SHIMANO XTR Trail Gruppe – Testfazit: von c_g
(bisher hierzu erschienenen Artikel: Pressevorstellung der SHIMANO XTR Gruppe, Testintro, Erste Praxiserfahrungen, Kurzupdate)

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Der 2×11 Antriebsstrang der neuen SHIMANO XTR Gruppe hat diese Saison so einiges mitgemacht.

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… wie etwa diese wunderschöne alpine Herbsttour in Südtirol.

Seit gut einem 5 Monaten fahre ich nun die 2×11 XTR Gruppe an meinem ROCKY MOUNTAIN Instinct. Die XTR ist eine waschechte High-End-Gruppe – daran lässt die sehr hochwertige Verarbeitung, die edlen Materialien und auch der Preis keinen Zweifel. Doch neben des Tests der Gruppe selber geht es mir hier auch um die eher allgemeine Frage danach, ob heute 2-fach Gruppen überhaupt noch zeitgemäß sind. Mittlerweile bin ich die Gruppe wirklich genug gefahren um auch hierzu eine fundierte Meinung zu haben, wer aber von mir erwartet mich nun klar für oder gegen 1×11 bzw. 2×11 auszusprechen, der wird enttäuscht werden.

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Hier meine Erfahrungen der letzten Saison mit der SHIMANO XTR Gruppe:

SHIMANO ist gemeinhin bekannt dafür eine Hang zum Perfektionismus zu haben. Die XTR Gruppe als Technologieträger und Aushängeschild im High-End-Bereich gleich doppelt. Umso mehr hat es mich verwundert, dass die Gruppe ausgerechnet in dem Bereich Auffälligkeiten hätte, in dem SHIMANO in den Letzen Jahren eigentlich Referenzstatus hatte – den Disc-Bremsen.

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Im letzen Update hatte ich ja geschrieben, dass ich die linke Bremse sogar zu SHIMANO eingeschickt hatte, mit der Bitte dem inkonsistenten Druckpunkt auf den Zahn zu fühlen. Schon wenig später kam die Bremse mit dem Vermerk „Geprüft und keine Auffälligkeiten gefunden“ wieder zu mir zurück. Doch nachdem sie wieder montiert war, war das Wandern des Druckpunktes beim wiederholten Ziehen des Bremshebels in schneller Folge zwar nicht verschwunden, aber deutlich weniger. Wie ist das möglich?

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Auch bei nicht immer konstantem Druckpunkt, hat die XTR Trail Bremse stets kräftig zugepackt, war zuverlässig und sehr belastbar.

Wie dem auch sei, die XTR Trail Bremse hat stets kräftig zupackt, litt auch bei 1000+ Tiefenmeterabfahrten nie unter Fading- oder Hitzeproblemen. Ohne den nicht 100% konsistenten Druckpunkt wäre sie perfekt.

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Ein rein optischer Makel, aber dennoch etwas, was der SHIMANO Edelgruppe nicht gut steht – das abriebempfindliche Finish der Kurbelarme.

Ein weiterer, wenn auch nur optischer Kritikpunkt ist das Finish der Kurbel, das ja schon nach kurzer Zeit stellenweise abgerieben war. Mittlerweile zeigt sich das blanke Aluminium über einen weiten Bereich der Kurbelarme – funktionell komplett irrelevant, aber ganz sicher ein ästhetischer Mangel an einer optisch sehr prominenten Stelle.

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Was den Antrieb angeht, gab es einfach nichts zu mäkeln.

Alles andere an der XTR Trail war dann aber wirklich sehr nahe dran an der angestrebten Perfektion. Mit der großen 11-fach Kassette (hier 11-40) und dem kleinen 24er Kettenblatt, kommt man wirklich fast alles hoch wo die Reifen noch genug Halt finden. Ich habe mich wirklich redlich bemüht – sei es indem ich meinen Sohn steile alpine Forstsrassen im Schlepptau hochgezogen habe, oder auch nach einem harten Teststag in Brixen noch 1000 HM damit auf steilen Trails hochgefahren bin. Es ist und beleibt eine Wohltat für müde Beine immer noch einen Extra-Berggang in Reserve zu haben. Der allerkleinste Gang war mir dabei meistens sogar zu klein für normale Fahrten und war fast auf richtig langen Touren im Einsatz um Kräfte zu sparen. Bei mir zuhause auf den zum Teil sehr steilen Waldtrails mit nie mehr als 150 HM an einem Stück dagegen, habe ich das kleine Kettenblatt nur ausnahmsweise eingelegt und bin fast alles im 34er Kettenblatt gefahren. Und so geht die SHIMANO’s Logik, das große Kettenblatt über die Titan-Carbon-Composite-Konstruktion extrem haltbar zu machen während das 24er nur als Alu besteht, voll auf.
Was den „Speedgang“, hier die 34/11 Kombination angeht bin ich stets sehr gut damit zurecht gekommen Wer aber viel auf schnellen Marathons unterwegs ist oder eben großen Wert darauf legt auch auf schnellen Forstraßenabfahrten noch beschleunigen zu können, sollte evtl. auf eine 26/36er Kurbel setzen. Für meinen Einsatz kann ich der 2×11 XTR attestieren, dass sie wirklich 100 % meiner Anforderungen abdeckt,  bei derartigen Fahrern könnten es aber durchaus auch man nur 95 % sein.

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Eines der Geheimnisse des sehr guten Praxiseindrucks sind die harmonische Gangsprünge der 11-fach Kassette.

Was mir als bekennender Freund der 1×11 Gruppen auch sehr positiv aufgefallen ist, war die für mich unglaublich stimmige Übersetzung bei SHIMANO. Die Gangsprünge unterscheiden sich zwar nicht eklatant von denen bei SRAM, aber die feinere Abstimmung ist dennoch spürbar. Wenn ich für Tests in der Saison hin und wieder eine SRAM 1×11 gefahren bin, erging es mir immer wieder so, dass ich intuitiv zwischen zwei nicht ganz optimalen Gängen hin und hergeschaltet habe, weil ich es von der XTR einfach gewohnt war immer den perfekt passenden Gang zur Verfügung zu haben. SHIMANO’S „Rhythm Step“ Philosophie scheint also wirklich nicht nur in der Theorie Hand und Fuß zu haben.

Die höhere Schaltgeschwindigkeit der XTR weil man auch runter 2 Gänge auf einmal zu schalten kann und die Option zum Runterschalten sowohl den Daumen, als auch den Zeigefinger zu nutzen sind ja hinlänglich bekannt. Hier hat SHIMANO funktionell die Nase vorne, auch wenn mich das Ein-Klick-Eine-Gang-Schema bei SRAM vorher nie wirklich gestört hat. Aber das bessere ist nun mal der ärgste Feind des Guten, nicht wahr :-).
Was ich außerdem löblich ansprechen muss ist die sehr gute Ergonomie der Schalthebel, die mir auf langen Touren und in sehr ruppigem Gelände immer wieder sehr positiv aufgefallen ist.
Überhaupt kann ich über Schalthebel, Sadadow Plus Schaltwerk und auch den Sideswing Umwerfer nur gutes berichten. Weder widrige Witterung, noch absichtliche Ignoranz meinerseits was die Reinigung und Pflege angeht – bis auf die Kette hat die Gruppe keinerlei Pflege erfahren – konnten der exzellenten Schaltperformance und Funktion irgendetwas anhaben. Hier muss ich sagen bin eich ebenfalls sehr beeindruckt von der Langlebigkeit und Toleranz der Gruppe.

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Funktionell gehört auch der Side-Swing-Umwerfer mit der Zugablenkung von vorne zu den Highlights der XTR Gruppe.

Besonders positiv ist mir auch die Kraft und Zuverlässigkeit des Side-Swing-Umwerfers in Kombination mit den SHIMANO Kettenblättern aufgefallen, die einfach immer dafür sorgt, dass die Kette dorthin wandert, wohin sie es auch soll. In dieser Paradedisziplin von SHIMANO bleiben die Japaner auch weiterhin unangefochten.

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Verschleiß: Gegen Ende des Tests, bei schmuddeligem Herbstwetter ist dann noch etwas bemerkenswertes passiert – beim richtig harten Antritt ist mir der Antrieb immer öfter kurz durchgerutscht. AHA, der Verschleiß lässt grüßen. Doch statt dessen, war es ein Defekt im Freilauf der AMERICAN CLASSIC Nabe (übrigens der erste einer AMERICAN CLASSIC Nabe bei uns und an eiem Laufrad, das ich seit über 2 Jahren im Dauereinsatz fahre). Sobald der behoben war, gab sich die XTR wieder genauso präzise und zuverlässig wie eh und je. Verschleißbedingte Probleme sind also auch nach 5 Monaten noch keine auszumachen – man muss schon sehr genau hinsehen um den Kettenblättern und Ritzeln überhaupt ihre intensive Nutzung anzusehen. Auch die Kettenlängung bzw. der Kettenverschleiß hält sich sehr wohl im Rahmen. SHIMANO-typisch halt.

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Die Integration von Schalt- und Bremshebeln durch I-Spec II ist so eine Sache. Sie hat ihre klaren Vorteile indem das Cockpit sehr aufgeräumt ist und nur wenig Baubreite einnimmt. Positiv auch, dass alle Armaturen weiterhin individuell einstellbar bleiben und somit eine optimale Ergonomie gewährleistet ist. In Kombination mit zusätzlichen Schaltern und Hebeln, wie etwa einem Dropper Remote, kann es aber durchaus Probleme geben – wie jüngst beim CUBE Stereo HPC 120 Race 29er, bei dem eine ROCK SHOX Reverb mit der SHIMANO XT kombiniert ist. Mit dem schlanken Hebel der THOMSON Elite Dropper, die ich an meinem Bike fahre, war es allerdings nie ein Thema … und wie oben beschrieben nutzt man den linken Schalthebel für die Kettenblätter ohnehin weit weniger als erwartet. Weniger ideal dagegen – insbesondere im Licht dessen, dass die neuen XTR Bremsen eben nicht ganz perfekt sind – ist die Tatsache, dass man dank I-Spec II die Schalthebel ohne aufwendigen Umbau der Deckeleinheit nicht ohne die Bremsen fahren kann.

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Egal ob Tour, Marathon oder Feierabendrunde – mit SHIMANO’s 2×11 Antrieb ist man für (fast) alle Eventualitäten gerüstet.

TESTFAZIT: Nach nunmehr gut 5 Monaten im harten Testeinsatz und fast ohne Pflege, hat sich die SHIMANO XTR Trail Antriebsgruppe tief in mein Bikerherz geschaltet. Auch nach all den Testkilometern bin ich noch verblüfft darüber wie viel ich doch in dem großen 34er Kettenblatt fahre, wie wenig ich wirklich auf das kleine 24er gehe und wie effizient sich die SHIMANO Gruppe fährt. Gegenüber bereits sehr guten 1×11 Schaltungen hat 2×11 in der SHIMANO Interpretation zwar nur ein paar zusätzliche Gänge, aber dafür ist man für eben auch für alles gerüstet. Während ich bei SRAM’s 1×11 eben „nur“ in 90-95% der Fahrsituationen den wirklich passenden Gang finde, schafft die XTR das für mich zu 110 %.

66 SHIMANO XTR Dafür wiegt die XTR Trail Gruppe aber auch einiges mehr als etwa eine SRAM XX1 (sogar noch mehr als die X1) und kostet grob überschlagen zwischen 250,- (SRAM XX1) und 600.- Euro mehr (SRAM X1). Das sind durchaus relevante Zahlen für den Luxus auch für wirklich jede Fahrsituation gerüstet zu sein. Ich weiß nicht wie es euch geht, aber für mich sind es diese 5-10% der Ausfahrt – dann nämlich, wenn es „drauf ankommt“ – die aus einer „tollen“ Ausfahrt eine „super“ Ausfahrt machen … aber das muss jeder für sich selber entscheiden.
Ich gebe zu, dass ich gerne auf den zusätzlichen linken Schalthebels verzichten würde, aber es sind Dinge wie die exzellente SHIMANO „Rhythm-Step“ Gangabstufung der 11-fach Kassette, der kräftige Side-Swing-Umwerfer und die tolle Haltbarkeit der Gruppe, die es mir wirklich angetan haben.

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Trailsurfing mit der SHIMANO XTR …

Die überarbeitete XTR Trail Bremse war äußerst zuverlässig, hatte aber Probleme mit einem nicht immer konstanten Druckpunkt.

Schlusswort: Auch nach dem Test bin ich hin und her gerissen. Je nach Prioritäten (Gewicht, Anschaffungspreis, Einfachheit und Schaltperformance, Gangabstufung, …)  schlägt der Zeiger mal mehr für die SHIMANO XTR, mal mehr für die SRAM XX1 und Co. aus … wirklich falsch macht man mit beiden nichts.
Was ich abschließend auf jeden Fall sagen kann, ist, dass SHIMNAO mit der 2016er XTR (und analog auch mit der neuen XT) definitiv einen zeitgemäßen Antrieb auf die Beine gestellt hat. Auch wenn viele anfangs die Nase gerümpft hatten, weil SHIMANO einen eigenen Weg gegangen ist mit der 11-40 Kassette und den engen Gangsprüngen der Kettenblätter – in der Praxis geht die Philosophie auf. Auf alle Fälle hat man bewiesen, dass Mehrfach-Kettenblätter noch lange nicht zum alten Eisen gehören, sondern so modern und relevant sind wie nie zuvor.

RIDE ON,
c_g