POLE Evolink 140 Enduro – Fahreindrücke: von c_g

Wenn es darum geht die ungewöhnlichsten Bikes zusammenzufassen, über die ich in der letzten Zeit berichtet habe, wären die Bikes der finnischen Marke POLE BICYCLES ganz weit vorne.

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Progressiver Innovationsträger oder extremes Geometrieversuchsobjekt – das POLE Evolink 140 EN beim Kurztest in Riva.

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Für Reisen ganz praktisch – die Faltfunktion des POLE Evolink.

Dass es sich dabei aber um veritable und durchdachte Produkte handelt, haben wir in unsere damaligen Produktvorstellung bereits gezeigt. Dennoch, mit seiner extremen an DH-Bikes angelehnten Geometrie, einer komplett eigenständigen Federung und nicht zu vergessen der Möglichkeit das Bike mit ein paar Handgriffen zusammenzufalten (siehe rechts), hört sich das doch ein wenig  wie die Spinnerei eines exzentrischen Erfinders an, als wie wirklich gute Bikes.

Umso erfreulicher war es als Leo Kokkonen uns per E-Mail benachrichtigte, dass er zum BIKE Festival in Riva kommen wolle. Eigentlich war geplant, dass er eine kleine Testflotte mit sich bringen würde, aber Zollformalitäten haben seine Bikes in Polen aufgehalten und so kam er nur mit seinem eigenen privaten Bike nach Italien – ein früher Prototyp des Evolink 140 EN 29ers in der Rahmengröße M … und ich hatte die Chance eine kurze Testrunde am Mt. Brione damit zu drehen.

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Auch die Hinterbaukinematik ist eine komplette Eigenentwicklung von POLE’s Leo Kokkonen – mit massiven Drehpunkten soweit das Auge reicht.

Wie ausgereift ist wohl die selbstentwickelte VPP-Kinematik mit dem sich konzentrisch ums Tretlager drehenden untern Hebel bergauf und bergab? Selten zuvor war ich derart gespannt und gleichzeitig unsicher darüber wie sich ein Bike jenseits aller etablierter Konventionen sich wohl anfühlen würde.

Wie würde sich ein Bike mit einem 64,5° Lenk- und 77,5° Sitzwinkel wohl fahren? Wie wird sich der extrem lange Radstand (1284 mm), das für einen M-Rahmen sehr lange Oberrohr von 621 mm und die langen Kettenstreben (455 mm) wohl in engeren, technischen Passagen verhalten?

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Optisch muss sich as Auge zuerst an die niedrige und gestrickte Bauweise gewöhnen …

Optisch muss ich zugeben, dass ich selten ein in meinen Augen hässlicheres Bike gefahren bin. Mit seinen langen geraden Rohren und dem extrem tiefen Oberrohr ist das Evolink 140 nicht unbedingt „leichte Kost“ für das Auge.

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Loe Kokkonen, der Mann hinter POLE Bikes und seine Schöpfung.

Aber darum geht es beim Evolink 140 EN auch nicht. Im Gespräch betont Leo der Mann hinter POLE immer wieder, dass das alleinige Ziel bei der Entwicklung das schnellste und vor allem sicherste, sprich fehlerverzeihende Bikes zu konstruieren das es derzeit gibt. „Meine einzige Methode der Bewertung ist es wie schnell und sicher ich damit meine Testrails fahren kann.“ so Leo.

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Praxiseindrücke

Der Erstkontakt war schon mal überraschend normal. Die Sitzposition fällt nämlich keineswegs so ungewohnt aus, wie erwartet bzw. befürchtet. Das überlange Oberrohr wird hier durch einen sehr kurzen Vorbau weitgehend wieder ausgeglichen was die reine Sitzposition recht gut normalisiert.
0 POLE EvolinkSchon beim Einrollen zum Straßenanstieg des Brione wird klar, dass das Evolink 140 kein gewöhnliches Bike ist. Die Lenkung ist alles andere als direkt. Auf Gewichtsverlagerung scheint das Bike fast nicht zu reagieren und man muss schon recht ordentlich mit dem breiten Lenker arbeiten um das Evolink in ein andere Richtung zu zwingen. Wer eine agile Cross-Country-Feile gewohnt ist, wird sich ernsthaft umgewöhnen müssen oder schon hier fragend absteigen. Auch ich fand es anfangs eher ungewohnt, braucht aber nicht lange mich darauf einzustellen. Agil ist das Evolink aber definitiv nicht zu nennen.

Außerdem scheint es dem Bike vollkommen egal zu sein, wie man sein Gewicht darauf verlagert oder ob es rauf oder runter geht. Ich musste mehrmals den genutzten Federweg des Dämpfers überprüfen um zu sehen, ob er bergauf mehr in die Knie geht als in der Ebene – was er natürlich tut – nur spüren tut man davon auf dem langen Bike fast nichts.
Mit dem Evolink 140 29er pedaliert man einfach gelassen bergan und braucht sich gar nicht um das Thema Gewichtsverlagerung oder ähnliches zu kümmern. Außerdem bleibt das Heck auch im Wiegetritt sehr unauffällig und neigt nur bei sehr starkem Körpereinsatz zu minimalem Wippen. Selbst in der sehr steilen Gipfeletappe konnte ich den verbauten Monarch Plus Dämpfer immer komplett offen fahren.

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Das Evolink klebt auch bergauf förmlich am Biden – selbst steile Anstiege und Stufen bringen die Front nicht zum Abheben.

Wirklich überrascht hat mich as Biked dann nochmal in den kleineren Felsstufen kurz vor der Aussichtsplattform (Bild oben): Dort wo die meisten Bikes nur noch mühsam das Vorderrad auf dem Boden halten können – brauchte es mit dem Evolink noch einen richtigen Zug am Lenker um die Front überhaupt anheben zu können. Der steile Sitzwinkel und die mittige Position bei extrem langem Radstand (oben rechts ein Vergleich zwischen einem (unten rechts ROCKY Mountain Pipeline in L und dem Evolink EN 140 in M) halten das Bike derart ruhig am Boden, dass ich nirgends eine Passage gefunden habe, die das Evolink 140 bergauf an seine Grenzen gebracht hätte. Bemerkenswert.

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Es wäre falsch zu sagen, dass der schwere Prototypenrahmen (angeblich knapp 4 kg ohne Dämpfer), mit seiner Enduro-Ausstattung und einem Gesamtgewicht von knapp über 15 kg ein leichtfüßig kletterndes Bike wäre, aber wer sich bergauf Zeit lassen kann, kommt damit wirklich überall hoch, wo die Reifen noch genug Traktion finden. Außerdem soll der Serienrahmen mit knapp unter 3,4 kg noch mal leichter sein und die Serienausstattung ebenfalls leichter ausfallen – auf der Homepage nennt POLE ein Gesamtgewicht von unter 14 – 14,5 kg für das Serienbike.

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Doch das war nur der Uphill, angeblich sollte die Geometrie ja bergab erst ihr volles Potential entfalten.

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Wer die Abfahrt vom Brione kennt, weiß, dass oben ein paar schnelle Serpentinen mit Spitzkehren anstehen. Hier habe ich bewusst versucht das Evolink mal eher aus der Hüfte mit viel Druck auf dem Vorderrad und mal eher hecklastig zu fahren und egal, was ich auch gemacht habe – das Bike ist stets souverän und maximal sicher um alle Ecken gebogen. Der lange Radstand hat mich hier nie gestört und selbst Powerslides über das Heck waren damit um einiges leichter und kontrollierter als erwartet. Das Bike bietet offensichtlich einen extrem großen Spielraum für den Fahrer um darauf zu arbeiten und fordert damit eine viel weniger definierte Fahrtechnik wie andere.

In den folgenden schnellen Passagen habe ich dann immer mehr Vertrauen in das Bike bekommen und bin meinen Kollegen, die allesamt auch mit sehr fähigen All-Mountain Bikes bewaffnet waren problemlos davongefahren.

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Das POLE Evolink generiert eine  extreme Sicherheit die ihresgleichen sucht – perfekt um sich auch an eigene Limits heranzuwagen.

Danach folgen die zum Teil sehr steilen und oft engen Felspassagen im Wald, in denen ich schon so manche Schrecksekunde mit anderen Bikes erlebt hatte. Sicher haben die extrem griffigen SCHWALBE Magic Mary Reifen (vorne im VertStar und hinten im TrailStar Compound) auch einen Teil dazu beigetragen, aber ich kann ohne zu lügen sagen, dass ich mich hier noch nie so sicher gefühlt habe wie mit dem POLE Evolink 140.

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Egal wie man sich auf dem Bike anstellt (hier eine bewußt stark hecklästige Kehre in steilem Felsgelände) … es schient einem fast alles zu verzeihen.

Weil ich es einfach nicht glauben konnte, dass ich hier in Passagen, die mich sonst schon gefordert haben, so gelassen durchgefahren bin, hab eich ein paar Sektion nochmals wiederholt und bewusst unsaubere Linien ausgewählt, bzw. mit der Gewichtsverlagerung experimentiert … mit dem fast identischen Ergebnis wie bei den Serpentinen: Egal wie man sich auf dem Bike anstellt, das POLE generiert ein extremes Maß an subjektiver Sicherheit und ist dermaßen fehlerverzeihend, das andere Bikes sich dagegen wie kapriziöse XC-Bikes fahren.
Der Effekt ist dermaßen extrem und beeindruckend, dass ich meinem eigenen Eindrücken nicht glauben wollte und die identische Runde sofort noch mal mit meinem eigenen Bike, dem CUBE Stereo 140, gefahren bin und ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich anfangs fast schon unsicher damit gefühlt habe. Das letzte Mal, dass ich ein derartiges Gefühl hatte, war als ich in Finale Ligure zuerst die Trails mit dem Fatbike gefahren bin und danach wieder auf mein 29er umgestiegen bin.

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Der Kurztest mit dem POLE Evolink 140 war für mich ein Augenöffner, dass es sich durchaus lohnt auch mal jenseits etablierter Normen zu denken.

Zusammenfassung: Die Runde auf dem POLE Evolink 140 29er war zu kurz um wirklich umfassend über ein derart „anderes Bike“ zu urteilen. Ich habe zum Beispiel keine Ahnung wie sich ein dermaßen sicheres Bike auf eher XC-lastigen Trails fahren würde. Vielleicht würde es dann durchaus „gelangweilt“ wirken – ich weiß es nicht. Weil ich mich so sehr auf die Geometrie und das Handling konzentriert habe, kann ich nur wenig über die Kinematik sagen – „neutral“ und „unauffällig“ wären wohl die beiden besten Worte. Trotzdem ist schon in dem Kurztest klar geworden, dass POLE mit ihrem Ansatz ein paar Qualitäten herausgearbeitet hat, die gerade dort wo andere Bikes bereits an ihre Limits kommen, das Evolink noch lange in seiner Komfortzone bleibt – bergauf wie bergab.
Eventuell schaffen wir diese Saison noch einen richtigen Test eines Evolink um die vielen noch offenen Fragen ebenfalls zu beantworten.

RIDE ON, c_g

Ps: Leo hat es sich nicht nehmen lassen mit dem selben Prototypen des Evolink 140 EN am SRAM Enduro auf einer sehr rutschigen und fordernden Strecke teilzunehmen. Selbst ohne vorherige Streckenbesichtigung hat er mit Abstand den ersten Platz in seiner Wertungskategorie (Masters 30) belegt. In erster Linie ein Beweis für Leo’s Fahrkünste, aber auch ein bisschen ein Hinweis darauf, dass das Bike ihn wohl auch nicht zurückgehalten hat.