RITCHEY P-29er Bike – Kurztest: von Grannygear
Es ist schon lange her, seit ich mit einem guten 29er Stahl-Hardtail unterwegs gewesen bin. Ich habe früher ein paar besessen, die meisten von ihnen waren als Singlespeeder aufgebaut gewesen und überhaupt ist das schon recht lange her. Als sich mir also die Gelegenheit bot, eine 2015er Version des RITCHEY P-29 zu testen, war ich gespannt und neugierig. Und ich bin froh, dass ich es gemacht habe, denn es hat mir wirklich die Augen geöffnet, wie gut Stahl heutzutage immer noch ist … auch in der heutigen Zeit wo jeder nur noch Carbonrahmen will.
Tom RITCHEY kennt sich aus mit Stahlrohren und wie man sie noch weiter verbessert: Hier ein Auszug aus der RITCHEY-Webseite:
Die Rückkehr des legendären RITCHEY Mountainbikes. Tom RITCHEY hat Jahrzehnte an Erfahrung im Bikerennsport, Design und der Fertigung von Stahlmountainbikes und die sind alle in das P-29er mit eingeflossen.
Wie jedes RITCHEY, wurde auch dieses Bike geboren um damit schnell unterwegs zu sein, ohne Kompromisse in Sachen Komfort und Haltbarkeit einzugehen. Wärmebehandelter, dreifach konifizierter RITCHEY Logik II Stahl in unsere eigenen, einzigartigen Konifizierung führt zu einem Rahmen, der sowohl sich im groben Gelände bewährt, wie auch im Sprint mit hoher Steifigkeit aufwartet.
Die 29er-spezifische Geometrie wurde in unzähligen Stunden im Sattel unter Tom RITCHEY, WM-Legende Thomas Frischknecht und andere Rennfahrer entwickelt, die genau wissen was zählt. Das Ergebnis: Ein agiles Handling, das die Vorteile der großen Rädern voll ausnutzt, stabil, aber nicht träge, ebenso zu Hause auf epischen Touren auf engen, technischen Singletrails oder auch der XC-Rennstrecke.
- Größen: S (15 „), M (17“), L (19 „), XL (21“)
- Gewicht: 2150g (in Größe L / 19 „) für Federgabeln mit 100mm Federweg ausgelegt
- NEU FÜR 2015: leichterer Rahmen und einfacher vertikalen Ausfallenden
- NEU FÜR 2015: geschmiedetes und gefrästes konisches Steuerrohr
- Der VK für den Rahmen allein liegt bei 890 Euro (nur als Rahmen erhältlich)
Dieses spezielle Bike ist aus der RITCHEY Demo-Flotte, mit einem Aufbau der alles enthält, was RITCHEY zu bieten hat. Insgesamt sehr schön, aber nicht zu extravagant. Es ist ein XL (21″) Rahmen, der mit seinem 635mm Oberrohr sehr gut auf meine schlaksigen 1,88 m passt.
Wie oben schon erwähnt verkauft RITCHEY nur Komponenten wie Sattelstützen, Vorbauten, Laufräder, Reifen usw., und aber nicht komplette Fahrräder – das P-29 gibt es nur als Rahmenkit mit integriertem Steuersatz. Da es bereits zusammengebaut zu mir kam, kann ich das Rahmensgewicht alleine nicht bestätigen, aber meine Erfahrung mit meinem RITCHEY Logic Rennradrahmen zeigen, dass die angegebenen Gewichte wahrscheinlich recht genau sind. Knapp über 2 kg sind in Zeiten der 1 kg Carbonrahmen nicht bahnbrechend, aber für einen Stahlrahmen ist das recht beachtlich. Außerdem liegt der VK auch deutlich niedriger als bei einem Top-End-Carbonrahmen.
Zudem ist das RITCHEY P-29 ein wirklich schönes Bike. Es ist ein gut aussehendes Fahrrad. Ich liebe das schlanke Steuerrohr, das obwohl es für konische Gabeln ausgelegt ist, sehr grazil aussieht. So was bekommt man noch nicht einmal für die doppelte Kosten an einem Full-Custombike. Auf alle Fälle ist das P-29 ein frischer Hauch in einer Welt die von großvolumigen Carbonrahmen dominiert wird.
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Ausstattung:
Die Laufräder sind die neuen WCS Trail 29, und sie sind mit einem 2,2″ Version des Z-Max Evolution Reifen vorne und hinten (mit Rohren installiert) gewickelt. Die Sattelstütze ist ein WCS Trail Alu-Modell mit der bekannten Doppelklemmung (siehe unser ausführlicher Test der Trail-Komponenten). Der Sattel ist ein WCS Zeromax. Die Bremsen sind TRP Quadiem 4-Kolben Discs mit 160mm Rotoren vorne und hinten. Schaltung und Antrieb stammen von SRAM in Form der XO1 1×11 Gruppe mit einem 30er Kettenblatt.
Eine Besonderheit ist der WCS Carbon Bullmoose Bar, ein High-Tech Carbon-Version der ursprünglichen, klassischen einteiligen Lenker-/Vorbaueinheit, die damals aus Stahl war, wenn ich mich recht erinnere. Abschließend hat das P-29 noch schön geformte RITCHEY WCS Ergo True Grip Schaumstoffgriffe, die es auf gerade mal 36g bringen.
Die Gabel ist eine ROCK SHOX SID mit einer Motion Control DNA Dämpfung und – seltsam genug – mit 9mm Schnellspannerausfallenden, auch wenn die Vorderradnabe ein 15mm Steckachse hat. Um die beiden gegensätzlichen Standards miteinander zu kombinieren, nutzt RITCHEY einen speziellen Adapter an der Nabe. Komisch für ein Demobike, aber mich soll’s nicht stören.
Früher in den Zeiten als es nur 26“ MTBs gab haben die Ziffern der RITCHEY ‚P‘ Bikes deren Gewicht in Pfund bezeichnet. Es gab ein P-23 und P-21. Beim P-29 steht der Name für das Laufradformat. Unser Testbike kommt mit samt der RITCHEY WCS Paradigm Pro Pedale auf 11,33 kg oder glatte 25 Pfund.
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Ich bin das P-29 nur ein paar Mal gefahren, da wir das Bike kürzer als normal hatten, aber ich habe ein gutes Gefühl dafür bekommen. Ich bin es auf meinen typischen lokalen Trails und Forstrassen unter sommerlichen Bedingungen und auch auf einem 2-Tage Bikepacking-Trip.
Die erste Ausfahrt war zuerst ein paar Meilen auf Asphalt- und Schotterstraßen und ehrlich gesagt, hat sich das RITCHEY ganz normal gefahren. Nicht schlecht, wohlgemerkt, aber eben auch nicht bemerkenswert. Die Alu-Sattelstütze ist nur mäßig komfortabel und wäre nicht der angenehm geformte und gepolsterte Sattel würde ich das Bike als eher straff bezeichnen. Ich bin die Reifen mit rund 1,5 bis 1,65 bar gefahren und auf den breiten Felgen hatten die 2.2er Reifen, ein schönes Profil und ordentlich Volumen. Im Sitzen im Wiegetritt konnte ich kaum Flex im Tretlager oder Hinterbau erspüren.
Der erste steile Anstieg, etwa 10 Minuten hart am Limit, hat gezeigt, dass das P-29 ein echt gut kletterndes Bike ist. Das einzige Minus ist das Gewicht mit 11,3 kg weswegen ich damit nicht unbedingt auf ein Bergrennen gehen würde. Insgesamt hat mir das Handling und Fahrgefühl des P-29 auch bergauf sehr gut gefallen. So langsam habe ich mich daran erinnert warum Stahl auch heute noch seine Anhänger findet. Die Art und Weise wie der moderate 70° Lenkwinkel das Bike gleichermaßen Agil, wie auch vortriebsstark hält ist ebenfalls ein guter Kompromiss. So weit so gut, aber nichts Besonderes.
Aber dann ging es über einen schnellen und engen Singletrails nach unten, immer wieder mit babykopfgroßen Felsen und Spurrinnen. Die RITCHEY P-29 erwachte hier plötzlich zum Leben, und erinnerte mich daran, wie der Stahlrahmen einen wunderschön lebendiges Fahrgefühl über groben Untergrund vermittelt. Oh Mann … das hat Spaß gemacht. Und der Rest der Singletrails war genau so; die Chassis nahm den Schlägen die Kraftspitzen und war einfach nur toll zu fahren. So ein Fahrgefühl kriegt ein Carbonrahmen nur sehr schwer hin. Nicht falsch verstehen, Carbon ist auch ein wirklich tolles Material, aber eben auf eine andere Weise. Stahl fühlt sich lebendig an, wenn man das überhaupt über ein Fahrrad sagen kann.
Die nächste Fahrt war ein Übernacht-Trip, bei dem ich einige BLACKBURN Produkte auszuprobieren wollte. Ich lud meine Sachen auf und machte mich auf um mein Nachtlager auf einem nahegelegenen Berggipfel zu erreichen. Um dorthin zu gelangen musste ich ziemlich viel auf schlechten Asphalt- und auf schwer ausgewaschenen Schotterstrassen zurücklegen. Auf dieser Strecke von gut 5h hat das RITCHEY für mich seinen Zenit erreicht. Solange man nicht versicht ständig seine Strava KOMs zu brechen ist das P-29 aus meiner Sicht ein fabelhaftes Bike. Das ruhige Handling, das stimmige und einfache Hardtail-Design passen einfach zueinander und ergeben in Summe ein einfach gutes Bike.
Auf den weiteren Ausfahrten, meistens kürzere Trailrunden von 1-4 h ist der Eindruck mehrfach bestätigt worden.
Einige zusammenfassende Gedanken zu dem RITCHEY P-29 als Ganzes, zu seinen Teilen und auch zum Thema Stahl als Fahrradrahmenmaterial:
- Die 11,3 kg des P-29 fühlen sich nur schwer, wenn man vorher ein 10 kg Bike wie mein letztes Hardtail SCOTT Scale HMX gefahren. Trotzdem bin ich ein wenig überrascht, dass das P-29 nicht noch leichter war, obwohl man noch ein wenig am Gewicht bei den Rädern und Reifen feilen könnte. Mit der SRAM XO1 ist man schon ziemlich am Limit dessen, was man gewichtstechnisch sinnvoll hinbekommt.
- Der Grundtenor des Fahrrads könnte der eines klassischen XC Race-Hardtails sein, natürlich passen hier die leichteren Carbon- oder Aluminium-Rahmen einfach besser. Aber für den Preis eines P-29 bekommt man in der Regel nur einen halben High-End Carbonrahmen. Außerdem wäre der Rahmen durch seine deutlich spürbare Eigendämpfung ein echter Geheimtipp für Ausdauerrennen und lange Touren bei denen das Handling und der Fahrkomfort mehr zählen als pure Beschleunigung. Und als Allroundbike und für Bikepacking ist es einfach perfekt.
- Die TRP Bremsen funktionierten kaum, als ich das Fahrrad bekommen habe und auch nachdem ich die Scheiben gereinigt und die Beläge abgeschliffen hatte, war sie bestenfalls noch mäßig gut. Es kann sein, dass nur mein Testmuster solche Probleme hatte, aber insgesamt blieb ich nur mäßig beeindruckt von deren Funktion und Bremsperformance.
- Die Erfahrungen mit der Carbon WCS Bullmoose Vorbau-/Lenkereinheit waren ebenfalls gemischt. Für fast 300 Euro und ca. 280 g sind sie ein bisschen billiger als ein separater High-End-Carbonlenker und –vorbau von RITCHEY, aber auch ein bisschen schwerer. Wenn es aber um die Eigendämpfung geht ist die Kombi absolut genial. Diese würden auf einem Starrbike unglaubliches leisten. Aber weil sie eben eine feste Einheit sind, kann man nichts daran ändern, ohne gleich das gesamte Cockpit zu tauschen – man sollte sich beim Kauf also wirklich sicher sein. Zum Beispiel die Lenkerneigung. Ich mag die Kröpfung meines Lenkers leicht nach oben gedreht, aber beim Bullmoose ist der genau horizontal und eben auch nicht verstellbar. Und so gab es keine einzige Ausfahrt bei der ich mir nicht gewünscht hätte den Lenker nach obne drehen zu können.
- Die RITCHEY Laufräder waren dagegen mit ca. 1675g pro Satz und 25 mm Innenbreite wirklich sehr nett… tubeless-ready natürlich. Ich fühlte mich nie, als würden sie mich in irgendeiner Weise zurückhalten, aber ich bin dieses Bike auch nie wirklich aggressiv gefahren.
- Die Reifen … hmmm … ich bin mir nicht sicher. In der Vergangenheit bin ich ein paar Sätze der original Z-Max Reifen gefahren und ich erinnere mich daran sie OK gefunden zu haben. Und genau so erginge es mir auch dieses mal. Bei dem Bikepacking Trip hat er mich aber wirklich enttäuscht indem er wirklich jeder Spurrille nachgelaufen ist und auf jeder auch nur leicht abschüssigen Wurzel weggerutscht ist. Wirklich kein Spaß
- Stahl – Steel is real. Ich hätte es vorher nicht geglaubt, aber nach so langer Zeit wieder auf einem Stahlrahmen hat es mir bewiesen – das Fahrgefühl ist anders. Effizient und spritzig im Antritt und lebendig agil über rauen Untergrund. Wo Carbon je nach Konstruktion die Vibrationen entweder ungefiltert weitergibt oder extrem abdämpft, lässt Stahl einen alles spüren ohne es sich so direkt oder harsch fährt wie etwa Aluminium. Nur in einem Teilstück mit sehr loser Steinauflage, in der man am besten drübersurft anstatt zu bremsen oder zu lenken, wurde die Lebendigkeit zur Nervosität. Hier war mein SCOTT Scale mit HMX Rahmen etwas ruhiger, aber das mag auch an der Geometrie gelegen haben. Ich bleibe dabei- Stahl ist auch heute als Rahmenmaterial keineswegs veraltet, aber es muss sich insbesondere wegen des Gewichts ziemlich ins Zeug legen um mit wirklich guten Carbonrahmen mithalten zu können. Wem es nicht auf die letzte Sekunde im Bergsprint ankommt, für den bleibt es eine echte Alternative mit echten Vorzügen. Ich persönlich schätze auch nach diesem Test weiterhin einen guten Carbonrahmen, habe mich aber wieder ganz neu in Stahl verliebt.
- Ich verstehe warum RITCHEY beim neuesten P-29 die Option weggelassen hat den Rahmen als Singlespeeder aufzubauen – Singlespeeding ist einfach nicht mehr so cool und angesagt wie noch vor ein paar Jahren. Dennoch tut es mir gerade bei diesem Bike irgendwie leid.
Abschließendes Fazit: Der neue RITCHEY P-29 ist elegant, einfach, und zeitlos – eine moderne Interpretation des Werkstoffs Stahl in einem wirklich gelungenen 29er.
Grannygear