VITTORIA AirLiner – Praxiserfahrungen: von c_g

Wer zwei mal 70 Euro in einen Pannenschutz investiert und sich pro Laufrad 180 bis 250 g mehr ans Rad schraubt, hat hohe Erwartungen an die Performance dieses Produktes. Der Mitte Juni zum Test vorgestellte AirLiner von VITTORIA ist genau so eine Pannenschutzeinlage und ist mittlerweile gut 2,5 Monate und sehr viele Tiefenmeter an meinem Bike gelaufen. Hier meine Erfahrungen damit.

Der knallgrüne AirLiner von VITTORIA ist ein weiterer Kandidat im Bereich Pannenschutzeinlage, der sich um die Gunst der Käufer bemüht – wir haben ihn einem ausführlichen Praxistest unterzogen.

Als Hersteller hochwertiger Reifen hat sich VITTORIA nach eigenen Angaben einige Gedanken darum gemacht, wie die ideale Pannenschutzeinlage sein soll. Neben dem eigens entwickelten High-Tech-Polymer, das dem AirLiner die idealen Materialeigenschaften verleihen soll und keinerlei Dichtmilch aufnimmt, ist es vor allem die Form in welcher der Air-Liner sich von den anderen Pannenschutzeinlagen unterscheidet.

Neben dem speziellen Material ist es vor allem die Formgebung mit den beiden Kanälen oben und unten, welche den AirLiner von anderen Produkte unterscheidet.

Während viele anderen Systeme entweder möglichst niedrig bauen (z.B. CUSHCORE oder HUCK NORRIS) um den Reifen in seiner Walk-/Abrollbewegung kaum zu beeinflussen oder komplett kreisrund ausfallen (wie die jüngsten Produkt-Neuvorstellungen wie PTN Pepi’s oder Mr. Wolf), geht der AirLiner einem etwas anderen Zwischenweg.  Ausgehend von einem ebenfalls kreisrunden Querschnitt sind beim AirLiner nämlich oben und unten großzügige Längskanäle ausgefräst.  mit denen die wird. Diese sollen an einerseits das Gewicht reduzieren, die Progression des Durchschlagschutzes zu optimieren und zudem gerade im Anfangsbereich den Rollwiderstand noch wenig zu beeinflussen. Hört sich sinnvoll. Schaut man sihc die Form an, bleibt dadurch das Material nur dort, wo man es auch wirklich zum Durchschlagschutz braucht. Eigentlich recht smart, oder.

Die Vorbereitung und Montage des AirLiners ist, genau wie in dem im Intro gezeigten Video … ziemlich trivial: Den in einer Universallänge ausgelieferten AirLiner auf das gewünschte Laufradformat kürzen, die beiden Enden per Kabelbinder zum Ring schließen, in den einseitig vormontierten Reifen einlegen, die zweite Reifenwulst aufziehen und aufpumpen. Eigentlich ganz einfach. Doch ausgerechnet der erste Schritt, das Ablängen,birgt eine nicht genannte Tücke. Wählt man die Länge eher locker hat der AirLiner keinen Halt und ruckelt er beim Fahren  im Reifen umher und erweckt so ein Fahrgefühl, als wäre etwas am Bike locker. Kürzt man ihn so, dass er stramm anliegt, erschwert das die Reifenmontage und vor allem die–Demontage erheblich (nicht ganz so sehr wie bei CUSHCORE, aber doch so, dass man mitunter ins Fluchen kommt) und die Dichtmilch gelangt nur noch schwer an alle Stellen des Reifens – gerade bei der Reifen-Erstmontage bzw. im Fall eines Platten nicht wirklich optimal.

Sein Pannenschutz bleibt davon unberührt, aber wie gut sich der Reifen montieren und demontieren lässt, bzw. wie gut sich die Dichtmilch im Reifen verteilen kann, hängt stark davon ab wie sehr man den AirLiner gekürzt hat.

Ohne es zu beabsichtigen, habe ich beide Varianten ausprobiert und dementsprechend die Vor- und Nachteile am eigenen Laib erlebt. Letztlich heißt es einfach ausprobieren, denn der Bereich indem der AirLiner weder zu locker (Klappergeräusche), noch zu straff sitz ist recht klein. In dem Zusammenhang hat sich auch das Einfüllen der Dichtmilch nachdem erstmaligen Aufpumpen, wie vom Hersteller empfohlen, als nicht immer zielführend erwiesen. Sitzt der AirLiner nämlich straff, kann die Dichtmilch allein durch das kleine Loch in der Mitte zum Reifen durchsickern, was nicht immer ganz zuverlässig funktioniert. Auch hier spielt also die optimale Länge eine Rolle.

Der VITTORIA AirLiner nimmt einiges des Reifenvolumens weg, was sich beim Aufpumpen durchaus positiv bemerkbar macht.

Ist auch die zweite Reifenwulst aufgezogen ist das Aufpumpen der Reifen wiederum bemerkenswert leicht. Das liegt einerseits daran, dass der AirLiner den Reifen in Form hält und die Reifenwülste auch mehr oder weniger gegen die Felge drückt und zum anderen daran, dass auch bei großvolumigen Reifen real nur noch geschätze 30 bis 40% des Reifenvolumens als Luftvolumen zur Verfügung steht. Dementsprechend baut der Reifen viel schneller Druck auf, legt sich schneller an die Felge und ist auch mit weniger Hüben aus der Pumpe auf den gewünschten Druck aufgepumpt. Eigentlich auch wieder ein Vorteil.

Je drüber die Trails werden, desto mehr kann man den zusätzlichen Pannenschutz des AirLiners gebrauchen.

Ist alles montiert, kann man den Airliner in zweierlei Richtungen nutzen – man senkt den Luftdruck im Reifen ein wenig und erhält mehr Komfort und mehr Grip oder man behält den alten Reifendruck bei und hat einen deutlich höheren Durchschlagschutz .. oder man geht einen beliebigen Mittelweg daraus. Ich selber bin den VITTTORIA AirLiner seit Mitte Juni am TANTRUM Shinning 2.0 in verschiedenen Reifenkombinationen gefahren (unter anderem auch mit dem VITTORIA Martello 2,35 TNTund Mota 2,35 TNTReifen) und ich weiß mit Sicherheit, dass das Insert mir trotz eher geringer Reifendrücke zwischen 1,2 und 1,4 bar diverse Male eine Panne erspart hat.

Auf der damals gerade erst eröffneten Ohlweiten-Line gibt es so manche Steinfelder und Kanten, bei denen der AirLiner sich zum ersten Mal bewährt hat.

Sowohl bei der Schnitzeljagd in Sölden, wie auch bei dem verlängerten Trail-Wochenende im Vinschgau gab es immer und immer wieder Situationen, in den mir bösartige Steinspitzen und Kanten einen Durchschlag bescheren wollten, der AirLiner, dies aber souverän verhindert hat. Ob der AirLiner diesbezüglich besser oder schlechter ist als andere Pannenschutzeinlagen kann ich ohne vergleichende Labortests nicht sagen, aber dass er funktioniert, kann ich nach über 2,5 Monaten am Bike voll und ganz bestätigen.

Auch im Vinschgau kann das Gelände recht hohe Ansprüche an den Pannenschutz stellen, doch selbst mit nur 1,2 bar vorne und 1,4 bar hinten bin ich komplett pannenfrei auch ein verlängertes Enduro-Wochenende gekommen.

Notlaufeigenschaften: Es hat eine Weile gedauert, aber während der Zeit am Gardasee hat mit ein Sprung auf ein 5 cm Zentimeter aus dem Boden ragendes Bewehrungseisen dann doch noch einen Reifedefekt beschert – kein Durchschlag, sondern ein massiver Durchstich in der Karkasse. Mit noch gut 700 Tiefenmetern und einer langen Transferpassage vor mir war mein erster Gedanke natürlich, gleich einen Schlauch einzuziehen, aber dann habe ich mich doch entschieden zumindest kurz die Notlaufeigenschaften des Systems zu erproben.  Und gut so, denn statt des erwarteten und von jedem Biker gefürchteten Eiertanzes über den Trail, konnte ich allein mit dem AirLiner im Reifen, doch recht flott und ohne meine Felge dabei zu ruinieren den gesamten Trail runterfahren. Bei sehr schrägen Passagen wird es zwar ein wenig wackelig, aber man kommt doch recht gut nahezu überall runter.

Man sieht es kaum, aber in dem Moment hatte ich einen komplett platten reifen hinten und bin nur mit dem Airlienr als Schutz für die Felge und zur Stabilisierung des Reifens unterwegs.

Es ist wirklich beachtlich, wie gut der AirLiner den Reifen stabilisiert und die Felge geschützt hat. Voraussetzung ist natürlich, dass die Reifenwulst immer fest auf der Frage sitzen bleibt, aber das war mit den in dem Fall gefahrenen VITTORIA TNT Reifen (vorne Mota und hinten Martello) auf der NEWMEN SL.A35 Felge überhaupt kein Thema. Klar, kommt das System an seine Grenzen, wenn man es richtig laufen lässt, aber unter den bisher von mir gefahrenen Pannenschutzsystemen, darunter SCHWALBEs Procore, DEANEASY Tube+ und HUCK NORRIS hat der VITTORIA AirLiner mit Abstand die besten Notlaufeigenschaften. Auf der ca. 8 km langen Tretpassage zurück zum Auto wurde zwar klar, dass der platte Reifen mit dem AirLiner einen deutlich höheren Rollwiderstand generiert, aber auch wenn es anstrengend war, konnte ich meine Fahrt ohne große Probleme bis zum Auto fortsetzen. Echt klasse! Danach konnte ich weiterhin keinen echten Unterschiede in der Haptik des Airliners oder echte Abnutzungserscheinungen daran feststellen. Beachtlich denn VITTORIA selbst gibt etwa 1 h im Notlauf an ehe das Material leidet.

Was die allermeisten Fahreigenschaften des Reifens und Bikes angeht, bleibt der VITTORIA AirLiner ziemlich unauffällig. Nur beim Gewicht und dem Rollwiderstand spürt man ihn, doch das spielt bergab kaum eine echte Rolle.

Die übrigen Fahreigenschaften des Reifens werden außer einer leicht erhöhten Trägheit (immerhin 180 g je Reifen mehr) durch den AirLiner kaum beeinflusst. Durch die Aussparungen im Material setzt die Deformation der Einlage sehr sanft ein und ist im Fahrbetrieb nicht wirklich als andersartig wahrnehmbar. Was das Rückprallverhalten bzw. die Dämpfung des Reifens angeht, habe ich auch keine wirklich relevanten Unterschiede gespürt. Während man beim Einfedern noch argumentieren könnte, dass der AirLiner als dämpfendes Element wirkt und man das mit gutem Willen erspüren kann, ist es beim Zurückfedern doch vor allem der Luftdruck, der den Reifen genauso schnell wie vorher wieder zurückfedern lässt. Mir jedenfalls bei gleichen Luftdrücken ist nichts wirklich prägnantes aufgefallen zwischen der Fahrt mit oder ohne AirLiner aufgefallen (bei gleichem Luftdruck). Durch die Möglichkeit den Druck zu reduzieren – und wenn es auch nur um 0,1 oder 0,2 bar sind–  und weiterhin einen guten Pannenschutz zu haben, ergibt sich natürlich auch ein anderes für mich positives Fahrgefühl, was den eigentlichen Vorteil des Systems für mich beschreibt.

Ich bin den AirLiner auch auf längeren Touren gefahren und hatte nie das Gefühl dadurch übermäßig viel Energie zu verlieren, aber im Ausrollversuch zeigt sich doch, dass die kontinuierliche Deformation zu Lasten des Rollwiderstandes geht.

Mit dem VITTORIA AirLiner verbessert man also den Pannenschutz, erhält ausgezeichnete Notlaufeigenschaften und es erleichtert auch noch das Aufpumpen. Eigentlich ein Traum, oder? Beinahe, denn neben dem nicht zu vernachlässigenden Eigengewicht des AirLiners (immerhin 180 g je Reifen in der gefahrenen Größe Medium) verursacht der Polymerschlauch im Reifen auch zweifelsohne einen höheren Rollwiderstand. Die Tatsache, dass der AirLiner wegen seines großen Volumens im Reifen beim Abrollen beinahe ständig deformiert wird, kostet zwangsläufig mehr Energie, das ist eine simple Tatsache.
Weil man diesen zusätzlichen Rollwiderstand andauernd mit sich führt, ist er mir während des gesamten Tests nie übermäßig aufgefallen. Man gewöhnt sich einfach daran und nimmt ihn wohl einfach nicht mehr wahr. Erst in einem direkten Vergleich fällt es einem wirklich auf. Nachdem ich diesbezüglich bei VITTORIA mehrfach erfolglos nachgefragt habe, habe ich einen eigenen einfachen Rollversuch unternommen um zu sehen wie deutlich der Unterschied wirklich ist. Dazu bin ich an einem Nachmittag zig-Male die absolut identische Strecke mit unterschiedlichen Reifendrücken (von 1,9 bis 0,9 bar) abgefahren und habe die jeweiligen Zeiten gemessen – immer in der gleichen starren Sitzposition, allein durch die Schwerkraft beschleunigt, also ohne zu treten, mit blockierter Federung und komplett ohne zu bremsen. Eine Messreihe war mit dem VITTORIA AirLiner im Reifen und eine ohne, also nur Tubeless, aber immer mit den gleichen Reifen und unter absolut identischen Bedingungen. Die Ergebnisse sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt.

Die angezeigten Zeiten sind der Mittelwert aus zwei oder manchmal auch drei Läufen. Ich würde sie deswegen also nicht als statistisch gesichert bezeichnen, sie zeigen aber doch eine klare Tendenz. Man erkennt sehr gut, wie sich die Zeiten auf der durchschnittlich 2 min langen Strecke verändern. Bei höheren Drücken liegen die Werte mit und ohne AirLiner noch sehr nahe beieinander mit einem minimalen Vorteil bei der Variante ohne Einlage. Hier ist der Einfluss aufgrund der geringen Walkarbeit am Reifen erwartungsgemäß gering. Im Bereich der praxisrelevanten Drücke (zwischen 1,2 und 1,5 bar) zeichnet sich mit abnehmendem Druck aber immer deutlicher ab, dass das mit AirLiner bestückte Rad immer langsamer wird, während die Zeiten im einfachen Tubeless-Setup immer kürzer werden. Der offensichtliche Grund hierfür liegt in der Energie, welche der AirLiner bei der immer stärker werdenden Reifendeformation schluckt. Bei besonders niedrigen Drücken unter 1,1 bar kehrt sich das Bild zwar wieder um, allerdings nicht aufgrund des Rollwiderstandes, sondern allein deswegen, weil das Bike ohne die stabilisierende Wirkung des AirLiners einfach zu wackelig und schwer zu kontrollieren wird – etwas, das sich auch bei den oben genannten Notlaufeigenschaften abgezeichnet hat. Anders als die niedriger bauenden Pannenschutzeinlagen wie Procore oder HUCK NORRIS, schluckt der AirLiner also mit abnehmendem Reifendruck doch so einiges an Energie. Wie stark man diese Tatsache angesichts der anderen sehr positiven Eigenschaften wertet, muss jeder für sich selber entscheiden.

 

Testzusammenfassung: VITTORIA hat mit dem AirLiner eine neue Pannenschutzeinlage vorgestellt die bei mir in den letzten Monaten gut bewährt hat. Mit einem empfohlenen VK um 70 Euro und einem Gewicht von 180 g pro Reifen liegt der VITTTORIAS AirLiner Polymerschlauch (Größe Medium) auf dem gleichen, nicht ganz so leicht verdaulichen Niveau von Procore, Cushcore und anderen High-End Pannenschutzsystemen,  kann aber durch die gelungene Kombination aus einfacher Montage, seiner guten Haltbarkeit und vor allem den tollen Notlaufeigenschaften doch richtig punkten und eigenen Akzente setzen. Als reiner Tourenfahrer, der sich jeden Meter Trailvergnügen komplett aus eigener Kraft erkämpft, ist der erhöhte Rollwiderstand wohl Grund genug, vielleicht doch eher zu einer anderen (flacher bauenden) Pannenschutzeinlage zu greifen (wenn man überhaupt eine braucht) aber gerade wenn man wie ich einfach nur hin und wieder im Bikepark oder beim Shutteln unterwegs ist, ist der AirLiner ein nicht ganz billiges, aber echt praktisches Upgrade. Gerade weil die Montage so einfach ist, kann man sie bei Bedarf für solche Tage ohne viel Aufwand einsetzen, die Vorteile genießen und dann aber auch genauso schnell für normale Touren aus dem Reifen entfernen. Und genau das mache ich seither sehr gerne und immer wieder.

RIDE ON,
c_g

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Ps: Während der Zeit am Gardasee, habe ich auch das PIVOT Shuttle E-MTB mit dem AirLiner aufgerüstet (hier aber in Large für Reifenbreiten von 2,5“ bis 2,8“), und bin damit trotz recht empfindlicher MAXXIS Plus-Reifen komplett defektfrei durch meine nicht immer einfachen Touren gekommen. Gerade am E-Bike, bei dem die Anforderungen an den Pannenschutz aufgrund der hohen Masse und Trägheit noch mal höher sind und die Frage des Rollwiderstandes noch mehr in den Hintergrund rückt, empfand ich den AirLiner als ein hervorragendes Upgrade mit großem Potential.