NINER WFO9 – Testfazit: von Oli
Nach mehreren Tagen entlang des Alpenhauptkamms auf der Südseite habe ich nun alle Grenzen des NINER WFO ausloten können. Und es ist so, wie ich es bereits beim Kurztest im Mai in Riva oder im Zwischenbericht vermutet hatte: Das Bike ist für mich eines der potentesten 29er Fullies überhaupt. Wenn, dann liegen die Grenzen liegen beim Fahrer, nicht beim Bike. Ich habe die Entscheidung, das WFO 9 auf dem Weg über den Karnischen Grenzkamm mitzunehmen, nicht bereut.
Vor knapp 2 Wochen sind wir von Bruneck aufgebrochen durch das Pustertal zum Rifugio Rinfreddo aufgebrochen. Bepackt mit etwas über acht Kilo auf dem Rücken, Werkzeug unter dem Sattel und zwei vollen Wasserflaschen galt es nun, etwa 95 kg an Last sicher in der Ebene, stellenweise recht lang steil bergauf und bergab zu bewegen. Gleich am Anfang zeigte sich, dass das NINER WFO auch in der Ebene überzeugt. Trotz der Last auf dem Rücken, die auch hinter dem Schwerpunkt lag, hatte ich nicht das Gefühl, dass ich nach hinten wegsacke, „von hinten“ treten muss. Beinahe 50km ging es mehr oder weniger erst einmal eben dahin und ich hatte nicht das Gefühl, irgendwie träge unterwegs zu sein. Für die Anfahrt bis zum ersten nennenswerten Anstieg zeigte sich auch, dass die Übersetzung der X01 mit einem 30er Kettenblatt und dem kleine Ritzel (10 Zähne) absolut stimmig ist. Wir wollten nicht rasen, sondern Kräfte sparen und sind nicht über 20 bis 25 km/h unterwegs gewesen.
Der Hinterbau hat dabei nur minimal gewippt und selbst bei geöffnetem Dämpfer musste ich es förmlich erzwingen, wollte ich ein Wegsacken erspüren. Als es dann ab Innichen merklich steiler wurde, zeigte sich, dass sich trotz des Rucksacks keine Tendenz zum Aufbäumen einstellte. Allerdings zeigte sich, wie auch während der weiteren Tour, dass die SRAM 1×11 sich auch auf einem mehrtägigen Alpencross gut schlägt.
Ich will nicht gerade sage, dass ich mit dem 30er Kettenblatt „entspannt“ oben ankam, da es natürlich körperlich schon fordernd war mich, das Gepäck und ein 13 kg Bike zu bewegen, aber ich hätte mich und das Bike schon am ersten Tag verflucht, wäre es anders gewesen. Leider hat es am ersten Spätnachmittag schon begonnen zu regnen und erst am kommenden Morgen konnten wir die Aussicht über die Hütte in Richtung Nationalpark Drei Zinnen richtig genießen.
Die folgenden Tage sollten dann alles bieten, was das Bikerherz begehrt: Unglaublich schöne Wege bergauf und bergab zwischen Österreich und Italien – ist doch der Karnische Höhenweg (Alta Via Carnica) als „Friedensweg“ in Erinnerung an den ersten Weltkrieg angelegt und folgt der Grenze und den alten Militärwegen.
Also, bergauf ließ sich das WFO wie schon beschrieben sehr gut – ohne spürbaren Verlust an Energie – fahren. Und, selbst wenn es dämlich klingen mag, auch bergauf tragen. Denn wir hatten – wie es Einhorn Bikes im Kommentar zum Zwischenstand des Tests hier bereits vermutet hatte – auch einige sehr lange Tragepassagen zu bewältigen. Hier zeigte sich, dass das Gewicht von knapp 13 kg und die kompakte Bauweise an steilen Hängen das Tragen erleichtert haben. Mein langes und deutlich schwereres SINGULAR Puffin hätte ich hier ungern hoch tragen wollen.
Doch kommen wir zu den Trailqualitäten und dem Abfahrtspotential. Wie soll ich’s formulieren, damit es richtig rüberkommt, ihr es versteht? Sagen wir es so: Richtig geil! Dämpfer auf, Gabel auf, Sattel runter, höheren Gang rein und laufen lassen ist die Devise. Die Kombination aus der verbauten Pike und dem ROCK SHOX Monarch Plus Dämpfer erwies sich als eine stimmige Einheit.
Und ehrlich gesagt habe ich es trotz der anfänglichen Idee im Zwischenbericht beim straffen Setup belassen, denn gerade das ist es, was das Bike so sicher auch durch schweres Gelände steuern lässt: die Direktheit und die Reserven an Federweg, die bei 150/160mm noch bleiben. Gerade für mich, der ich doch nach Jahren wieder beim Hardtail gelandet war. Irgendwann hatte ich plötzlich auch einen Namen für das Bike im Kopf, der mich nicht mehr los lies: Gazelle… Es überwindet Hindernisse leichtfüßig, ohne wegzusacken. Manchmal hatte ich das Gefühl, über die Trails förmlich zu fliegen und ich erwischte mich dabei, wie ich gelegentlich das Bike bewusst in der Luft halten wollte.
Der Rahmen fühlte sich immer steif und präzise an und die Lager blieben auch nach Tagen fest. Ich musste nichts mehr nachziehen. Die während der allerersten Tour gelöste Schraube blieb an ihrer Position, nachdem ich sie noch in den Voralpen wieder fixiert hatte. Und auch die kompakte Sitzposition (die ich mit von 50 auf 100 mm getauschten Vorbau etwas verlängert hatte) erwies sich in allen Fahrsituationen als optimal. Einfach TOP!
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Ein paar Worte zum verbauten Komponenten:
Zunächst zur FORMULA T1 Bremse: Die 160er Scheibe hinten war – wie ich es erwartet hatte – überfordert. Bei Abfahrten von bis zu 1000 hm wurde sie gelegentlich schwammig und ich hatte manchmal das Gefühl, zwei Mal pumpen zu müssen. An einem Bike dieser Kategorie sollte eine größere Scheibe montiert werden, insbesondere, wenn es im hochalpinen Gelände genutzt werden soll.
Leider hat die Formula The One auch deutlich gequietscht, sobald es nass wurde. Das legte sich aber, sobald die Scheibe warm gebremst war. Vorne jedoch mit ihrer 180er Scheibe zeigten sich keine Schwächen. Im Gegenteil: ich war begeistert vom festen Druckpunkt, der auch nach langen Abfahrten blieb. Mir schien, als hätte ich zwei Bremsem verschiedener Hersteller oder Qualitäten am Rad – eine berechtigte und wichtige Kritik, aber schnell mit größeren Scheiben behoben.
Die KENDA Nevegal Reifen boten immer ausreichend Grip, was ich gerade bei feuchten Bedingungen sehr zu schätzen wusste – hatte es doch leider dann jeden Tag am spätnachmittags geregnet. Selbst auf nassen Steinen war ich sicherer unterwegs, als meine Frau auf Ihrem Bike mit SCHWALBEs Nobby Nic hinten und Hans Dampf vorne. Allerdings zahlt man den hohen Grip auch mit einem erhöhten Rollwiderstand und leicht walkenden Noppen in der Ebene und auf Zubringeretappen. Beim Kurztest in Riva hatte ich ja schon angemerkt, dass ich damals die verbauten Nobby Nic für ein Bike dieser Kategorie für etwas unterdimensioniert hielt. Der KENDA Nevegal hingegen hat optimal zum Konzept gepasst. Ich hatte übrigens keine einzige Panne.
Bei der Schaltung bin ich zwiegespalten, werde mich dazu aber nochmal gesondert äußern wenn c_g und ich unsere Erfahrungen damit in einem eigenen Artikel zusammentragen. Nur soviel, wäre es mein Bike, würde ich einen Drehgriff montieren. Das Runterschalten in einzelnen Gangschritten, wie ich es bereits im Zwischenbericht beschrieben hatte, ist unsäglich
Die AMERICAN CASSIC All-Mountain Laufräder haben sich auch sehr gut bewährt. Es war eine Freude, diese geringe rotierende Masse in Schwung zu bringen und bergauf zu treten. Gerade bei dem 1×11 Setup mit der 30er Kettenblatt vorne wusste ich das zu schätzen. Mit einem Gewicht von ca. 1,8 kg für den nachten Laufradsatz beschleunigen sie super.
In schnellen engen Kurven oder bei abrupten Richtungswechseln hatte ich aber manchmal doch das Gefühl, dass gerade das Hinterrad minimal weich wirkte. Ich bin kein Leichtgewicht und der Rucksack hat sicher auch dazu beigetragen, dass die Laufräder hier deutlich gefordert wurden. Würde ich zum Bikeparkeinsatz würde ich wohl andere Laufräder montieren. Nicht ohne Grund sind vielleicht beim Promovideo von NINER aus Utah auch Enve Laufräder verbaut gewesen (und Hans Dampf Reifen – keine Nobby Nic).
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TESTFAZIT: Das NINER WFO9 gehört für mich zu den potentesten Fullies überhaupt. Es ist nicht nur bergab ein Garant für unglaublich viel Spaß im Trail, sondern es lässt sich auch bergauf fast leichtfüßig treten. Der „Shreddability-Faktor“ ist extrem hoch :-). Es ist in der getesteten Version mit knapp 5500,- Euro nicht billig, aber jeden Cent wert. Bei den Komponenten gilt es stellenweise Kompromisse einzugehen, die man aber durch kleine Umbauaktionen selber lösen kann. Würde ich es mir selber kaufen? Ich sage eindeutig: JA!!
Oli
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Randbemerkung: „NINER Europa bringt eigenen Konfigurator“:
Das getestete Bike entspricht der bisherigen 2014er Version bei der die Specs weltweit einheitlich waren. Ab sofort hat NINER Europa sich entschieden spezifische Ausstattungen anzubieten um solche Kritikpunkte wie die mit den Scheibengrößen auszuschließen. Vom NINER WFO9 wird es dementsprechend keine 3-bis 5-Star Optionen mehr geben, sondern ein NINER WFO Race, (für 4.999,- Euro, die dem getesteten Bike sehr ähnlich sein wird) und ein NINER WFO Race Elite, bei dem das Gewicht bei unter 13 kg liegen soll, dafür aber auch stolze 5.899,- Euro kosten wird.Die genauen Details zur „NINER Europa Konfiguration“ sind hier zu finden.