SCHWALBE Procore – Update: Luftdruck und Notlauf: von c_g
Wenn es nach den allerersten Eindrücken geht, so ist das Doppelkammer-Reifensystem Procore von SCHWALBE (hier vorgestellt) eine echte Revolution für alle die nach immer mehr Traktion und Komfort gieren: Der Grip und das Überrollverhalten wie mit einem Plus-Reifen, dazu ein Pannenschutz der alles bisher dagewesene in den Schatten stellt und zu guter Letzt auch noch die Tatsache, dass Procore die Tubeless-Problematik stark entschärft in dem der Hauptreifen auch schon ohne Luft fast abgedichtet wird. Und das alles in einem System, das von außen fast unsichtbar seine Dienste tut.
Zugegeben, das Mehrgewicht von bis zu 250 g gegenüber einem vorherigen Tubeless-Setup, muss man zuerst schlucken, aber um ehrlich zu sein, ist mir das angesichts der oben genannten Vorteile nie groß aufgefallen. Auch der Preis ist mit 195.- Euro durchaus nicht ganz außer Acht zu lassen.
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LUFTDRUCK:
In den letzten Wochen hatte ich viel Gelegenheit mit dem Luftdruck in der Praxis herumzuspielen. Zur Erinnerung: SCHWALBE selber gibt Drücke von 0,8 bis 1,5 bar nennt SCHWALBE für die Hauptkammer und 4 bis 6 bar für die Innenkammer an.
Die ersten Fahrversuche, welche auch in den ersten Eindrücken verarbeitet wurden, habe ich mit 1,25 bar vorne wie hinten gemacht … und war begeistert. Doch wer sich je auf der Suche nach mehr Traktion und Komfort via Reifendruck gemacht hat, weiß: Je geringer der Luftdruck, desto höher die Traktion und auch der Komfort. Den Durchschlagschutz würde ja der Procore Innenreifen übernehmen. Aber wie seiht es mit der Stabilität und dem Fahrgefühl aus?
Also bin ich mit den Drücken schrittweise immer weiter runtergegangen. Dabei war ich überrascht wie gut ich auf gemäßigten Trails vorne bis auf unter 1,0 bar runtergehen konnte. Dabei spürt man schon wie der Reifen in manchen Situationen an Lenkpräzision verliert, aber unter normalen Umständen ist er auch dann noch sehr gut fahrbar … bei einfach göttlichem Komfort und Grip. Nur bei aggressiven Kurvenfahrten auf harten Untergrund und bei Sprüngen (sowohl beim Abdrücken, wie auch beim Landen) ist mir dann der Reifen heftig weggeknickt. Nach meinen bisherigen Erfahrungen ist das Bike als tatsächlicher einen weiten Bereich hin gut fahrbar. Das Gelände und der Fahrstil bestimmen ab wann man die zunehmende Instabilität für nicht mehr hinnehmbar empfindet. Für mich persönlich (90 kg inkl. Gepäck) und meine Wurzeltrails fand ich um die 1,1 bar vorne wie hinten am besten und bin nur in Ausfahrten mit sehr vielen Sprüngen auf bis 1,25 bar hochgegangen. Den Gegenversuch hin zu Drücken über 1,25 bar habe ich erst gar nicht gemacht, weil sich der Reifen dann einfach nur immer mehr wie ein normaler Reifen fährt und man damit Procore nur noch zum Durchschlagschutz für Extremfälle degradieren würde.
Auf dem Weg hin zum optimalen Luftdruck musste ich allerdings noch eine interessante Hürde nehmen: Beim Überfahren von Hindernissen hat mein Procore-System hinten merkwürdige Quiekgeräusche hervorgebracht. Was passiert da? Ganz einfach. Sobald die Hauptkammer stark komprimiert wird, berührt der Außenreifen den Procore-Innenreifen und wenn dann noch leichte Scherkräfte hinzukommen, reiben Haupt- und Innenreifen quiekend aneinander. Ich muss zugeben, dass ich bei solchen Sachen recht empfindlich bin und so bin ich hinten einfach immer wieder mit dem Luftdruck auf sorgen und weitgehend geräuschfreie 1,25 bar raufgegangen. Erst als ich kurz vor Fertigstellung dieses Berichtes einen anderen HR-Reifen montiert habe (das Intro dazu demnächst) war die Geräuschentwicklung fast vollkommen weg. Offensichtlich ist der Effekt nicht allein der Oberfläche des PROCORE Innenreifens zuzuschreiben, sondern auch dem verwendeten Außenreifen selber. Scheinbar gibt es Kombinationen, die hier gutmütiger sind als andere.
Ich habe bereits SCHWALBE kontaktiert um zu erfahren wie sehr das ein Einzelfall ist oder ob man da Verbesserungsbedarf sieht, aber aufgrund der aktuellen Sommerurlaubszeit kann es noch einer wenig dauern bis die Antwort hierzu kommt
Egal ob bei unter 1,0 oder bei 1,25 bar einen Defekt, Luftverlust aus der Hauptkammer oder sonstige echte Auffälligkeiten, konnte ich dem System nie entlocken. Das wiederum bedeutet auch für die Felgenhersteller, dass sie bei der Konstruktion ihrer Felgen mit Procore die Stabilität, bzw. die Durchschlagsfestigkeit der Flanken ganz anders auslegen könnten …
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REIFENSTABILISIERUNG:
Was allerdings noch wichtig zu erwähnen ist, ist dass der Außenreifen durch Procore nur bedingt stabilisiert wird. Gerade in Schrägfahrten oder schnell gefahrenen Kurven auf festem Untergrund walkt der Reifen bei sehr niedrigen Drücken (bei mir unter 1,1 bar) schon deutlich spürbar und lässt je nach Fahrweise und Luftdruck weiterhin ein schwammiges und zum Teil unsicheres Fahrgefühl aufkommen. Allein das komplette Abknicken über dem Felgenhorn wird verhindert, da sich der Reifen zuerst um den Innenschlauch legen muss. Um den Reifen aber so weit zu pushen, bedarf es schon sehr viel Mut und fahrerisches Können … oder eben extrem niedriger Drücke.
De Facto verhindert Procore also tatsächlich ein komplettes Abknicken des Reifens, lässt ihm aber noch sehr viel Spielraum um in vielen Situationen noch stark zu walken. Insbesondere bei unsauberen Landungen in leichter Schräglage ist mir das immer wieder aufgefallen, wie sich der Reifen zuerst anfühlt als würde er wegschmieren um sich dann doch wieder komplett zu fangen.
–> Auch in Zeiten von Procore scheint es also als würden breite Felgen weiterhin ihre Bedeutung beibehalten um den Reifen bei niedrigen Drücken zu stabilisieren. Evtl. werden wir im Laufe des Lanzeittests noch eine Kombi mit einer schmäleren Felge ausprobieren – denn die AMERICAN CLASSIC Wide Lighting gehört definitiv zur Spezies der ausgesprochen breiten Felgen.
Anmerkung: Wohlgemerkt, diese Experimente haben bisher nur auf wurzeligen Waldtrails stattgefunden. Es kann durchaus sein, dass man gerade auf felsigem Untergrund und einer noch aggressiveren Fahrweise auch mehr als nur die bisher gefahrenen Drücke braucht. Bisher gab es auch keine Situation in der mehr als 4 bar im Innenreifen notwendig gewesen wären.
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NOTLAUFEIGENSCHAFTEN:
Soweit zu den Feinheiten im Fahrgefühl mit Procore, aber wie seht es mit den echten Notlaufeigenschaften aus? Wenn man es trotz maximaler Pannensicherheit und Dichtmilch einmal geschafft hat einen Platten in den Außenreifen zu fahren – etwa durch einen Reifenschlitzer an einer scharfen Kante?
Nachdem mir das bisher nie unbeabsichtigt vorgekommen ist, habe ich den Selbstversuch gemacht und mitten in einer Ausfahrt die Luft komplett aus dem Außenreifen abgelassen.
Und so bin ich – anfangs recht zögerlich – nach Hause gefahren. Das erste was auffällt ist , der immense Rollwiderstand, den man dann erlebt. Selbst bergab muss man noch treten um voran zu kommen und bergauf geht’s schon schmerzhaft schwer. Wer mal eine richtig hartes Training sucht, sollte so mal eine Trainingseinheit fahren – Farbigen ist ein Deck dagegen.
Andererseits kann man allein auf dem gefüllten Procore-System tatsächlich weiterfahren – zwar mit großem Kraftaufwand und einer quietschenden Geräuschkulisse als ständigen Begleiter, aber man kann damit noch recht passabel über mäßiges Gelände fahren. Solange man den Reifen gerade belastet kommt man sogar bemerkenswert gut und sicher voran – selbst im Gelände, über Wurzeln oder andere Hindernisse. Sobald der Weg aber abschüssig wird, beginnt der Außenreifen recht unkontrolliert über den Innenreifen zu rutschen was sich für den ungeübten Fahrer schon sehr wackelig anfühlt. Ich betone extra das ungeübt und anfühlt, denn man gewöhnt sich zumindest teilweise daran.
Sehr positiv: Auch nach insgesamt 10 km in denen ich das System bewusst versucht habe an die Grenzen zu bringen (inkl. Abfahrten und schrägen Wurzelpassagen – siehe oben) ist es mir nicht gelungen den Reifen von der Felge zu ziehen.
Mein Prädikat zu den Notlaufeigenschaften heißt also – ja, die sind definitiv vorhanden und wahrlich beachtlich, aber es sind und bleiben Notlaufeigenschaften. Wenn ich auf einer Tour mit einem Reifendefekt konfrontiert wäre den die Dichtmilch alleine nicht mehr abdichtet, würde ich damit garantiert besser nach hause kommen, als auf einer blanken Felge. Der notwendige Kraftaufwand und das wackelige Fahrgefühl sind aber schon sehr störend. Ergo – sobald sich aber auch nur der Hauch einer Chance ergeben würde, die Tour durch den Wechsel auf einen normalen Schlauch noch zu beenden (etwa, wenn man die Karkasse mit einer Scheckkarte von innen noch notdürftig verstärken kann), dann würde ich lieber diesen Weg gehen und einen Schlauch einziehen.
ZWISCHENSTAND: Wie unser aktueller Test auch weiterhin beweist, ist SCHWALBE’s Procore ein riesiger Schritt in richtig eines zeitgemäßen Reifensystems – Pannensicherheit, Überrollverhalten, Komfort und Traktion sind einfach unglaublich. Allerdings gibt es auch Grenzen – etwa beim Luftdruck oder den Notlaufeigenschaften und die potentiell störenden Quiekgeräusche. Hier zeigt sich, dass auch hier noch Potential für Detailverbesserungen schmummert. An der rundum sehr positiven Grundeigenschaften von Procore ändert das aber nur sehr wenig. Wir bleiben auf jeden Fall dran und testen das System noch weiter für euch.
RIDE ON,
c_g
Moin!
Klasse Artikel!
kleine Frage:“…habe ich den Selbstversuch gemacht und mitten in einer Ausfahrt die Luft komplett aus dem Innenreifen? abgelassen.“
@Mafrieger: Na, das wäre ziemlicher Unfug :-). Hast Recht, habe natürlich die Luft aus dem Außenreifen abgelassen. Danke für den Hinweis.
Hallo C_G,
prima Bericht. Vielen Dank auch für den Test der Notlaufeigenschaften komplett ohne Luft. Procore macht also nicht nur den Mantel an der Felge dicht, sondern ohne Luft gefahren auch schön die Beine 😀 .
Interessant auch, daß der Bereich des sinnvoll nutzbaren Luftdruckes -ähnlich wie bei B+- recht schmal zu sein scheint.
Grüße,
Max
@ Max: Ja, nur, dass ich vor lauter Anstrengung an die schönend Beine gar nicht mehr gedacht habe :-).
Ich würde deinen Schlusssatz nur umformulieren in „sinnvoll nutzbar“, denn grundsätzlich kann man fast jeden Luftdruck im Außenreifen fahren … nur nach oben hin verliert das System eben seinen Sinn.
Hallo C_g, schöner, aufschlussreicheer Bericht. Besonders die niedrigen fahrbaren Luftdrücke und die Sicherheit, daß der Reifen auf der Felge bleibt, machen Procore wirklich interessant.
Hast Du das Mehrgewicht beim Fahren im Vergleich zum „reinen“ Tubelessbetrieb bei Deinen Fahrten bemerkt? Oder überwiegen die Vorteile des noch niedrigeren Luftdruckes?
Und noch eine Frage, die nur indirekt mit Procore zu tun hat. Mit welchem Luftdruckprüfer arbeitest Du? Meiner hat die Unart, daß ich beim Messen bei Prestaventilen auch immer ungewollt Luft ablasse.
Danke für Deine Antwort.
Gruß Jens
@ Jens: Ja, die ca. 250 g (pro Laufrad!) mehr spürt man beim Antritt und Sprint. Alles andere wäre gelogen. Für XC und Marathon halte ich Procore dementsprechend nicht wirklich für interessant. sehr wohl aber auf Tour, im Enduro und natürlich jeglichem Gravity-Einsatz. Überall, wo das Thema Traktion und Pannensicherheit wirklich wichtig werden, ist das Doopelkammersystem aber eine echte Revolution und ein gigantischer Vorteil. Den Komfort gibt’s sozusagen als Extra obendrauf.
Ich selber messe immer mit dem digitalen Druckprüfer von SCHWALBE. Dabei geht auch immer ein wenig Luft verloren, aber wirklich nur sehr wenig.
Hallo C_g,
dann werde ich den Druckprüfer von SCHWALBE mal auprobieren und werde warten, vielleicht bietet Schwalbe ja irgendwann ein Procore light an.
Auch auf Langstrecken-Events kosten die Antritte auf Dauer Kraft, und da werde ich mir das spürbare Mehrgewicht von Procore gegenüber Tubeless, trotz der Vorteile, leider sparen.
Nochmals Danke für Deine Tests und Erfahrungen.
Viele Grüße
Jens
Hi C_G,
heute Procore auf einer FlowEx mmontiert. Erst den nicht tublessfähigen Ardent probiert nicht dicht. Also kam der ‚Angstgegner‘ der Felge, Hans Dampf. Angstgegner deshalb, weil die Montage des Reifens mit Schlauch auf der Felge war ein brutaler Akt war und ich ihn eiigentlich nie wieder da drauf machen wollte.
Mit den Montierhilfen, die dem Procore beiliegen ein Kinderspiel und….dicht.
Dann vor dem Regen nur eine kurze Testrunde von 15km gedreht im moderaten Gelände. Mit meinen 85Kilo auf 1,2bar ein Traum. Hab mir Baumwurzeln und Moderate Treppen ausgesucht. Mein Honzo mit den 2,35gern fühlt sich an wie mein Ehemaliges 4,0″ Fatbike, nur ohne das Gedopse.
Die Montage wie erwähnt ein Kinderspiel und meine Skepsis gegenüber dem verstellbaren Ventil war unbegründet, denn es funktioniert ohne Tadel und scheint mir stabiler gebaut, als die normalen Ventile an den Schläuchen.
Jetzt wird erstmal geurlaubt (ohne eignes Bike) und dann wird mein Honzo übber die Hometrails geprügelt. Ich freu mich schon drauf.
Greeetz, Ralf
nochwas ganz kurz…. da ich vorher nur Schlauchh fuhr hab ich im Grunde kein Mehrgewicht, aber gefühlt weniger Rollwiderstand.
Ralf
@ Ralf & alle: Ja, da sprichst du einen wichtigen Punkt an, den ich ebenfalls schon ein paar Male erwähnt hatte- Procore nimmt dem Schreckgespenst „Tubeless“ in den allermeisten Fällen komplett den Schrecken und wie du schon sagst, das Mehrgewicht besteht nur gegenüber einem bisherigen Tubeless-Set-Up – wer vorher nur mit Schlauch unterwegs gewesen ist, hat fast kein Mehrgewicht und noch dazu fast nur Vorteile was die Fahrperfromance angeht.
Danke für deinen Erfahrungsbericht, Ralf.
Grüße,
c_g