeldurchsetzter und steiler Anstieg auf der Runde, den jeder von uns für „unfahrbar“ hielt. Ich habe es trotzdem versucht und bin das Ding gleich beim ersten Mal hochgekommen. Zufall? Auch beim zweiten und dritten Versuch hat der Hinterbau stets eine Traktion generiert, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte. Auch auf der weiteren Runde hat mich das Wolf Ridge noch ein paar Mal überrascht. Jeder von uns kennt diese großen Wurzeln im Uphill, die einen normalerweise richtig viel Schwung kosten. Mit dem Wolf Ridge bin ich sie einfach überfahren und hab e mir erst danach darüber Gedanken gemacht …


Ein Punkt ist mir trotzdem aufgefallen. Obgleich der Hinterbau bei Kettenzug und der Tretbewegung durch die ausgefeilte Kinematik sehr ruhig bleibt, bewirkt der durch die Steigung nach hinten verlagerte Fahrerschwerpunkt ein deutliches Absinken des Hinterbaus. Das wiederum sorgt in Kombination mit dem kompakten Heck dafür, dass sich der Schwerpunkt im Sitzen schnell der Hinterradachse annähert und man doch eher früh das Gewicht aktiv noch vorne bringen muss. Um dem ein wenig entgegen zu wirken, habe ich den Sattel schon recht früh im Test weit nach vorne geschoben, was dem Bike gerade auf den eher tret-lastigen Teilen der Testrunde für meinen Geschmack gut getan hat. Alternativ fährt ohnehin gleich im Wiegetritt bergauf was das Wolf Ridge mit einer schier endlosen Traktion quittiert.

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Und wie macht sich das MARIN Wolf Ridge bergab?

Kurz nach dem Einstieg zum Herrensteig waren wir in Nebel gehüllt – dem Trail-Vergnügen mit dem Wolf Ridge hat das aber keinen Abbruch getan.

Auf dem Herrnsteig, konnte es so richtig zeigen was es kann. Und es kann eine ganze Menge! Die ROCK SHOX Lyric Federgabel ist eine Wucht, aber der Hinterbau ist so was von feinfühlig und gleichzeitig potent, dass es mir zeitweise die Sprache verschlagen hat. Auf richtig groben High-Speed-Passagen gab es kaum ein Limit, weil der Hinterbau sich förmlich am Boden festsaugt und bei den diversen Drops zeigte sich, dass der Hinterbau trotzdem massive Reserven hat um auch weniger geglückten Landungen ihre Brisanz zu nehmen. Angesichts der hohen Sensibilität des aktiven Hinterbaus war diese Erkenntnis wenig überraschend, aber wie genau sich das auf den Trail anfühlt ist anders als man es bisher gewohnt ist. Angesichts dessen hatte ich erwartet, dass das Wolf Ridge eine aktive Fahrweise mit Sprüngen und dergleichen eher hemmt, aber zu meiner Überraschung kann man mit dem Bike auch wunderbar auf dem Hinterrad surfen oder es von einer kante in die Luft ziehen.

Auch in schnellen Anliegern, bitte das Bike ordentlich Gegendruck und lädt dazu ein das Gas stehen zu lassen.

Damit vereint das Wolf Ridge auch bergab zwei bisher leicht gegensätzliche Eigenschaften – Lebendigkeit und Komfort. Es tut dies aber mit einem Fahrgefühl, wie ich es vorher noch nicht kannte. Wenn man es positiv sieht – und das wäre meine Interpretation der Sache – dann bringt der R3act-2Play Hinterbau eine bisher unbekannte Ruhe ins Bike, die es bisher in dieser Federwegsklasse noch nicht gegeben hat und bewahrt trotzdem noch genug Lebendigkeit, dass der Spaß nicht zu kurz kommt. Andere Fahrer auf der Testrunde sahen das durchaus andersartige Federungsverhalten etwas kritischer und merkten „etwas zu wenig Feedback“, ein „übermäßig komfortbetontes Federungsverhalten“ oder einfach nur ein „Ich weiß noch nicht was es ist, aber dieses Bike ist einfach anders“.

Die übrige Ausstattung des Bikes, Gabel, Laufräder, Bremsen, Reifen usw. waren komplett unauffällig und funktionell ohne jeden Tadel.

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Zusammenfassung

Das MARIN Wolf Ring 9 ist wirklich ein bike wie kein anderes … deswegen hoffen wir auf einen ausführlichen Test später dieses Jahr.

Und damit möchte ich meine Fahreindrücke auch abschließen. Als ich nach den Testrunden mit dem Wolf Ridge mit einem breiten Grinsen im Gesicht unten im Expo-Gelände eingerollt bin, war mir klar: Das MARIN Wolf Ridge ist ein Bike wie kein anderes. Optisch sowieso, aber auch was seine Fahreigenschaften angeht, sticht es aus der Menge der Mitbewerber heraus. Der R3Act-2Play Hinterbau sorgt für Fahreigenschaften, die es bisher noch nicht gab – in den allermeisten Fällen positiv und in manchen Fällen einfach nur „anders“. Echte Performance-Defizite konnte ich während des Kurztests keine feststellen. Ob es wirklich ein „One-Bike-for-All“ ist, wage ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu sagen, das was ich erlebt habe, ist zumindest sehr vielversprechend. Diese Frage hoffen wir aber noch in einem ausführlichen Test zu klären.

RIDE ON,
c_g