TNI-de – Vorstellung von MiMüs Abschiedsbike (von MiMü)

Nun ist es also tatsächlich bald soweit: TNI beendet nach rund acht Jahren Berichterstattung seine Arbeit. Das Jahr 2020 war, neben der Corona-Pandemie, auch für mich beruflich und privat zu herausfordernd, um euch zuverlässig und regelmäßig hochwertige, unabhängige Testberichte zu liefern. Immerhin fünf Jahre durfte ich Teil der TNI-Familie sein, eine Zeit, die ich nicht missen möchte. Neben unzähligen Tests spannender Produkte – beispielsweise 18 Bikes, ebenso vielen Reifenpaare, Federgabeln, Helme, Dropper Posts, … – waren es auch vor allem die Besuche von Messen, Testevents und der direkte Kontakt zu den Herstellern, die mir positiv in Erinnerung bleiben werden. Ich war stets mit großer Freude TNI-Schreiber und betrachtete es durchaus als eine Art Ehre, neue Produkte testen zu dürfen und so den Herstellern ein ehrliches, unverfälschtes Endkunden-Feedback abzuliefern.
Mein größter dank gilt euch, liebe Leser. Für eure Treue, eure Rückmeldungen zu unseren Tests und für die eine oder andere spannende Diskussion. Die zahlreichen Antworten auf unsere Abschiedsankündigung zeigen mir eindeutig, wie sehr ihr unsere Arbeit zu schätzen wisst. Ohne euch wäre TNI-de nicht das, was es ist: eine Plattform von leidenschaftlichen Mountainbikern für leidenschaftliche Mountainbiker.
Parallel zu c_g wollte ich euch zum Abschied ebenfalls einen Custombike-Test mit einigen spannenden Produkten abliefern. Aber was mir 2020 und damit verbunden Corona gelehrt haben, ist keine Pläne zu schmieden. Seit Ende November stieg die Zahl der COVID-19-Erkrankten stetig an, 60-Stunden-Arbeitswochen entwickelten sich zur Regel und die wenige verbliebene Freizeit war für meine Familie reserviert. An ausgiebige Testfahrten auf meinen Hometrails war somit leider nicht zu denken. Dennoch möchte ich euch mein neues Bike mit seinen Komponenten hier noch im Detail vorstellen – sei es, um den Abschied von TNI gebührend zu gestalten oder dem einen oder anderen Leser das Wasser im Mund zusammenlaufen zu lassen.

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MiMüs Abschiedsbike

Nach einigen Allmountain- und Trailbikes in den vergangenen Jahren war meine Zielsetzung dieses Mal ein potentes Endurobike mit 160-170mm Federweg aufzubauen. Nach kurzer Online-Recherche und einige Emails an unterschiedliche Hersteller fiel meine Wahl auf das PROPAIN Tyee AL, welches mich wegen seiner modernen, aber nicht zu extremen Geometrie, den verschiedenen Custom-Optionen und nicht zuletzt des sehr guten Preis-/Leistungsverhältnisses überzeugen konnte.

Dem 64,5° flachen Lenkwinkel steht dabei ein (effektiv) 77,1° steiler Sitzwinkel gegenüber, der Reach beträgt in Rahmengröße M ordentliche 451mm. Seine Oberrohrlänge von 595 mm und der Stack von 630 mm sind ebenfalls up to date. PROPAIN‘s eigener Pro 10 Hinterbau mit seiner aufwendig wirkenden Dämpferanlenkung funktioniert nach dem VPP-Prinzip, mit zwei gegenläufig arbeitenden Umlenkhebeln. In der aktuellen Evolutionsstufe steht der Dämpfer nun vor dem Sitzrohr im Rahmendreieck, ist dort optimal vor Schmutz geschützt und balanciert gleichzeitig den Rahmen besser aus. Unverändert blieben die Kettenstreben mit satten 445 mm Länge, was der Laufruhe ebenso wie der Reifenfreiheit zugutekommen soll. Apropos Laufruhe: mit seinem Radstand von 1228 mm übertrifft das Tyee AL sogar das vor zwei Jahren getestete ORANGE Stage 6 RS – und das war schon fast zu laufruhig. Aber, und das habe ich auch während meiner Zeit als Tester gelernt: Man soll ein Bike nicht rein nach seinen Zahlen bewerten.
Neben dem von mir gewählten martialischen Raw-Look mit seinen weithin gut sichtbaren großen Schweißraupen gibt es das Tyee AL auch noch in den Farben „petrol“ und „marsred“. Als Rahmengrößen stehen M, L und XL zur Verfügung, wodurch ein Fahrerspektrum von 168 bis 202 cm Körpergröße abgedeckt werden soll.

  

Weitere optische Individualisierungsoptionen bietet PROPAIN in Form der insgesamt zehn Decal-Farben, dazu kommen noch drei verschiedene Headbadge-Möglichkeiten. Im Grundpreis von gerade einmal 1099.- € (zzgl. Versand) inkludiert sind ein hochwertiger ACROS-Steuersatz (die Hinterbaulager stammen übrigens auch vom württembergischen Hersteller und sind zusätzlich durch PROPAIN Dirt Shield Abdeckungen geschützt), die HR-Steckachse, eine Sixpack Sattelklemme sowie ein ISCG05-Montageadapter. Ein durchaus faires Angebot also. Als Hinterbaudämpfer stehen insgesamt sieben Modelle von ROCK SHOX und FOX zur Auswahl, fünf davon als Luftvariante, zwei mit Stahlfeder. Ich entschied mich für den ROCK SHOX Super Deluxe Select+ Air um 335,- €, alternativ kann ich aber auch auf einen MARZOCCHI BOMBER CR Stahlfederdämpfer zurückgreifen.

Zum Gesamtpreis von 1434.- € bekommt man so einen sauber verarbeiteten Alurahmen, der in Größe M inkl. Dämpfer 4250 g schwer ist. Der nackte Rahmen kommt auf – bedenkt man den Einsatzbereich – ziemlich akzeptable 3810 g. Selbstredend ist das PROPAIN Tyee AL mit allen gängigen Standards wie etwa Boost-Hinterbau, Stealth-Anlenkung, sowie interner Leitungsverlegung ausgestattet. Ein großer Unterrohrschutz aus Kunststoff und der geräuschdämmende Ketten- und Sitzstrebenschutz fallen ebenfalls positiv ins Auge. Das geschraubte BSA-Tretlager und die leicht zu wechselnden Hinterbaulager freuen das Herz des Selberschraubers. Ein Mullet-Aufbau mit großem 29“ Vorderrad und kleinerem 27,5“ Hinterrad ist beim Tyee AL nicht möglich (dafür gibt es aber einen reinen 27,5“ Rahmen), ebenso verzichtet PROPAIN auf einen Geometrie-Flipchip.

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Komponenten

Für den weiteren Aufbau des Tyee AL habe ich einen guten Mix aus einigen bewährten und vielen neuen Teilen gewählt.

Für die standesgemäße Verwaltung der 170 mm Frontfederweg zeigt sich dabei meine bestens eingefahrene und 2018 auf TNI getestete MARZOCCHI BOMBER Z1 Federgabel in der Air-Ausführung verantwortlich. Ein reines Stahlfederfahrwerk wäre durch Wechsel auf die Coil-Variante der Z1 möglich – und etwa für Einsätze im Bikepark auch angedacht.

Beste Schaltungsperformance sollte die überarbeiteteSRAM GX Eagle Gruppe mit der großen 10-52 Kassette bieten. In Kombination mit einem 30 Zähne messendem ovalen WORKS COMPONENTS Kettenblattan meiner seit Jahren bewährten PRAXIS WORKS Ladet Kurbel stellt die neue Kassette einen echten Berggang parat, der auch steilste Rampen angenehm pedalierbar macht. Bei der Verzögerung greife ich einmal mehr auf Bermsen der MAGURA MT-Serie zurück, hier passend mit 4-Kolben-Sattel vorn eund hinten. Zusammen mit einer 203 mm Disc an der Front und 180 mm im Heck sollte so stets genug Bremspower vorhanden sein. Die originalen silbernen Kolbenblendenringe habe ich zwecks auffälligeren Kontrastes zum Raw-Rahmen gegen glänzend-rote Ringe ersetzt.

HUNT Trailwide 29

Der britische Hersteller HUNT BIKEWHEELS stellt mit dem Trail Wide den Laufradsatz für mein Tyee AL. Robuste, stoßgeschweißte 6069-T6 Aluminiumfelgen mit 30 mm Maulweite, klassisches Einspeichmuster mit 28 3-fach konifizierten Speichen am Vorder- und 32 am Hinterrad sowie umgelabelte Novatec-Naben inkl. XD-Freilauf mit sechs Sperrklinken und 60 Einrastpunkten lauten die Zutaten für diesen in unseren Breiten noch eher selten verbauten Laufradsatz. HUNT erwartet sich von der oben genannten Aluminiumlegierung eine um 34-69% höhere Zugfestigkeit seiner Felgen als beim geläufigeren 6061-T6 Aluminium.

Für eine möglichst einfache und effektive Tubeless-Montage hat HUNT das H-Lock Felgendesign entwickelt, wodurch der Reifen nicht nur leicht montiert werden kann, sondern dauerhaft auch bei geringsten Luftdrücken satt und sauber auf der Felge sitzen soll. Der Freilauf mit gerade einmal 3° Einrastwinkel verspricht schnellen Kraftschluss und gefällt mir wegen seines bienenschwarm-ähnlichen Klanges. Dank hochwertiger japanischer EZO Kugellager dürften sich die Naben lange geschmeidig und zuverlässig um die Achsen drehen.

Gerade einmal 459.- € sind für den nachgewogen 1810 g schweren Laufradsatz zu berappen, der bereits mit eingeklebtem tubeless-Felgenband sowie zwei dazu passenden Ventilen und vier Ersatzspeichen inkl. Speichennippeln geliefert wird. Über die HUNT-Homepage kann man den Trailwide-LRS zudem an unterschiedliche Nabenstandards (NonBoost, Boost, SuperBoost) anpassen, zwischen den drei gängigen Freiläufen wählen oder sich den Laufradsatz als Mullet-Version liefern lassen. Auch Reifen von Schwalbe oder Maxxis können bereits an Werk montiert werden.

Bei der Bereifung meines Tyee AL greife ich gerne auf bereits bekannte und von uns getestete Modelle zurück. Vorne habe ich mich für einen VITTORIA Martello Trail 29 x 2,35″entschieden, den c_g 2018 im Test hatte. Unterstützt wird dieser am Heck vom etwas rollfreudigeren, aber dennoch gripstarken VITTORIA Agarro Trail 29 x 2,35″, den ich selbst vor rund einem Jahr über die Trails jagen durfte.

NUKEPROOF ARD Tire Insert

Zusätzlich werde ich erstmals ein Pannenschutz-System verbauen. NUKEPROOFs Reifeninsert ARD besteht aus einem hochdichten Schaumstoff, der Durchschläge effektiv verhindern sowie Burping und Reifenwalken minimieren soll. Auch das Fahren mit geringerem Luftdruck und verbesserte Notlaufeigenschaften sollen möglich sein. All diese Vorteile verspricht NUKEPROOF bei Felgenbreiten von 19 bis 35 mm – mit nur einer Insert-Größe. „ARD“ steht hier für „Advanced Rim Defense“ und nicht für einen öffentlich-rechtlichen TV-Sender. Zumindest spart man sich damit schon mal die Rundfunkgebühr! Preislich bleibt das NUKEPROOF ARD im Vergleich zu Mitbewerbern absolut im Rahmen – gerade mal 55,99.- € UVP sind für einen Satz Inserts und zwei spezielle Tubelessventile zu berappen, wobei viele (vor allem britische) Onlineshops ARD fast durchgängig im Sale haben. Genau 160 g/Stück hat meine Küchenwaage angezeigt, die Rotationsmaße des Laufrades ändert sich durch den Einsatz von ARD also nur moderat.

Von seiner äußeren Erscheinung erinnert ARD naturbedingt auch wieder ein wenig an eine Poolnudel, im Querschnitt erkennt man aber deutlich die beiden seitlichen Flügel, die im Falle eines möglichen Durchschlags die Felgenhörner vor Beschädigungen schützen sollen. Die Montage von ARD gestaltete sich völlig problemlos, der Schaumstoffring wird einfach in den einseitig aufgezogenen Reifen eingelegt und schmiegt sich schlüssig an den Felgenring an. Die zweite Reifenseite muss dann nur noch in den kleinen Spalt zwischen Felgenhorn und ARD hindurchgezwängt werden, was mit etwas Fingerfertigkeit und Kraft leicht zu bewerkstelligen ist. Aktuell plane ich das NUKEPROOF-Reifeninsert vorrangig am Hinterrad zu verwenden, weil dort erfahrungsgemäß die Gefahr eines Durchschlags größer ist. Das zweite ARD dient zwischenzeitlich als Ersatzteil.

E*THIRTEEN Vario Infinite Dropper-Stütze

Kommen wir als nächsten Highlight meines Tyee AL. Meinen bewährten und geliebten FABRIC Scoop Sattel habe ich beim PROPAIN-Projekt auf die brandneue E*THIRTEEN Vario Infinite Dropper Post montiert. Sie arbeitet mittels einer in sich geschlossenen Gaskartusche und bietet eine Hubanpassung von 30 mm (in 5 mm-Schritten). Neben der von mir verbauten Variante mit 150-180 mm Absenkung bietet E*THIRTEEN ebenfalls ein kürzeres Modell mit 120-150 mm Hub an.  Beide Versionen sind um portemonnaie-freundliche 209.- € erhältlich. Mit ihren nachgewogenen 622 g geht meine Vario Infinite auch gewichtstechnisch absolut in Ordnung. Die besagte Hubanpassung zwischen 150 und 180 mm geschieht dabei vollkommen werkzeuglos und ist in unter einer Minute sogar unterwegs durchgeführt: es muss nämlich lediglich die Abschlussmutter der Dropper Post per Hand abgeschraubt werden, um an die Reduzierhülse zu kommen. Diese wird nach oben gezogen, gedreht und dann einfach beim gewünschten Dropper-Hub wieder nach unten geschoben. Zum Schluss einfach die Mutter festziehen, fertig! E*THIRTEEN hat alles fein säuberlich beschriftet, damit der Fahrer sicher den richtigen Hub erwischt. Auch am Tauchrohr sind sämtliche Hubvarianten – ähnlich wie bei ROCK SHOX Federgabeln – gut lesbar eingelasert.

In den Stützenkopf hat E*THIRTEEN ebenfalls viel Hirnschmalz investiert. Diese bietet sagenhafte 28° Neigungsverstellung, um an unterschiedlichste Sitzrohrwinkel anpassbar zu sein. Des Weiteren hat man den Verstellbereich der Sattelstreben nach hinten/vorne um zusätzliche 12 mm vergrößert.

Kommen wir zum Vario Lever, der zum Preis von 49,90.- € über den Ladentisch geht. Der kugelgelagerte Hebel wurde im Vergleich zum Vorgänger weiter optimiert, bietet nun drei Montagemöglichkeiten um unterschiedliche Handgrößen/Daumenlängen zufrieden zu stellen. Zudem wird für alle Einstellungen (Zugklemmung, Schellenposition, Auslösewinkel) nur ein 3 mm Inbus benötigt. Das Griptape am Daumenhebel hat mir schon bei der ersten Version des Vario Levers gefallen und wird auch beim aktuellen Lever wieder aufgeklebt.

Ich wollte die E*THIRTEEN Vario Infinite eigentlich mit ihrem maximalen Hub von 180 mm verwenden, was aber wegen ihrer Baulänge von 520 mm beim Tyee AL in Rahmengröße M leider nicht funktionierte. Dessen Sitzrohr hat etwa in der Mitte eine leichte Krümmung, wo die Dropper Post unweigerlich ansteht und nicht mehr vorgeschoben werden kann. Mit auf 170 mm reduziertem Hub konnte ich die E*THIRTEEN aber auch hier problemlos montieren.

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Praxiserfahrungen – Leider (noch) keine!

Ihr könnt mir glauben, dass ich euch an dieser Stelle anstatt einer theoretischen Bike-Vorstellung gerne echte Praxiseindrücke präsentiert hätte. Aber sehen wir es mal so: sollte TNI einen Relaunch starten, dann steht mit meinem PROPAIN Tyee AL eine potente Plattform für jede Menge Produkttests parat. Noch wissen wir alle nicht, was das Jahr 2021 bringen wird. Ich hoffe aber auf ein baldiges Abklingen der Pandemie, auf die Vernunft der Menschen und natürlich auf offene Trails. Vielleicht habe ich mit meinem vorerst letzten Artikel auch die eine oder andere Aufbauidee geboren – wenn ja, dann lasst es mich wissen! Also, liebe Leser, bleibt gesund und schaut auf euch und eure Liebsten!

MiMü