NINER RDO Carbon-Starrgabel – Testfazit: von Oli
Sind im Federgabelzeitalter Starrgabeln nur noch was für Puristen? Oder für Gewichtsfetischisten? Oder für Spinner? Ich kann mich noch an die Frage eines Bikekumpels erinnern, der verwundert nach dem Sinn einer Starrgabel an einem Mountainbike fragte.
Eines sind die modernen Starrgabeln vom Schlage einer NINER RDO auf jeden Fall nicht: Für Sparfüchse geeignet, denn für den Preis einer Niner RDO Gabel (€ 499.-) bekommt man schon eine vernünftige Federgabel. Seit bereits acht Wochen teste ich nun die Vollcarbongabel von NINER auf Herz und Nieren und versuche, Ihre Stärken und Schwächen auszuloten.
Und mittlerweile kann ich sagen: Es überwiegen die Stärken. denn es macht noch immer richtig Spaß mit der leichten Gabel auf dem Radon Black Sin über die Trails zu heizen.
Da sei zum einen das extrem geringe Gewicht noch einmal erwähnt – 578 g (zzgl. 63 g für die Steckachse). Mit der Gabel ausgestattet zieht es einen förmlich den Berg hinauf. Das Minus an Gewicht ist deutlich zu spüren und es macht wirklich Spaß, Berge zu bezwingen. Man muss keinen Lockout (an einer Federgabel) bedienen, jeder Antritt wird direkt in Vortrieb umgesetzt und was Ihr im Bild rechts seht, haben meine Mitfahrer in den letzten Wochen nur allzu oft gesehen :-).
Während bei gemeinsamen Ausfahrten von meinen Bikekollegen am Start immer wieder mal die Frage kam: Wie, Du fährst starr? So hat sich das am Ende der Tour meist gelegt. Gerade an Anstiegen war ich kaum zu bremsen.
Was ich immer noch nicht begreife ist, wie komfortabel sie sich fährt. Auch nach acht Wochen habe ich den Spaß nicht verloren, die Grenzen auszuloten. Ich weiß aber natürlich auch, dass es Grenzen gibt. Mit Wurzeln übersäte Wege wie der oben sind in hohem Tempo mit der Vollcarbongabel schwieriger zu meistern. Das gilt für eng beieinander liegende Wurzeln oder aber auch für groben Schotter. Lange Wellen sind kein Problem, kurze Wellen mag sie jedoch nicht. Aber: dafür zirkelt es sich unglaublich flott um jeden Wurzelgruppe, jeden Baum. Bedingt durch die Steifigkeit mit der 15mm Steckachse ist die Lenkpräzision enorm und es macht schlicht Spaß, enge Kurven schnell zu nehmen.
Die Steifigkeit ist deutlich zu spüren …
… die korrespondierende QR15 Stechachse hat aber auch einen Haken: Die Montage bei der NINER RDO Starrgabel konstruktionsbedingt etwas fummelig. Außerdem waren an unserem Testmuster (und damit wahrscheinlich auch an anderen Gabeln) der Abstand der Ausfallenden zu groß, die ohnehin nur schwach ausgeprägte Einfädelhilfe kann also in der Praxis nicht greifen. Beim Aus- und Einbau des Vorderrades musste ich das Rad deswegen immer wieder auf den Kopf stellen. Das Spiel ist deutlich auf dem Foto oben zu sehen und das Einfädeln von oben im Stand ist nicht so leicht zu machen. Anders hätte ich drei Hände gebraucht ;-).
Und der Interessent für diese Gabel muss sich bei aller Euphorie eines vergegenwärtigen: Es ist eine Gabel mit 470 mm Einbauhöhe. Auch wenn das eigentlich einer 100 mm Gabel mit normalem Sag entspricht, bin ich am Radon gelegentlich an meine Grenzen gestoßen und bei schnellen Wurzelpassagen schon mal in der Kurve mit dem Pedal aufgesetzt. Ich habe lange Beine und war froh, dass am Testrad keine 180er Kurbel verbaut ist. Das wäre dann noch knapper geworden. Manchmal wünschte ich mir diese Gabel mit der 490mm Einbauhöhe der NINER Stahl-Starrgabeln an einer Vollcarbongabel.
*********************************************
Fazit: Die Niner RDO Starrgabel ist eine Gabel für Puristen unter den Racern – eine Nischenprodukt, aber ein ungemein spannendes. Sie ist unglaublich leicht und steif, bietet aber trotzdem erstaunlich viel Komfort durch ihre sehr gute Eigendämpfung. Bergauf ist sie eine Waffe, bergab braucht sie bei kurzen Bodenwellen wie Wurzelteppichen eine ruhige Hand. Ist das Vorderrad erst mal montiert, ist die Lenkpräzision – bedingt durch die Steifigkeit – enorm hoch – die Handhabung der Steckachse könnte aber mit einer ordentlich greifenden Enfädelhilfe um ein Vielfaches gesteigert werden. Kurven können auch bei hohen Geschwindigkeiten kaum eng genug sein. Die NINER RDO Carbon-Starrgabel ist eine Starrgabel, mit der es Spaß macht an die Grenzen zu gehen.
Die Niner RDO Gabel verwandelt ein Bike in eine Raubkatze, die bergauf wie bergab erstmal gebändigt werden will.
Oli
Danke für den guten Test Oli!
Kleine Ergänzung: Viele 29er-100mm-Federgabel haben 510mm Einbauhöhe. Mit normalem SAG sind wir dann bei 485-490mm effektiver Einbauhöhe. 20mm weniger Einbauhöhe entsprechen über den Daumen gepeilt etwa 8mm weniger Tretlagerhöhe, das macht sich positiv (flowiges Fahrgefühl dank niedrigem Schwerpunkt) wie negativ (Aufsetzen in unebenem Gelände) bemerkbar. Da durch die kürzere Einbauhöhe auch der Lenkwinkel steiler wird, erhöht das zusätzlich die Agilität der Lenkung.