BRAKE FORCE ONE H2O Bremse – Vorstellung und Fahreindrücke (Brixen Testival – Teil III): von c_g
Als ich zum ersten Mal kurz vor der Eurobike davon gehört habe, dass die Ideenschmiede um den jungen Jakob Lauhoff eine Scheibenbremse anstatt mit Öl oder DOT-Bremsflüssigkeit ihre Bremse mit Wasser befühlen will, dachte ich es wäre ein Marketing-Gig. So was zieht bei den Medien und lässt sich unglaublich gut verwerten. Aber als ich dann weiter nachhakte, konnte mir Frank Stollenmaier, Geschäftsführer von BRAKE FORCE ONE sehr wohl gute Gründe nennen, warum die neue BFO H2O tatsächlich mit Wasser funktionieren könnte. Angeblich hätte sie in Vergleichsfahrten mit anderen handelsüblichen Bremsen sogar die höchste Hitzeresistenz bewiesen. Das war mal eine Ansage.
Warum Wasser? Nun im Grunde geht es darum um zwei Aspekte von Wasser: Zum einen hat jedes bisher realisierte hydraulische Medium (Mineralöl und besonders DOT) echt ungünstige Handlingeigenschaften (verschmutze Kleidung, schmierige Hände oder gar ein aggressives Verhalten auf Haut und Lacke, wie DOT), ist nicht immer zur Hand und wirkt umweltbelastend, wenn es freigsetzt ist. Wasser dagegen stört niemanden, ist überall verfügbar und in jeder Hinsicht unbedenklich. Der andere Punkt ist, dass Wasser zwar einen niedrigeren Siedepunkt besitzt wie Mineralöl oder DOT, dafür aber eine deutlich höhere Wärmekapazität hat wie die beiden. Das in einer smart angepassten Konstruktion soll absolut unbedenklich im MTB Einsatz sein. Nach Angaben von BFO soll es bisher unter Realbedingungen selbst in extrem fordernden Downhills nicht möglich gewesen sein, das Wasser am Bremssattel der BFO H2O über 86°C zu erhitzen. Durch die geringere Wärmeausdehnung von Wasser kann man die gesamte Konstruktion auch weiterhin als geschlossenes System, also ohne Ausgleichsbehälter gebaut werden.
Update: Um ein Einfrieren im Winter zu vermeiden, wird dem Wasser ab Werk Glycol beigegeben – genau wie beim KFZ.
Wie sich jeder denken kann, geht es nicht einfach nur eine bestehende Bremse mit Wasser zu befüllen. Dabei wären die bisherigen Dichtungen überfordert, die Bremse wäre nicht 100% dicht und außerdem würde wegen Korrosion nur kurz funktionieren. Doch genau diese Problematik haben die Ingenieure von BFO in sehr viel Detailarbeit in den Griff bekommen.
Soweit zum bereits revolutionären Grundkonzept der neuen Bremse, doch es geht noch weiter … viel weiter! Die H2O hat ein paar Kniffe die mich schon aus dem Stand begeistert haben. Da wäre einmal die hydraulische Kupplung der 4 mm Leitung an den Sattel und den Bremsgriff. Sie erlaubt es die Leitung ganz ohne Zusatzbauteile – wer schon mal an einer Scheibenbremse gearbeitet hat, kennt die kleinen Innenhülsen und Ringschrauben zur Befestigung – einfach die Leitung in den Bremsgriff und Sattel zu stecken … und sie hält. Durch einfaches Drücken des Rings kann man die Leitung genauso einfach wieder lösen um etwa die Leitung zu kürzen. Das zusammen bedeutet eine unglaubliche Erleichterung beim Verlegen und Kürzen der Hydraulikleitungen!
Der Schritt weg von der üblichen 5 mm Leitung zu 4 mm erlaubt es übrigens die Leitung in viel engeren Bögen zu verlegen. Auch gut.
Außerdem hat man am Sattel die Leitungsanlenkung um 360° drehbar gemacht um jeden unnötigen Bogen zu vermeiden.
Durch eine einteilige Konstruktion des Bremssattels als Schmiedeteil (Made in Germany) konnte die Steifigkeit auf mehr als das Doppelte erhöht werden … mit maßgeblicher Verbesserung des Druckpunktes, so die Aussage von BFO.
Als kleines, aber feines Detail hat man auch den Bremshebel überarbeitet, ihn ergonomischer, leichter gemacht und zusätzlich mit kleinen Gummipuffern an der Klemmung versehen, was die Klemmkräfte auf Leichtbau-Carbonlenker reduziert (wie kennen das Prinzip von BIKE AHEAD aus den NSA Lenkern und Sattelstützen).
Das Grundprinzip der Bremskraftverstärkung, das die BRAKE FORCE ONE Bremsen von Anfang an begründet hat und bei Bike-Scheibenbremsen weiterhin einzigartig ist, ist geblieben, aber auch überarbeitet worden. Bremskraftverstärkung heißt, dass die Bremse zuerst mit einer hohen hydraulischen Übersetzung den Luftspalt zwischen Belag und Scheibe überwindet und dann in einem anderen Verhältnis – nämlich einem das viel mehr Kraft aufbringt – die Beläge gegen die Scheibe drückt.
BRAKE FORCE ONE ist in seiner Produktion bedacht möglichst viel selbst zu machen oder regionale Zulieferer zu nutzen. Damit ist der Anspruch „Made in Germany“ hier wirklich gegeben. Wer vermutet, die BFO H2O wäre ein Premiumprodukt, liegt richtig, aber angesichts der Rahmenbedingungen und der geringen Stückzahlen erscheint der VK für einen Satz der Bremse von 594.- Euro durchaus gerechtfertigt. Wenn man bedenkt, dass das Vorgängermodell für ganze 780.- Euro über den Ladentisch ging, ist es geradezu ein Schnäppchen. Auch bei den Bremsscheiben konnte man den Preis von bisher 45.- bis 54.- Euro je Scheibe (abhängig von der Größe) auf pauschal auf 32.- Euro drücken.
Ach ja, und wer das auch noch wissen will. Die BFO H2O soll es gerade mal auf 188 g (VR, zzgl. Scheibe) bringen und ist damit auch noch eine der derzeit leichtesten Scheibenbremsen!
Hier noch ein Video, in dem der Erfinder Jakob Lauhoff seine neueste Kreation auf der Eurobike 2015 vorstellt:
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Die BFO H2O im Praxistest
Soweit zur wahrlich beeindruckenden Theorie und den Zahlen, doch wie wir gerne sagen: „Die Wahrheit liegt bekanntlich auf dem Trail.“ Und gerade dort konnten uns die bisherige BFO nie so richtig überzeugen. In Konsequenz der Bremskraftverstärker Konstruktion erfolgt die Dosierung nicht wie bei den anderen Bremsen überwiegend kraftabhängig, sondern weg- & kraftabhängig. Das heißt auch, wenn der Belag bereits anliegt kann man den Hebel noch stärker an den Lenker ziehen wie man es normalerweise gewohnt ist. Dadurch entstand ein für meinen Geschmack zu undefinierten Druckpunkt und es fehlte mir immer an Dosierbarkeit und Feedback der Bremse. Die Bremskraft war schon immer genial und die Hitzebeständigkeit ebenfalls, aber gerade in kritischen Situationen, habe ich mich nie so richtig wohl mit einer BFO am Bike gefühlt.
(hier die Einfingerversion der BFO H2O mit roten Eloxalteilen)
(und hier die BFO H2O mit blauem Zweifinger-Bremshebel und grünem Verstärkerkolben)
Mit diesen Vorerfahrungen saß ich also in der Gondel der Plose bei Brixen und wusste, jetzt geht es 1500 Tiefenmeter über zum teil sehr rutschige und steile Trails runter. Ich gebe zu, dass ich etwas skeptisch war:
Die erste große Überraschung bot mir die BFO indem der Druckpunkt weitaus definierter und knackiger war, als ich es von der Vorgängerin kannte. Ich brauchte zwar immer noch ein wenig Eingewöhnung um mich damit in kniffligen Passagen richtig wohl zu fühlen, aber das war’s auch schon. Auch die BFO hat nicht ganz den harten Druckpunkt, den ich persönlich bevorzuge, aber es ist mit dem neuen Modell sehr wohl im Rahmen, dessen, was man heutzutage als normal bezeichnet. Das Feedback der Bremse kurz vor die Reifen blockieren ist für meinen Geschmack weiterhin ein bisschen zu unklar. Gerade dort, wo man sich am Limit der Traktion bewegt oder möglichst schnell viel Speed abbauen muss, fühlte ich mich anfangs nicht immer 100° wohl. Aber wie gesagt, das ist zum einen Geschmackssache und zum anderen einen Sache der Gewöhnung. BFO selbst sagt offen, dass man beim Umstieg von anderen Bremsen schon ein oder 2 Ausfahrten braucht ehe man sich an das „andere Bremsgefühl“ gewöhnt hat.
Außerdem kann man bei der BFO sowohl Druckpunkt, wie auch die Griffweite über einen sehr breiten Bereich verstellen. Nachdem ich auf der Abfahrt einiges Herumprobiert hatte, fand ich am Ende, dass sich die Bremse mit einem möglichst knackigen Druckpunkt (sprich geringer Leerweg bis die Beläge greifen) und einer nahe am Lenker befindlichen Hebelposition für mich am besten angefühlt hat. Dabei wurde aber auch klar, dass der Verstellbereich ein so breites Spektrum abdeckt, dass man damit die Bremse schon im Stillstand blockieren kann, bzw einen Leerweg erzeugen kann, der sich fast anfühlt, als würde man ins Leere greifen … zumindest an unserem gefahrenen Vorserienmuster.
Die Bremskraft ist übrigens weiterhin absolut grandios und ohne jeden Tadel. Man kann die Reifen locker mit einem Finger blockieren. Dem Eindruck nach die bisher stärkste Bremse die ich je gefahren bin. Relativierend muss ich aber auch sagen, dass die meisten Bremsen heute auf so hohem Niveau arbeiten, dass die effektive Bremskraft heutzutage lediglich auf sehr langen Abfahrten noch eine Rolle spielt, wenn es darum geht wie schnell die Finger und Hände bei viel Bremseneinsatz ermüden. BFO liefert ihre Bresmen wahlweise mit einem Ein- oder Zweifingerhebel aus. Das von mir gefahrene Bike hatte lustigerweise beide montiert und nach der Abfahrt kann ich klar sagen, dass ich den Einfingerhebel angenehmer empfunden habe und angesichts der Bremskraft für absolut ausreichend halte.
Standfestigkeit: Nach ein paar hundert Tiefenmetern stand dann für mich auch nicht mehr die Bremse im Vordergrund, sondern das der Spaß diesen grandiosen Trail zu fahren und zu genießen. Und so sollte eine Bremse in meinen Augen funktionieren – Sicherheit spenden ohne, dass man an sie denken muss. Die übrige Abfahrt hat die BFO H2O dann genau das gemacht was sie sollte –zuverlässig und ganz ohne jede Auffälligkeit verzögern. Auch nach langen absichtlichen Schleifbremsungen in steilem Gelände konnte ich der H2O nicht mehr Reaktionen anmerken, wie ein minimal härter werdender Druckpunkt, der sich aber sehr einfach durch die Druckpuntktverstellung hat regulieren lassen. Von Fading oder Hitzeproblemen keine Spur. Das ist insbesondere bemerkenswert, weil ich im Rahmen des Testivals noch ein paar andere Bikes den gleichen Trail heruntergefahren bin und keine davon hat die Beanspruchung ohne kurze Zwischenstopps zur Abkühlung und ohne Fading überstanden.
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SENSATIONELL – Der Entlüftungs-Härtetest im Gelände! Auf der Abfahrt in der Gruppe ist dann noch etwas sehr bemerkenswertes passiert bei dem mich die BFO dann ehrlich verblüfft hat: Einer der Fahrer stützte auf einer rutschigen Wurzel und hat sich tatsächlich die Bremsleitung am Ansatz zum Hebel abgenickt – Hydauliflüssigkeit … ähem Wasser … spritzt raus und die Bremse ist nicht mehr nutzbar. Ein echter Supergau mitten in einer 1500 Hm Abfahrt, der, wenn man nicht zufällig ein Fläschen ÖL oder DOT dabei hat, bedeuten würde, den Weg zu tragen – mit nur einer HR-Bremse ist der Trail unfahrbar.
Anfangs haben wir alle dumm dreingeguckt, inkl. unseres Guides und BFO Technikers Dorian (Grüße an der Stelle J), doch dann hat er sich ein Herz gefasst und die Bremse ganz ohne Werkzeug wieder flott gekriegt. Die Leitung um den geknickten Teil gekürzt, direkt aus der Wasserflasche befüllt, usw. Das hat zwar nicht auf Anhieb funktioniert und brauchte 2- oder drei Anläufe, aber nach ca. 15 min konnte die Abfahrt weitergehen. Einen publikumswirksameren Beweis warum Wasser als Bremsmedium Sinn macht hätte uns keiner bieten können!
Fazit: Auch wenn es nur ein, wenn auch langer, Downhill war, den ich die BRAKE FORCE ONE H2O bewegt habe, so hat sie mich doch überzeugt, dass Wasser als Bremsmedium kein Gag, sondern real ist und die neue BFO Bremse wirklich einen technischen Quantensprung darstellt. Wir freuen uns auf einen ausführlichen Test, wenn die Bremse Made in Germany demnächst in Produktion geht.
RIDE ON,
c_g
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PS: Wer denkt, dass eine solche Ideenschmiede wie BFO neben der revolutionären BFO H2O bestimmt noch andere Innovationen in Arbeit hat, dem darf ich Recht geben. Man sagte uns dass man das gesamte Bremsverhalten überdenke und an einer Technologie arbeite, das es uns evtl. schon bald ermöglichen würde die Bremskraft noch sicherer und dosierter auf den Boden zu bringen … Marketing oder Realität? Nachdem ich die H2O gefahren bin, bin ich ehrlich gespannt ;-).
„…doch dann hat er sich ein Herz gefasst und die Bremse ganz ohne Werkzeug wieder flott gekriegt. Die Leitung um den geknickten Teil gekürzt…“
Ohne Werkzeug? Ist der Beißer aus den alten James Bond-Filmen bei euch mitgefahren? 😉
@Sven: Werkzeug = Fahrradwerkzeug/Spezialwerkzeug. Wir haben ein Taschenmesser zu kürzen verwendet.
Besser?
Gibt es ein Nutzungsverbot im Winter? Oder gefriert das BFO-Wasser nicht?
@ Georg: Ja, das wäre doch mal was :-). Um ein Einfrieren im Winter zu vermeiden, wird dem Wasser ab Werk Glycol beigegeben – genau wie beim KFZ. (Ist auch als Update im Text vermerkt.)
Servus, Problem ist Glycol verhindert das einfrieren, (Laut BFO sind 25% Glycol beigemischt, das wären gerade mal -10°) aber bei kleinen Leitungsquerschnitten kann es deutlich früher gefrieren.
Hat denn Niemand mal die Bremse bei tiefen Temperaturen getestet ?
Wenn Ihr die Bremsen noch habt, legt sie doch mal über Nacht in die Gefriertruhe und testet mal ob sich dann noch was bewegt, würde mich mal interessieren.
@ Luki: Wir hatten lediglich die Gelegenheit, die Bremse am Testival zu fahren. Ein echtes Testmuster zum TNI-Test soll aber folgen, sobald verfügbar.