GASVENTINOVE Rovagrossa 27.5+ – Fahreindrücke: von Tomt
(Vorwort: Hierbei handelt es sich um einen Beitrag eines unserer Leser, der es gewagt hat mit seinem Custombike in 27,5+ in “unbekannte Gewässer” vorzudringen. Danke dafür. Wenn ihr ähnliche Geschichten habt, die ihr hier gerne teilen wollt … gerne, wir würden uns freuen.)
Hier nun endlich ein paar Fahreindrücke zu, GASVENTINOVE Rovagrossa, das ich euch bereits vorgestellt habe. Auch wenn ich in dem Text immer wieder auf einzelne Komponenten eingehe, stehen diese immer im Gesamtkontext des wie im Intro beschrieben aufgebauten Rades. So kann es durchaus sein, dass sich einzelne Parts in anderer Konfiguration anders schlagen oder den Fahreindruck in eine andere Richtung prägen.
Der erste Eindruck: Um von mir aus in die Natur zu kommen, ist eine Anfahrt auf Asphalt nötig. Hier war ich anfangs erschrocken über das doch recht ungewohnte Lenkverhalten der 27,5+ Räder (hier mit VEETIRE Trax Fattie 3,25ern).
Einerseits braucht es einen ordentlichen Impuls, um eine Richtungsänderung einzuleiten, ist aber das Gewicht schon etwas verlagert, zieht sich das Vorderrad wie von allein, quasi übersteuernd, in die Kurve. Wahrlich gewöhnungsbedürftig. Man kann dies durch mehr Druck im Vorderreifen minimieren, bestraft sich dadurch aber selbst im Gelände. Es hat ein wenig gedauert, aber zwischenzeitlich habe ich mich daran gewöhnt.
Das Mehrgewicht der Laufräder und Reifen ist beim Beschleunigen ist durchaus spürbar, wirkt sich aber lange nicht so unangenehm aus, wie ich anfangs befürchtet hatte.
Im Gelände: Sobald der Untergrund unebener und/oder weicher wird, ändert sich das Fahrverhalten schlagartig. Aus störendem Übersteuern wird spielerisches Kurven, keine Spur von nervigen Lenkeinflüssen oder Übersteuern. Bei höheren Geschwindigkeiten fährt sich das Rad ruhig und spurtreu, aber ohne, dass man es gewaltsam in die Kurven werfen müsste.
Die Geometrie des Rahmens passt mir gut, kleiner hätte der Rahmen aber nicht sein dürfen. Mittlerweile habe ich einen etwas längeren Vorbau (100mm mit 0 Grad) montiert und fahre somit mit leichter Sattelüberhöhung.
Essentiell für das Fahrverhalten, sowohl auf der Straße, wie auch im Gelände ist der korrekte Reifendruck. Dieser ist bei den großvolumigen Reifen nochmals wichtiger als beim normalmaßigen Pneus. Schon ein wenig zuviel davon und das Rad verhält sich wie der Hüpfball meines Sohnes, ein halbes Bar zuwenig davon und der Rollwiderstand nimmt wieder zu, die Lenkung wird richtig träge und der Reifen verformt sich seitlich … und naturgemäß steigt das Risiko eines Durchschlages, auch wenn das bei den dicken Dingern seltener passiert als angenommen.
Derzeit teste ich noch mit Drücken herum. Zwischen 1,2 und 1,6 bar liegt mein derzeitiger Wohlfühlbereich. Das Optimum habe ich noch nicht ganz gefunden, aber das wird sich ergeben. Letzten Endes betrachte ich dies auch nicht als Rocket Science, sondern passe nach Gefühl immer mal wieder etwas an.
Positiv, weil aus meiner Sicht extrem unauffällig, verhält sich die DT-SWISS OPM O.L. Sie spricht sehr feinfühlig an, im Zusammenspiel mit den Reifen werden kleinere Unebenheiten komplett geschluckt. Der Federweg wird gut ausgenutzt, komplett auf Anschlag ist sie mir allerdings noch nicht gerauscht. Probleme mit der Steifigkeit der Gabel, wiederum in Verbindung mit dem fetten Reifen, konnte ich keine beobachten.
Bedenkt man den ordentlichen Preis, die bisher super Verarbeitung und das geringe Gewicht, ist die Gabel ein solider Tipp! Unabhängig davon finde ich sie auch optisch wirklich gelungen. Keine Effekthascherei, schlicht, schön, schwarz. Allerdings kam ab und an auch der Wunsch nach mehr Federweg vorne auf.
Am Hinterbau ein ähnliches Bild wie vorn: Der 3,25er Reifen erhöht Komfort und Traktion spürbar. Vielleicht leisten auch die stählernen Ketten- und (gebogenen) Sitzstreben ihren Beitrag, aber seölbst wenn dem so wäre, liegt der Löwenanteil definitiv bei den Reifen.
Der GASVENTINOVE Rovagrossa Rahmen an sich hat etwas seitlichen Flex, spürbar im Wiegetritt am Tretlager. Bisher hat mich das jedoch noch nicht gestört und leichtere Fahrer werden dies wahrscheinlich gar nicht bemerken. Sicher hätte man auch diesen leichten Flex vermeiden können, dann wäre der Rahmen allerdings wahrscheinlich auch schwerer geworden.
Die XTR Trail Bremse am Vorderrad ist ein Traum, nur kurzes Einbremsen, klasse Druckpunkt, bissig, bisher kein Wandern spürbar. Am Hinterrad würde die Shimano-Bremse auch gern ihre Arbeit tun, wird aber wortwörtlich ausgebremst … habe ich schon erwähnt, dass die Postmount-Sockel zur Bremsaufnahme zu hoch angebracht wurden? Sie sollten standardmäßig für eine 160er Scheibe passen, doch sie waren ca. 3 mm zu hoch angesetzt. Deswegen greifen die Beläge die Scheibe aber leider nicht komplett schlüssig (siehe Foto). Die Folge ist ein unregelmäßiger Verschleiß der Belege, da ein Teil des Belages gar nicht die Scheibe berührt. Gleiches gilt logischerweise bei einer 180er Scheibe mit Adapter unter der Bremse. Allein das wäre wieder ein Grund, den Rahmen zu reklamieren … Man kann davon ausgehen, das sowas bei einem eventuellen Serienrahmen nicht vorkommen wird, dies hilft mir aber gerade nicht und verbessert leider nicht den Gesamteindruck der Schmiede.
Ich werde dies den Betreibern von GASVENTINOVE wiederum per Mail mitteilen, nach den letzten Erfahrungen mit der Kommunikation (wie erwähnt, anfangs lief es ordentlich), kann ich mir aber ausmalen, was passiert …. Ich lasse mich gern überraschen und werde, falls es eine erwähnenswerte Rückmeldung gibt, diese hier in den Kommentaren berichten. Was mir bleibt, ist selbst einen Adapter zurechtzufeilen, um dann mit flacherem Adapter und 180er Scheibe zu fahren.
Der Antrieb per 1×10 mit General Lee-Block reicht mir bisher aus, lange, fiese Steigungen, die nach 2x vorn schreien würden, gibt es hier aber auch keine. Ein kleiner Unterschied in der Schaltperformance ist spürbar, sobald die Kette auf die Ritzel des General Lee – Blocks kommt, ganz so geschmeidig flutscht es nicht mehr. Unter kompletter Volllast würde ich zumindest hier nicht schalten, nimmt man etwas Druck raus, läuft’s.
Die Einbußen in der Endgeschwindigkeit bei dem 30er Blatt vorn sind für mich bei dem Rad und dem Einsatzbereich nicht relevant.
Gefahren wurde das Rad bisher auf trockenem und leicht feuchtem Untergrund, Schlammschlachten sind mir bisher erspart geblieben. Selbst auf sandigem Untergrund läuft das Bike bis zu einer gewissen Tiefe des Sandes ausgesprochen angenehm … ohne übermäßig einzusinken oder wegzurutschen. Für mich deutlich besser als normale 29er die ich im gleichen Gelände sonst fahre. Am meisten Spaß macht das Gerät allerdings auf steinigen oder wurzeligen Trails denn hier kommen die Vorzüge des Reifenmaßes voll zum Tragen. Ich habe mich bisher immer sicher und auch irgendwie entspannter gefühlt … auch und gerade bei höheren Geschwindigkeiten.
Vorläufiges persönliches Fazit: Das Konzept B+ in der von mir umgesetzten Version funktioniert super. Das Rad, so wie es hier steht, fährt sich für mich sehr angenehm, ich bin zwischenzeitlich vom Format b+ überzeugt. Es wird erstmal einen angemessenen Platz neben meinem geliebten SALSA Horsethief (ein oft unterschätztes Rad eines symphatischen Herstellers, nur mal so nebenbei!) bekommen und die Frage, welches Rad gerade eingesaut werden soll, wird nicht immer leicht zu beantworten sein. Wenn man weder ein Racebike braucht, noch Gewichtsfetischist ist, wenn man mehr als nur Waldautobahnen fahren will, einfach ein Do-it-all-Rad mag oder sich mit Rahmentaschen und Schlafsack auf große Reise quer durch die Natur begeben möchte .. dann ist b+ eine echte Alternative. Wegen des großen Komfortfaktors der Reifen könnte ich mir vorstellen, dass B+ auch an Starrrädern genauso gut funktioniert wie an vollgefederten Boliden. Und wenn wir beim Mutmaßen sind: Wo bleiben die ersten Long Travel Hardtail mit B+? Das klingt für mich nach richtig Spaß.
Würde ich das Projekt noch mal angehen? Definitiv! Wahrscheinlich eher mit einem Rahmen, der mehr Federweg vorne verkraftet und mit Sicherheit mit einem, der von einem verlässlicherem Hersteller gebaut wird. Da sollte in Zukunft ja einiges auf uns zurollen.
Besonders spannend finde ich weiterhin die Grundidee von B+, einen bestehenden 29er Rahmen mit 2 Laufradsätzen zu fahren und somit 2 sehr unterschiedliche Räder in einem zu haben. Bisher scheitert das aber wohl an der erforderlichen Reifenfreiheit – sowohl bei den Rahmen wie den Gabeln. Ich bin mir ziemlich sicher, dass hier von Seiten der Industrie bald nachgebessert wird (FOX hat hier ja bereits die erste B+ Gabel vorgestellt). Für mich ist auch die Frage offen, welches Reifenmaß (in der Breite) sich als B+ nu wirklich durchsetzen wird. Reifen unter 3 Zoll bekommt man auch in einige vorhandene Rahmen und Gabeln, darüber wird es eng. Sind Reifen unter 3 oder 2.8 Zoll noch B+? Sind Reifen über 3.25“ schon „FAT“?
Tomt
PS: Ein großes Manko besteht noch. Nachdem man sich an den Anblick der großvolumigen Räder gewöhnt hat, sehen Normalmaßige eher seltsam aus…so ging es mir schon beim Umstieg von 26 auf 29 Zoll.
Klasse Test!
Das mit der falschen Bremsaufnahme gibt es leider auch bei anderen Herstellern (zB bei einer US-Marke betreffend ein Modell welches nach dem Begleiter des Nikolaus benannt ist…) Tipp hierzu: Avid 185mm PM Adapter verwenden und ggf. flachere Ausgleichsscheiben verwenden, erspart mit etwas Glück das Feilen…
Danke! Und danke für den Tip. Aber wenn die Anlötsockel zu hoch sind hilft doch ein noch höherer Adapter auch nicht oder habe ich gerade einen Denkfehler? 🙂
Hallo Tomt,
auch von mir Daumen hoch. Schön differenzierter Bericht (ich hatte schon angefangen nach dem Bike auf anderen Plattformen zu suchen, um mehr zu erfahren – gerade Deine Praxiseindrücke). Und Hut ab für den Mut so ein Projekt direkt in den Kinderschuhen anzugehen.
Ich bin da ja auch sehr geneigt. Auf dem Papier gefällt mir die Geo des Bikes gut (Theorie), aber die Ausführungsqualität schreckt mich ab. Aber, wenn man das so sagen darf, Einhorn Bikes sind ja beim Thema B+ auch vorne mit dabei. Und wenn ich das richtig sehe, bekommt man ja auch individuelle Rahmen (ist für mich momentan eine Überlegung).
Aber zurück zu deinem Aufbau Tomt: Das Thema Caprese finde ich witzig als Projektnamen und echt schön umgesetzt. Dein Salsa in Anlehnung an die Gulf Racíng Farben ist aber auch echt fein. Ich Feigling hatte keinen Mut und habe mein erstes 29er Anfang 2014 komplett in schwarz aufgebaut. Und direkt danach habe ich zum ersten Mal von B+ gehört und hatte die Hoffnung, daß ich aus meinem Aufbau ein 2in1 machen kann, aber ich denke das haut bei den Kettenstreben nicht hin.
Nun überlege ich, mir einen Rahmen zu kaufen, aber da muß ich mich nochmal mit dem Thema Tretlagerbreite und Kettenlinie auseinandersetzen (hatte ich bis zu Deinem Aufbau so gar nicht auf dem Schirm).
Nochmal: Hut ab und vielen Dank für das Teilen der Erfahrung!
Happy Trails,
Max
Vielen Dank für die Blumen. Zum Thema Tretlager/Kettenlinie wir sich sicher einiges tun. Wenn man sich so umschaut, ruft ja alle Welt 650b+ zum Hype des Jahres 2015/2016 aus. Selbst wenn man dies nur halbernst nimmt (ich denke, das Maß wird sich etablieren aber keins der Gängigen verdrängen, vielleicht wirds auch nur ein allgemeiner Trend zu mehr Volumen im Reifen)), wird sich bestimmt eine Art Standard bezüglich BBBreite/Nabenbreite verfestigen oder zumindest ein Trend erkennbar sein. Die Industrie pusht ja gerne mal Trends zu Tode, hier scheint aber die Richtung für eine gewisse Zielgruppe sinnhaft. Und du hast ja Einhorn schon genannt, frag doch da mal an.
Ich habe übrigens Gasventinove den als Link zum ersten Bericht geschickt, damit sie hier bei Bedarf Stellung nehmen können.
Etwas verwirrt hat mich deine Bemerkung zum Thema Gulf-Salsa. Welches Rad meinst du? Erwa das hellblau-braune Stahlrad aus dem mtb-news Fotostream?
Sorry für off topic+Gruß, Thomas
Hallo Tomt,
zum Salsa: auch sorry für off-topic; ich hab mich total verguckt. Ich dachte, Du hättest ein Bild oben vom Salsa von hinten eingestellt. Ist aber das Gas29. Der Rahmen sieht hellblau aus und Kurbel und Lenker richtig satt rot. Da kamen Erinnerungen an eben einen Aufbau mit dem Thema Gulf auf. War aber ein Rahmen von einer anderen feinen „Maschinenbau“- Schmiede.
Entschuldigung für die Verwirrung und die Abweichung vom Thema. Auf Deine Galerie bei mtb-news bin ich aber schon bei der Suche nach dem „Caprese“ gestossen und das Memphis habe ich auch schon gesehen. Du hast schon Sachen drauf… Selbst das Sattelgestell passt!
Schönen Tag und Sonne nutzen!
Grüße, Max
Das Adapterset hat geholfen. Bremse sitzt korrekt auf der 180er Scheibe, auch wenns etwas nach Bastelei aussieht.
Danke!
Hallo Tomt,
Danke für den sehr schönen Bericht. Hast du zufällig schon mal dein B+ Hinterrad ins Salsa Horsethief eingebaut? Wenn das vom Platz her fnktionieren würde, wär das einen ziemliche Rakete. Ich find das Horsethief eben auch klasse!
Thx und gruz
mat
Hi Mat,
keine Chance, der Hinterbau an der Split Pivot – Variante ist eng, es wird schon mit 29er Reifen > 2,3 knapp.
Ich persönlich finde aber, daß das Horsethief so paßt.
Ich denke, daß sich b+ mehr in Richtung 2,8 inch positionieren sollte, bei breiteren Reifen wie dem von mir gefahrenen Traxx Fatty (obwohl auch kein echter 3,25er) kommen die Nachteile wie self steering und erhöhtem Rollwiderstand auf hartem Grund deutlich mehr zum Vorschein. Ich persönlich würde per heute kein vollgefedertes Touren/Trailrad mit passendem Fahrwerk für sorgenfreie Trails (wie in meinen Augen das Horsethief eins ist) bei denen man sich die Höhenmeter auch selbst erkämpfen mag als b+ fahren wollen sondern immer als 29er mit Reifen zwischen 2,1 und 2,4 inch zusammenstöpseln. Bei schnipsigen Spaßgeräten mit nem Charakter wie vielleicht einem Process 111 mag es evtl. anders aussehen. Oder eben bei einem Long Travel Hardtail. Alles sehr subjektiv und eben auch von der Gegend, in der ich zuhaus bin geprägt (mehr Ebene, waldig, sandig und Hügel als bergig, felsig, alpin).
Viele Grüß, Thomas
Hallo Thomas,
hast Du bzgl. des self steerings evtl. mal mit einem 29er Vorderrad in Verbindung mit dem B+ Hinterrad an Deinem HT experimentiert?
Grüße,
Max
Nein, habe ich nicht und ich habs auch nicht ernsthaft vor. Klar, theoretisch hat das schon Vorteile. Die Monstertraktion hinten bleibt, genauso wie die bessere Federung, die die Spitzen an einem Hardtail effektiv rausnimmt. Vorne hat man mehr Präzision. Gleichzeitig nimmt man sich aber das schöne Zusammenspiel zwischen der Federgabel und dem dicken Reifen wenns holprig wird und optisch gehts rein subjektiv gar nicht. 🙂 Aber da bin ich vielleicht zu konservativ, unterschiedliche Reifenformate an einem Rad fand ich schon immer gruselig fürs Auge. Wenn ich die m.E. vorhandenen Nachteile von b+ in Kauf nehme, will ich die Vorteile voll genießen. Meinerwegen mit nem 2. Laufradsatz in 29 und leicht/schnell zusätzlich zum dicken Gummi. Und je nach Laune komplett tauschen.
Caprese – das Auge isst mit! 😉
Danke Dir für die Rückmeldung.
Grüße,
Max