Eurobike’16: TANTRUM CYCLES Missing Link – das neue Superbike?: von c_g
Manchmal passieren die besten Dinge einfach zufällig. So war es ein reiner Zufall, dass ich auf der Euorbike einem alten Bekannten (danke Matze J) über den Weg lief und er im Gespräch ein spannendes Bikekonzept erwähnte. Nur ein Mann und ein Bike, ohne Stand und nur auf der Messe um sich mit Interessierten über sein Bikekonzept zu unterhalten und Kontakte zu knüpfen. Ein Anruf und wir hatten einen spontanen Termin am nächsten Tag.
Wie sich schnell herausstellte, ist der Mann dahinter, Brian Berthold ein alter Hase in Sachen Fahrwerksentwicklung und war jahrelang in Automobilrennsport beschäftigt. Er ist auch der Mann, der die an sich recht geniale Magic Link Kinematik der KONA Bikes entwickelt hat – ein Konzept, das damals an einer eher durchschnittlichen Ausführung von Seiten KONA und vor allem mangelnder Aufklärung der Medien und Fahrer wenig Anklang gefunden hat.
Mit dem Missing Link Konzept seiner Eigenmarke TANTRUM CYCLES geht Brian nun noch einen Schritt weiter und hat eine Kinematik entwickelt, die komplex aussieht und nicht ganz trivial zu erklären ist, aber echt genial ist und mich wirklich begeistert hat.
FUNKTIONSWEISE: Durch die diversen Umlenkungen, allen voran der vertikal stehende Arm, der den Hauptdrehpunkt mit dem Dämpfer und den Kettenstreben verbindet (das ist das sogenannte Missing Link) erreicht man, dass sich der Hinterbau unter Pedalzug versteift, beim Überfahren von Hindernissen oder bergab, also ohne Pedalzug, dafür umso sensibler arbeitet. Bergauf soll sich das Missing Link Bike (fast) wie ein Hardtail fahren bergab sogar nach noch mehr anfühlen, wie es der Federweg suggeriert.
Hört sich zuerst wie eine Menge bekannter Marketingtexte an, doch wer wie ich einmal das Privileg hatte, das Missing Link mal in Aktion gesehen zu haben, wird verstehen, dass das hier auf einem komplett neuen Niveau funktioniert und wirklich mehr als nur Marketing dahinter steckt. Während alle andern Kinematiken eine sensible Balance aus aus Squat und Anti-Squat suchen, arbeitet das Magic Link etwas anders: Mit stärkerem Kettenzug wird das Missing Link zunehmend in die Vertikale rotiert und bildet mit der oberen Dämpferanlenkung fast eine Linie. Das wirkt wie ein Bein, das man durchstreckt – der Hinterbau bleibt steif und sinkt auch bergauf nicht mehr ein. Brian hat mir von einem Selbstversuch erzählt bei dem er unter Pedalzug aufs Bike steigt und der Hinterbau nicht zusammensinkt – erst als er den Pedalzug reduziert, klappt der Hinterbau in sich zusammen. Nimmt man aber den Zug vom Pedal, stellt sich der normale Sag, das „durchgestreckte Knie“ ist angewinkelt und kann frei arbeiten.
Was ich hier in vielen Worten versuche zu erklären hat Brian in einem Video schön gezeigt:
Steigt man auf das Bike und tritt in die Pedale bleibt der Hinterbau maximal steif und fühlt sich wirklich wie ein Hardtail an, rollt man über Hindernisse arbeitet der Hinterbau extrem sensibel … und all das ohne spürbare Antriebseinflüsse und vor allem ohne, dass man die Übergänge zwischen den beiden Modi überhaupt spürt.
Selbstverständlich bin ich mir bewusst, dass ein wenig Herumspielen auf der Messe keinen Test im Gelände ersetzt und dass es noch viele Details gibt, die man auf dem Wege nicht ergründen kann, aber was ich gesehen habe hat mich ehr als nur neugierig gemacht. Außerdem hat mein geschätzter Kollege Richard Cunningham sehr begeistert von seinen Praxiseindrücken mit einem TANTRUM Bike, dem 27,5“ Outburst mit 160 mm erzählt.
Bisher hat die Kinematik alles was es bräuchte eine echte Erfolgsstory zu werden – ganz ohne aufwendige Technologien, allein durch eine smarte mechanische Lösung hätte man ein Bike, das auch mit größeren Federwegen im Uphill klettert wie ein Hardtail und bergab sein vollles Potential offenbart – ganz ohne Lockout oder ähnlichem. Doch anstatt, dass sich die Firmen um das vielversprechende Konzept schlagen, gaben sich alle Marken, mit denen Brian Kontakt aufnahm zurückhaltend und wollten es nicht in ihren Bikes verbauen. Also hat Brian kurzerhand TANTRUM CYCLES gegründet und versucht parallel zu seinen Bemühungen das System in Lizenz zu verkaufen seien eigenen Bikes zu bauen.
Basierend auf dem gleichen Hauptrahmen und den gleichen Hinterbaurohren, mit den einzigen Unterschied in den anderen Umlenkhebeln und den austauschbaren Ausfallenden kann er so entweder ein 27,5er Enduro mit 162 mm Federweg oder einen 29er mit 125 mm Federweg aufbauen. Das 27,5er Enduro nennt er Meltdown (oben) und das 29er Trailbike Outburst (unten). Eine Zwitterversion mit 29er Front und 27,5er Heck nennt er Outdown.
…. Ach ja, die hier gezeigten Designs werden so nicht in Serie gehen. Das auf der Eurobike’16 gezeigte Bike (oben) hatte zwar schon die nächste Dekor-Generation war aber noch nicht final. Was aber bereits final ist , sind die Geometrie und Kinematik, das worauf es auf dem Trail wirklich ankommt.
RIDE ON,
c_g
Ps: Demnächst wird TANTRUM CYLCES eine Kickstarterkampagne starten um die Produktion der ersten Serienrahmen zu finanzieren. Gegenüber dem normalen VK von ca. 2600.- USD für den Rahmen, können sich die ersten „Backer“ ordentlich Geld sparen … wer also Interesse an diesem heilversprechenden Bike hat, sollte in den kommenden Wochen hin und wieder auf der TANTRUM Webseite vorbeischaut. Wir würden uns freuen, wenn das spannende Konzept nicht schon in den Startlöchern stecke bleiben würde.
Update (02.12.2016): Die Kickstarter Kampagne ist nun aktiv und läuft noch bis zum 2. Januar 2017. Gegenüber den oben genannten Daten wurde die Geometrie noch ein wenig moderner (längerer Reach und kürzere Hinterbauten) und das angepeilte Gewicht ist von 3400 au unter 3200 g für einen Rahmen gesenkt wurden.
Update (01.12.2016: Die Kickstarter Kampagne hat ihr Finazierungsziel von 50.000 Euro bereits in der Hälfte der Zeit erreicht. Die Missing Link Bikes werden also 2017 Realität werden! Noch kann man daran teilnehmen will und sich ordentlich Discounts auf Rahmenkits oder Komplettbikes sichern.
Ein Bike welches nicht einfedern kann, während man kräftig in die Pedale tritt; ist das denn erstrebenswert?
An Georg: es ist nicht so, wie Du „postulierst“, schau mal das zweite Video von Herr B. (Tantrum Cycles Missing Link Suspension Tech Talk 2): https://www.youtube.com/watch?v=pjlyimeL7yM
Das Missing Link ähnelt sehr einem Kniehebel. Und der blockiert in Endposition.
Unabhängig von der Konstruktion erwarte ich von einem Fully, dass selbiges bergauf über Stufen hinweg hilft. Also einfedert, auch im ersten Gang bei hohem Krafteinsatz. Solange das nicht explizit getestet ist habe ich da meine Zweifel.
Berthold: „It works great, but bikes are pretty darn good right now and we don’t want to allocate the time and expense to develop a new suspension.“
Warum sollte ich als Kunde noch mehr Lager ans Bike schrauben? Mein Viergelenker ist wirklich nicht schlecht.
Ich kann dem vorigen Beitrag von Georg nur zustimmen.
Fahrräder (und alle anderen clever konstruierten technischen Gegenstände) faszinieren mich in erster Linie aufgrund ihrer technischen Unkompliziertheit.
Ich habe mir allerdings trotzdem ein Fully angeschafft, hauptsächlich um damit mehr Traktion bergauf zu haben.
Ein gutes Fahrwerk muss stets aktiv sein, darf aber nicht wippen.
Mit der heute zur Verfügung stehenden Dämpfertechnologie ist auch die Renaissance der Eingelenker möglich und wurde z.T. durch Bikes wie Orange, Santa Cruz Superlight, ICB 2.0 etc. auch schon umgesetzt.
Also lieber mehr KISS (keep it simple, stupid) als mehr Lager und Hebelchen.
Ich bin auch sehr wohl für die Philosophie „keep-it-simple“, und jetzt kommt spontan die Frage: welches System is simpler?
Einerseits stehen Systeme, die um nicht zu wippen, Dämpfer mit Lock-out / Platform / low-speed-circuit brauchen; also Systeme, die ziemlich komplexe Dämpfer benötigen.
Andererseits steht ein System, das lediglich mit zwei zusätzliche Kugellager und einen Missing-link – und einem simplen Dämpfer – aktiv und gleichzeitig stabil bleibt.