PIVOT CYCLES Les – der XC – Zwischenstand: von Thomas Hebestreit
PIVOT vermarktet das Les 29er als hochkarätigen Vielseitigkeitskünstler – sowohl XC Racer wie auch Trailhardtail (und sogar Singlespeeder). Als begeisterter XC- und Marathon-Racer kommt mir die Ehre zu das Race-Spektrum abzuklären. Hat das PIVOT Les das Zeug dazu auch auf der Rennstrecke bewegt zu werden oder ist es zu zahm dafür? Wie spielt die Geometrie hier mit? Das Gewicht?
Auf den ersten Metern gab es für mich erstmal eine (gefühlte) Enttäuschung. So sportlich, wie Pivot das Modell Les anpreist, schien es auf den ersten Blick nicht zu sein. Die Ursache war aber schnell gefunden und lag in dem recht langen und hohen Vorbau, der mir schon im Intro aufgefallen war. Dadurch war die Sitzposition eher komfortabel aufrecht und fast schon tourenlastig. Daran ist grundsätzlich nichts auszusetzen, aber mit meiner Zielsetzung wollte ich ja herausfinden „wieviel“ Racebike im PIVOT Les steckt.
Darum habe ich für diesen Test kurzerhand einen etwas kürzeren Vorbau (90 Millimeter/6°) mit negativer Steigung montiert … und auf einmal passte die Sitzposition perfekt. Auf einen Schlag hatte ich den Eindruck eines echte Racebikes mit massivem Vortrieb und Effizienz. Genau richtig um damit Vollgas zu geben. Ein paar sportliche Touren und viele Trainingsfahrten im XC-Stil später hatte das Les seinen doch sehr sportlichen Charakter dann voll unter Beweis gestellt.
Dennoch ist das PIVOT Les mehr als nur ein klassisches (… nicht selten hypernervöses) XC-Racebike, denn es bietet neben dem tollen Vortrieb auch ein sehr souveränes und sicheres Fahrverhalten. Damit wirkte das Les auf engen CC-Kursen mit engen und schnellen Richtungswechseln zwar nicht ganz so agil wie „echte“ CC-Boliden vom Schlage eines MERIDA oder BIANCHI, aber auf technischen Kursen und auch unter der längeren Belastung eines Marathon oder gar 12-h Rennens empfinde ich das mittlerweile sogar eher als Vorteil. Während ich mit dem langen und hohen Vorbau vorher schon das Gefühl hatte, dass das Bike in schnellen Richtungswechseln durchaus mit etwas Nachdruck in die neue Richtung gelenkt werden wollte, hat der kürzerer Vorbau das sehr effektiv ausgeglichen und ein durchaus agiles Handling generiert.
Was die Steifigkeit angeht, gehört das PIVOT Les zweifellos zu einem der torsionssteifsten Rahmen, die ich kenne – vor allem Lenkkopf- und Tretlagerbereich. Dadurch ist die Lenkung ist absolut messerscharf. Wer richtig Druck auf die Pedalen gibt spürt den guten Vortrieb. Mit einem Testfahrergewicht von 75 Kilogramm plus Equipment war jedenfalls weder im Hauptrahmen, noch im Hinterbau ein spürbares Nachgeben oder auch nur ein Ansatz von Flex provozierbar.
Dagegen ist der Hinterbau des Les in vertikaler Richtung wirklich spürbar komfortabel und filtert tatsächlich die Spitzen von harten Schlägen heraus – gerade auf langen Fahrten ein handfester Vorteil der zwar oft als verkaufsförderndes Argument angeführt wird, in der Praxis aber nur selten wirklich zum Tragen kommt. Den im Intro erwähnten Anspruch eines komfortablen Hardtails kann ich dementsprechend sehr wohl bestätigen.
Positiv überrascht war ich auch von dem Komfort durch die verbaute 30,9 mm FSA-Stütze, die alles andere als „bockhart“ ist. Mir wäre zwar an dem Bike weiterhin eine 27,2 mm Sattelstütze lieber, wenn es mein Bike wäre, aber auch so war es besser als erwartet. Der montierte WTB Volt Sattel ist Geschmackssache … und lag mir einfach nicht. Nach nur drei Fahrten habe ich deswegen gegen einen Ergon SM3 ausgetauscht, mit dem ich viel besser zurecht komme.
Auf dem Trail ist das Pivot fast nicht aus der Ruhe zu bringen. Selbst sehr steile Rampen zieht das Les – fast schon stoisch – gelassen hoch. Schnelle und aggressiv gefahrene Downhill bringe das Bike selten an seine Grenzen. Gerade in schnellen Downhills vermittelt das Pivot ein hohes Sicherheitsgefühl. Aus meiner Sicht ist die perfekte Fahrwerksbalance zu einem großen Teil dafür verantwortlich.
Hier werden wir im dritten Teil des Tests sicher nochmal mehr sagen können, wenn das Pivot unter c_g seine Trailqualitäten unter Beweis stellen muss.
Darüber hinaus wirkt das Bike mit dem Carbonrahmen wie aus einem Guß.
AUSSTATTUNG: Funktionell wie auch optisch passt die Ausstattung gut zum universellen Charakter des Bikes, auch wenn ich mir den Kommentar nicht verkneifen kann, dass dieser Rahmen einfach nach noch edleren und leichtern Teilen schreit, die seine Qualitäten noch besser hervorbringen würden.
Rein funktionell und logisch betrachtete passt alles. Von der verbauten 100 mm FOX F32 Forke, die mit ihrer CTD-Einstellung und der guten Dämpfung viel Komfort und Kontrolle bietet, über die SHIMANO XT Komplettgruppe mitsamt der formidablen Bremsen, passt alles zusammen. Die 2×10 gestufte Übersetzung passt gut in das Vielseitigkeitskonzept, taugt für lockere Touren genauso wie für sehr sportliche Ausritte. Die DT-SWISS Laufräder geben sich durchaus sehr funktional – nicht zu schwer um auch mal ein Rennen damit zu bestreiten und nicht zu fragil um sich auf einer technischen Tour damit den Trailspaß zu beeinträchtigen.
Meine Wunschliste bis hierher bleibt recht kurz: Eine LockOut-Fernbedienung und eine für den Raceinsatz etwas mehr gewichtsoptmierte Ausstattung – das dürfte dem Rahmen gut stehen.
Wer das PIVOT Les etwas spezieller haben möchte als unser Testbike, kann es schnell mit einem anderen Ausstattungspaket oder als Customprojekt aufbauen. Mit noch leichteren Komponenten hat es definitiv das Zeug zum Racebike. Meine bisherigen Erfahrungen lassen mich vermuten, dass es mit einer 120 mm Gabel und damit noch flachere Winkel sogar noch mehr Trailqualitäten bekommen könnte, aber das zu beurteilen werde ich c_g überlassen, der das PIVOT Les als nächstes übernehmen wird.
Zwischenfazit: Nach knapp 500 Testkilometern kann ich dem Pivot Les richtig tolle Fahreigenschaften bescheinigen, einen sehr sportlichen und dennoch komfortablen Carbonrahmen (der mich obendrein auch optisch anspricht).
Wie schon im Intro gesagt, fehlt es dem Bike zwar an herausragenden Ausstattungshighlights, aber dafür scheint der Rahmen bisher alles zu halten was so vollmundig über ihn versprochen wurde. Ob das ausreicht um den doch sehr hohen Preis von 4800.- unseres Testbikes zu rechtfertigen, muss jeder für sich entscheiden.