SCOTT Genius 900 Tuned – Testintro & Praxiseindrücke: von c_g

Für die jüngste Generation wurde das Genius komplett umgekrempelt und lehnt sich optisch wie auch konstruktiv deutlich an das aktuelle SCOTT Spark an, allerdings mit 150 mm Federweg vorne und hinten.

Keine Ahnung warum, aber wenn ich die bisherigen Tests so durchschaue, ist es immer um die Winterzeit, dass wir ein Bike von SCOTT zum Test bekommen. So auch das aktuelle, für 2018 komplett überarbeitete SCOTT Genius 29er. Der aufmerksame Leser erinnert sich vielleicht noch an die Neuvorstellung im Frühsommer und meine ersten Trailerfahrungen damit auf den Eurobike Media Days. Hier folgt nun der ausführliche TNI-Test

Bei der Geometrie gibt sich SCOTT progressiv mutig. So bekam das neue Genius einen mit einem 65° sehr flachen Lenkwinkel (65,6° mit hoher Flip-Chip-Position), einen deutlich angewachsenen Reach (je nach Rahmengröße zwischen 13 und 30 mm) und ein verkürztes Heck (statt 453 jetzt bei 438 mm Kettenstrebenlänge). Für einen Großserienhersteller wirklich sehr progressive Werte, die das Genius fast schon in Richtung Enduro schielen lassen.

  

Alte Tugenden wie die Twinloc-Technologie, die gleichzeitig den Dämpfer und die Gabel vom Remote aus strafft und der NUDE Dämpfer (jetzt von FOX) mit einem variablen Luftkammervolumen, sind weiterhin konzeptionelle Bestandteile des Genius. Wie heute üblich lässt sich das Genius sowohl als 29er, wie auch als 27,5+ Bike aufbauen und fahren. Neben den Laufrädern und Reifen, muss man dafür lediglich die in den Umlenkhebel integrierte Flip-Chip Geometrie-Feinverstellung umschrauben – als 29er in der Low-Position und als 27,5er in der High-Position Wer sich noch mal alle Details und Feinheiten – und derer gibt es wirklich viele – zu Gemüte führen will, kann dies hier in der offiziellen Vorstellung des Genius 2018 tun.
Das zum Test geschickte Genius 900 Tuned entspricht fast genau dem bereits im Rahmen der Eurobike Media Days’17 gefahrenen Bike. Sogar die MAXXIS Rekon 29×2,6“ Reifen, die in Serie durch SCHWALBE Nobby Nic 29×2,6“ ersetzt werden, sind an unserem Testbike wieder zu finden. Deswegen erspare ich mir und euch eine (erneute) detaillierte Vorstellung und verweise auf den damaligen Kurztest. Kurz gesagt, ist das Genius 900 Tuned, genau wie es der Name sagt: Ein bis ins letzte Detail durchdachtes Premium-Bike, das nur noch wenig Raum für funktionelles Tuning lässt.

 

 

Mit deinen FOX Factory Federelementen und der 150 mm Dropper-Stütze, einem kompletten SRAM X01 Eagle Antrieb, SRAM Guide RSC Bremsen und DT-SWISS Laufrädern, sowie der SYNCROS Hixon iC SL Carbon Lenker/Vorbau-Einheit  ist das Wichtigste bereits gesagt. Der damals noch nicht kommunizierte Preis liegt bei ebenso exklusiven 7499.- Euro, die anderen Modelle mit einfacheren Rahmen und Ausstattung, legen aber lediglich gewichtstechnisch zu. Was die Funktion angeht dürften die meisten Erkenntnisse des Tests auch auf die anderen Modelle übertragbar sein.
Was damals aber noch nicht angesprochen wurde, ist das Gesamtgewicht des Bikes. Mit einem angegebenen Rahmengewicht von gerade mal 2249 g (samt Hardware und Dämpfer) soll es das Genius 900 Tuned auf magere 12,4 kg bringen. Doch statt ein paar Gramm mehr, wie sonst üblich bringt es unser Testbike in Rahmengröße Large auf gerade mal 12,15 kg (ohne Pedale). Wirklich beachtlich für ein derartiges Bike mit immerhin 150 mm Federweg vorne wie hinten und so viel Variabilität.

Weil ich mit dem SCOTT Genius 900 den Test ja nicht mehr von Null beginne, habe ich mich entschieden statt einem normalen Intro und später folgenden Praxiseindrücken, hier gleich beides zusammenzufassen. Schon im Sommer bei den Eurobike Media Days auf den Trails am Kronplatz ist mir aufgefallen wie potent, vielseitig und zugleich unauffällig das neue SCOTT Genius ist. Diese Beobachtung, die den Gegebenheiten geschuldet überwiegend bergab gewonnen wurden, galt es nun auf meinen gewohnten Hometrails zu überprüfen, wo sich aus dem ständigen Auf- und Ab meiner Trails ganz andere Anforderungen ergeben.
Zu meiner Überraschung bleibe mein Eindruck aus den Runden auf den hiesigen Trails aber nahezu unverändert. Was ich wieder bestätigen kann, ist, wie ich mich auf dem SCOTT Genius sofort wohl fühlt habe. Selbst mit der progressiven Geometrie brauchte ich keinerlei Einfahrzeit um sich an das Bike zu gewöhnen. Die Entwickler haben es wirklich bemerkenswert gut geschafft die Fahrsicherheit und Laufruhe des langen Radstandes und des flachen Lenkwinkels so zu verpacken, dass es einem nie als „neu-„ oder gar „andersartig“ auffällt. Die Gewichtserteilung ist sehr angenehm, zentral und man ist wunderbar ins Bike integriert. Draufsetzen und loslegen heißt die Devise.

Auch wenn der November in der Tat en paar warme Tage hatte – dieses Bild stammt von dem Kurztest auf dem Herrensteig am Kronplatz.

Weil mir die Performance und das Handling im technischen Trail und bergab ja vom Kranzplatz bereits bekannt waren und beide auch auf meinen Hometrails ohne jeden Tadel sind, möchte ich hier noch mal genauer auf die Uphill-Performance eingehen. Ich kann offen gestehen, dass ich wirklich angetan von dem bin, was das Genius bergauf leistet. Ein zusätzlicher Bonuspunkt ist sicher das sehr niedrige Gewicht, aber in meinen Augen ist es vor allem die sehr gelungene Geometrie und Gewichtsverteilung, welche dem Genius solch gute Klettereigenschaften einbringen.

Ob steil bergauf oder steile bergab – das 2018er SCOTT Genius hat mit beiden keinerlei Mühe und gibt sich extrem vielseitig.

Selbst in den allersteilsten Anstiegen konnte ich das Genius überwiegend im Open Modus fahren, konnte entspannt im Sattel sitzen bleiben und mich einfach aufs Treten konzentrieren. Wenn mir vor 3 Jahren jemand erzählt hätte, dass ich mal mit 150 mm Federweg unterm Hintern die steilsten Passagen meiner Hometrails mit einem komplett offenen Dämpfer fahren würde, hätte ich ihm wohl den Vogel gezeigt, aber auch das SCOTT gehört zu der jungen Riege derer Bikes, die einfach alles leichter machen und rundum immer besser werden. Den strafferen Traction-Modus habe ich nur dann genutzt wenn zur Steilheit noch große Wurzeln oder Stufen hinzukamen. Dann nämlich ist der Open Modus einfach zu aktiv. Wie es der Name schon treffend sagt, ist im Traction-Modus zwar die Sensibilität etwas eingeschränkt, die Traktion aber bleibt weiterhin exzellent. Den Locked Modus habe ich bisher nie wirklich genutzt und sehe ihn in erster Linie für lange Forststrassen als sinnvoll an.
Was die Performance des Bikes auf dem Trail und im Downhill angeht, kann ich das bestätigen, was ich bereits nach dem Kurztest geschrieben habe: Das Genius liegt in allen Lagen sehr gut auf dem Trail, bietet eine gelungene Balance aus Feedback und Komfort. Es ist eines derer Bikes mit der man mit beinahe jeder Fahrweise und jedem Gelände bestens zurechtkommt.

Weder beim Kilometerfressen auf Fortstrassen, noch in technischen Passagen fühlt man sich mit dem SCOTT Genius je „über- oder untermotorisiert“ oder gar Fehl am Platze.

 Angesichts der Erfahrungen mit dem NICOLAI Ion-G13, das mit seinem 65,2° Lenkwinkel gerade auf Strecke nicht ganz so zuhause war, hat mich dieser Aspekt durchaus überrascht. Ich kann allerdings nicht ausschließen, dass sich aus den früheren Erfahrungen ein gewisser unbewusster Lern- oder Gewöhnungseffekt eingeschlichen hat und es mir deswegen beim Genius nicht mehr auffällt. Andererseits bietet das Genius ja auch noch die Option den Geometrie per Flip-Chip ein wenig steiler zu stellen.

Die Systemintegration von Dropper und Twinloc ist sehr aufgeräumt, passt aber nicht ganz zu meinen Bedürfnissen.

Mein bisher einziger und zugegeben kleiner Kritikpunkt am SCOTT Genius ist die Anordnung des Twinloc Hebel und des Dropper-Reomte, die beide in die linke Griffklemmung integriert und damit in ihrer Position fixiert sind. Weil der Open Modus wie oben beschrieben bereits so vielseitig ist, nutze ich den Twinloc-Hebel tatsächlich weit weniger als die Dropper-Stütze. Statt den Dropper-Remote oben zu platzieren und den Twinloc die ergonomisch günstigere Position unter den Griff zu spendieren, hätte ich mir eine inverse Logik gewünscht mit dem Dropper-Remote unten. Aber das ist nur meine persönliche Empfindung.

An der SYNCROS Vorbau-Lenkereinheit gibt es nichts auszusetzen, aber als Fahrer, der gerne mehr Kröpfung fährt, fehlt es mir an Umbauoptionen.

Ach ja, für meinen Geschmack hat die Lenker-Vorbau-Einheit zu wenig Kröpfung, erlaubt aber aufgrund der Systemintegration keinerlei Anpassung. Ich weiß aber auch, dass ich mit meiern Vorliebe für Lenker mit 12° oder 16° nicht unbedingt den allgemeinen Geschmack vertrete, daher möchte ich daraus wirklich keine objektive Kritik machen. Was die Steifigkeit und Vibrationsdämpfung angeht, unterschiedet sich die Einheit jedenfalls  nicht von andern hochwertigen Cockpits. Ansonsten habe ich bisher nichts an dem Bike gefunden, was ich kritisieren könnte.
In der zweiten Testphase mit dem SCOTT Genius 900 Tuned werde ich noch ein wenig mit der Geometrie-Feinverstellung per Flip-Chip experimentieren und aggressivere Reifen aufziehen. Während die verbauten MAXXIS Rekon 29×2.6“ überraschend schnell und zugleich traktionsstark sind, fehlt es ihnen bei den derzeit nassen Verhältnissen doch an Kurvenführung um ein Bike wie das Genius voll auszufahren.

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Zusammenfassung Zwischenstand
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Bisher war das SCOTT Genius ein echter Tausendsassa und ein sehr angenehm zu fahrendes Bike – von XC bis gemäßigtes Enduro ist damit alles drin.

SCOTT versprach mit dem neuesten Genius ein Bike mit maximaler Vielseitigkeit und zugleich erstklassiger Trail-Performance. Nach mittlerweile gut 2 Wochen auf dem Bike und dazu den Erfahrungen von den Eurobike-Media Days kann ich dies voll und ganz bestätigen. Ein wahrhaft fähiges Bike, das einer One-For-All-Lösung schon wirklich sehr, sehr nahe kommt. Ich bin gespannt, ob der weitere Testverlauf noch irgendwelche Schwächen aufdeckt, würde darauf aber keine Wetten abschließen, dass es überhaupt welche gibt, die ein gerade mal 1-monatiger Test überhaupt aufzeigen kann.

RIDE ON,
c_g