ORBEA Occam TR M10 – Testfazit: von c_g
Vor knapp über 2 Wochen habe ich euch das ORBEA Occam TR M10 29er in allen seinen Details vorgestellt (Intro hier). Nach dem NORCO Optic 9.2 ist des das zweite Bike in Folge, das man der noch jungen aber vielversprechenden Kategorie der modernen 29er Short-Travel-Trailbikes zuordnen kann. Dabei war das ORBEA Occam tatsächlich eines der ersten seiner Art – es wurde bereits im Sommer 2015 vorgestellt und war noch dazu eines der ersten 29er Bikes, welches den damals noch sehr umstrittenen Boost Standard nutzen um das Heck schön kompakt zu halten.
Also, wie hat sich das schicke Carbonbike aus dem Baskenland in den letzen 2 Wochen geschlagen?
Rückblickend hat es mir das Occam TR wirklich angetan. Gerade weil ich es unmittelbar nach dem Optic gefahren bin, sind mir auch sofort viele Parallelen aufgefallen:
So zeigt auch das Occam TR ein wunderbar verspieltes und dennoch sicheres Handling, das einen in allen Lagen viel Spaß macht und einen sanft dazu anspornt mehr zu geben – sei es auf der Trainingsrunde beim Kilometersammeln, oder eben auch beim Spiel mit technischeren Trails.
Hier ergeben der tendenziell flache Lenkwinkel von 68°, der steile Sitzwinkel von 74,5° und das moderate kompakte Heck mit einer Kettenstrebenlänge von 435 mm ein insgesamt wunderbar gelungenes Handling an dem es einfach nichts auszusetzen gibt. Egal ob auf langen Forstrassen bergauf im Wiegetritt, oder sehr steile Rampen, das Occam erklimmt jede Steigung souverän. Bergab mag es auf den ersten Blick vielleicht zu agil und verspielt wirken, aber immer, wenn ich erwartet hatte, dass das Occam TR in diesem Abschnitt zu kämpfen haben würde, kam es ohne echte Schwächen oder einen Moment der Unsicherheit durch. Der einzige limitierende Faktor an dem Bike sind die Serienreifen und je nach Fahrstil und Fahrergewicht die Gabel, aber dazu mehr weiter unten. Zur Geometrie und dem resultierenden Handling kann ich also nicht wirklich mehr hinzufügen, als dass sie extrem gut gelungen sind und das Occam TR unglaublich vielseitig machen.
Der Vollcarbonrahmen selbst trägt natürlich auch seinen Teil dazu bei. Er ist nicht nur leicht, sondern auch sehr steif und vermittelt eine ausgezeichnete Lenkpräzision und Kraftübertragung.
Ein echtes Highlight des Occam TR ist dabei die Federung, denn sie ist nicht nur super effizient, sondern auch fähiger im Groben, als man ihr zutrauen würde. Auch hier gab es keine Situation, in der ich die Plattformdämpfung oder gar den Lockout des Dämpfer je wirklich gebraucht hätte. Simply Ride – heißt hier die Devise, denn man kann die Federelemente getrost einfach offen lassen. Ich glaube nicht dass es nur an den 10 mm mehr Federweg liegt, aber wenn das Gelände fordernder wurde, hat mir die Heckfederung des Occam sogar noch besser gefallen. So gibt es auf einer meiner üblichen Testrunden einen Abschnitt bei dem man mit Full-Speed über einen richtig groben Wurzelteppich fährt – einen von der Art, dass man selbst bei einem 140 mm Fully dankbar für jeden Millimeter ist und bei dem das Optic mehrfach an seine grenzen gekommen ist. Nicht so das Occam TR, das hier so satt und gelassen über die Wurzeln gefahren ist, dass ich es noch mal erfahren musste um es wirklich zu glauben. Was die Federungsperformance angeht, kann es der Hinterbau durchaus mit Bikes aufnehmen, die noch mehr Federweg haben.
Dafür war der FOX Float 32er Gabel hier durchaus anzumerken, dass sie in Sachen Steifigkeit mitunter am Limit ihrer Komfortzone bewegt wurde. Man muss dabei bedenken, dass ich das Bike wirklich gefordert habe – sowohl mit den gefahrenen Trails, wie auch mit meinem Gewicht, das mit Rucksack auch gerne mal die 90-kg-Marke knackt. Da darf man es der Fox 32 durchaus nachsehen, wenn sie unter leichten Schwächen in der Steifigkeit leidet. Leichtere, oder weniger aggressive Fahrer dürften hier keine Nachteile spüren zumal die Dämpfung und Federungsperformance erstklassig funktioniert und eigentlich sehr gut mit dem Heck harmoniert. Andererseits spart die F32 gegenüber der F34 auch etwas Gewicht und davon profitiert das Occam TR mit unter 12 kg natürlich auch.
Was die übrige Ausstattung angeht, sind mir ein paar Dinge aufgefallen, die je nach Fahrer als Vor- oder Nachteil auszulegen sind:
Da wäre einmal das 28er Einfach-Kettenblatt des Testbikes, das zwar auch extremste Anstiege erträglich macht, aber auf Strecke durchaus an seine Grenzen kommt. Weil ORBEA jedes Bike aber ab Werk das Occam TR aber mit 2×1 ausliefert und das EInfach-Kettenblatt lediglich als Zubehör mitliefert, kann jeder für sich entscheiden welche Variante er fahren möchte – angesichts der Vielseitigkeit des Bikes würde ich auf alle Fälle die 2×11 Version vorziehen.
Auch hier tendiert die Bereifung eher in Richtung XC, bzw. trockene Trails. Mit einem MAXXIS Ardent 2.4 EXO vorne und einem MAXXIS Ardent Race 2.2 EXO hinten sind zweifelsohne sehr gute Reifen spezifiziert. Sie kommen aber auf nassen Trails sehr schnell ans Limit. Die oft günstigen Trailbedingungen haben es mir in der Kürze des Tests dennoch erlaubt, das Bike auch mit den Serienreifen auszufahren.
Ein Punkt, der mir allerdings schon aufgefallen ist, ist die sehr geringe Innenweite der DT-SWISS Laufräder. Mit gerade mal 20 mm braucht man gerade beim 2.4er Vorderreifen recht hohe Drücke damit der Reifen in Kurven nicht zu sehr walkt. Auch hier werden leichtere und sanftere Fahrer den Effekt weniger deutlich spüren, wie aggressive und schwere, aber es wäre generell wünschenswert, wenn das ORBEA hier kommende Saison etwas breitere Felgen spezifizieren würde. Was die reine Steifigkeit und Präzision der Laufräder angeht, konnte ich keine Defizite feststellen.
Was die Wahl der Cockpitkomponenten angeht, passte alles – der moderat kurze 70 mm Vorbau und der breite 760 mm Lanker, waren ein idealer Kompromiss, zwischen Trail-Handling und Langstreckenkomfort. Die RACE FACE Nelson waren nicht nur farblich ideal für das Bike, auch in Sachen Grip und Dämpfung hab eich sie sehr schnell lieb gewonnen. Auch wenn s angesichts der serienmäßigen Dropper-Post etwas vermessen ist, so hätte ich mir hin und wieder etwas mehr Absenkung gewünscht – 150 mm statt der verbauten 125 wären angesichts des Bikepotentials ideal gewesen.
Zusammenfassung: Mit einer erstklassigen Geometrie, einer extrem fähigen Kinematik und Federungsabstimmung schafft das ORBEA Occam den Spagat zwischen Effizienz und Trailtauglichkeit extrem gut und ist ein sehr positives Beispiel für das neue Genre der 29er Short Travel Trail Bikes. Für schwere und aggressive Fahrer täten dem Occam TR eine steifere Gabel und breitere Laufräder gut, aber für Fahrer, die ohnehin eher sportliche Touren und Marathons damit fahren wollen, ist das Bike schon so absolut perfekt.
RIDE ON,
c_g