RITCHEY P29er – Kurztest: von c_g

(und weiter geht es in der Serie der Kurztests – Bikes die wir nur für eine kurze Zeit zum Test bekommen konnten – keine klassischen Tests im Sinne von twetnynineinches, aber fundierte und aussagekräftige Fahrtberichte. Viel Spaß beim Lesen.)

Wenn ich an meine MTB-Anfänge in den späten 80ern denke, dann waren bereits damals die Bikes von Tom Ritchey die Kultobjekte schlechthin. In den 90ern, mit den immer populärer werdenden Alu-Rahmen, schien die Ära der hochwertigen Stahl-Rahmen dann zu Ende und Tom hat seine Energie auf die Verbesserung und Herstellung von Fahrradkomponenten konzentriert – das Ende der legendären RITCHEY Stahbikes, wie es schien. Nun, nach vielen Jahren, gibt es sie wieder… und für 2012 erstmals auch als kultverdächtigen 29er!!
Wie die legendäre P-Serie aus den späten 80er und frühen 90er kommt es daher, das RITCHEY P29er. Kein Zweifel, dieses Bike ist eine Augenweide – wünderschön, ist es  mit seinen filigranen Ritchey Logic II Stahlrohren und der legendären blau/weiß/roten Tricolore Lackierung – genau wie die damaligen Team Modelle. Der deutsche Vertrieb von RITCHEY, Cosmic Sports GmbH (www.cosmicsports.dehat uns für einen Kurztest das derzeit einzige fahrbereite P29er zur Verfügung gestellt und wir haben es für ein paar Tage auf herz und Nieren getestet. Beim Anblick dieses Bikes war ich sofort wieder zurückversetzt in die Pioniertage des MTB-Sports, in die Zeit als solche Bikes unerreichbare Träume waren – wunderschön, sündhaft teuer und seeeeeehr selten.

Doch wie wird es sich fahren? Würde das schon sehr filigrane Geröhr die Steifigkeit aufbringen, die man heutzutage von einem hochwertigen Mountainbike erwartet? Wie wird wohl Tom´s Interpretation eines 29ers in Sachen Handling wohl aussehen? Wir sollten es herausfinden J.

Zuerst mal ein Blick auf die Rahmendetails:  Klar, da sind die wunderschönen Rohre, aber in dem Rahmen steckt noch viel mehr, was das Auge erst auf den zweiten Blick erkennt.

  • Da wäre das aufwendig abgedrehte Steuerrohr mit dem integrierten Steuersatz (ein Novum bei Stahlrahmen) und optisch wie technisch ein Leckerbissen. Es fasst zwar nur 1 1/8-Zoll Gabeln, tut dies aber mit soviel Style und noch dazu mit geringem Gewicht, dass man über solche Details kaum mehr nachdenkt.
  • Die mehrfach geklemmten und gekonterten Slider-Ausfallenden erlauben einen klassisch geschalteten, oder auch puristischen Singlespeed-Aufbau (wie getestet).
  • Die integrierte Sattelstützklemmung – früher die gängigste Art der Sattelklemmung, heute eine echte Rarität – brachte einen derart schönen Übergang, zur schlanken Sattelstütze, dass ich ins Grübeln kam, warum wir heute nur noch separate Sattelstützklemmen benutzen.

Bei den ursprünglichen RITCHEY Modellen der P-Serie stand die Zahl noch für das Gesamtgewicht des Bikes – aber keine Sorge, das P29 wiegt keine 29 Pfund (umgerechnet 13,15 kg J), wie gefahren als Singelspeeder mit Marzocchi Micro Ti 44 Federgabel und Cane Creek Laufrädern und allerlei RITCHEY Anbauteilen wog das Bike gerade mal 10,2 kg. Mit angegeben 2 kg Rahmengewicht ist das P29 sicher kein gewichtsvernarrter Racer wie wir ihn heute verstehen, aber ein kultiges und 100% stilbewußtes Bike auf alle Fälle. Interessanterweise gibt Ritchey für das P29er den Racer und leistungsorientierten Fahrer als Zielgruppe des 29ers an.  Wir werden sehen.

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FAHREINDRÜCKE: Der allererste Eindruck des Bikes war ein sehr gemischter – der Grund hierfür war ein sehr schamler Lenker (580 mm ;-)), ein sehr langer Vorbau (110) und eine unglaublich schwere SS Übersetzung (38/15) für unser sehr hügeliges Testgelände). Also waren erstmal ein paar kleinere Modifikationen notwendig um das Bike den Anforderungen anzupassen. Gesagt, getan und nach etwas Einstellarbeit der MARZOCCHI Gabel (die wir ohnehin meist gelockt gefahren sind) und schon waren wir bereit für die regionalen Trails.
Bereits nach den ersten Kurbelumdrehungen wird klar, das P29er macht seinen Vorgängern alle Ehre: Bemerkenswert steif, sehr  vortriebsstark und wunderbar präzise. Wie Altmeister Tom Ritchey dem filigranen Rohrsatz diese Eigenschaften eingehaucht hat, bleibt mir ein Rätsel, zeigt aber, dass es möglich ist. Keine Spur von Verwindung, selbst im für den Singlespeed-Einsatz üblichen Wiegetritt – dagegen zeigten die CRANK BROTHERS Laufräder etwas mehr Flex als erwünscht. Die Sitzposition fanden wir trotz kurzem Vorbau immer noch leicht gestreckt. In technischen Passagen fordert dar P29er damit schon einer wenig Können vom Fahrer, bleibt aber wegen der Steifigkeit stets sehr gut zu kontrollieren. Das Handling geht in Richtung Spurstabilität, was nicht zuletzt durch den recht langen Hinterbau (447 mm in der kürzesten Position) und der, flachen 70° Lenkwinkel unterstrichen wird. Wir empfanden das selbst im SS-Einsatz als problemlos, aber diejenigen SS-Fahrer, die kurze Hinterbauten bevorzugen, sollten sich woanders umsehen.

Die Marzocchi Federgabel hat uns anfangs wegen der wenig intuitiven Bedienung genervt, hat dann aber recht gut gezeigt, dass sie mit der Konkurrenz mithalten kann – wir würden das Bike aber trotzdem stilecht mit einer Starrgabel ausrüsten (eine klassische RITCHEY Unicrown 29er Gabel gibt´s leider noch nicht). Weitere Komponenten, die uns positiv aufgefallen sind, sind die ebenfalls sehr steife und wunderschön gearbeitete THE HIVE Ethirteen XCX Kurbel und die sehr schnellen und nach dem ersten Fahreindruck gutmütigen Ritchey Shield 29er Reifen.

Das RITCHEY P29er ist für 2012 nur als Rahmen für € 899.- verfügbar (der getestete Aufbau lag mit ca. € 3200.- schon ziemlich im Edelsegment).

KURZTEST-FAZIT:  Das RITCHEY P29er ist ein moderner Klassiker. Die Fahreigenschaften sind top und als sportlicher Stahl-29er kann es voll überzeugen Nach unserem Empfinden empfiehlt sich das P29er stark als (im positiven Sinne) kultiger Langstreckenracer – dort wirkt sich auch die sehr angenehme Eigendämpfung des Stahlrahmens sehr positiv aus und beugt frühzeitiger Ermüdung effektiv vor. Für ein XC-Bike fehlt es ihm an Wendigkeit, außerdem sind die XC-Jungs doch zu sehr aufs Gewicht bedacht, als dass es hierfür die erste Wahl wäre.
–> Das RITCHEY P29er verbindet die Fahreigenschaften und das Handling eines topmodernen 29er Stahlrahmen mit dem Flair und der Optik der MTB-Pioniertage in einer so gelungenen Art und Weise, dass man das Bike einfach lieben muss. Danke Tom für diesen modernen Retroracer J.