ROCK SHOX ZEB Ultimate Federgabel – Praxiserfahrungen (von c_g)

Bis vor Kurzem waren die ROCK SHOX Lyrik und die FOX 36 Float die aggressivsten und langhubigsten Single-Crown Federgabeln der jeweiligen Hersteller – bei FOX als 29er Gabel mit maximal 170 mm und bei ROCK SHOX mit 180 mm Federweg. Noch mehr Federweg und einen noch aggressiveren Einsatzbereich gab es bis ins Frühjahr 2020 nur noch die jeweiligen Doppelbrücken-Gabeln. Doch dann kamen die bereits vielfach im Vorfeld an Pro-Bikes geteaserte FOX 38 und die ROCK SHOX ZEB um diese Lücke zu schließen.

 

Coronabedingt hat es bis jetzt gedauert, bis wenigstens eine der beiden neuen Long-Travel Enduro-Race-Gabeln bei uns zum Test angekommen ist – zwar nicht mehr ganz rechtzeitig für das Intro des Bikes, aber doch noch rechtzeitig für das TNI-Abschiedsprojekt. Dadurch hatte ich genug Zeit mich zuerst an die Lyrik am NICOLAI G1 zu gewöhnen ehe die ZEB kam. Ideal um die wohl brennendste Frage im Bezug auf die noch dickeren Standrohre zu beantworten: „Wie groß sind die praxisrelevanten Unterschiede.“ und „Brauche ich als „Bio-Biker“ wirklich noch mehr Steifigkeit, oder schielen die 38 mm Standrohre nicht doch mehr in Richtung E-Bike?“Doch zuerst nehmen wir nochmal einen Schritt zurück. Hier ein ppar Zahlen und Fakten zur getesteten ROCK SHOX ZEB Ultimate mit 180 mm Federweg:

Der Name ZEB ist übernommen vom Entdecker Zebulon Pike, der im Jahr 1806 wohl als erster Weißer den Grand Peak (auch „Pikes Peak“) den höchsten Berg der ROCKY Mountain Front Range (fast) bestiegen hat. Was das mit der neuen Federgabel zu tun hat? Bis auf der Tatsache, dass das ROCK SHOX Entwicklungszentrum dort in der Nähe liegt nicht viel … hört sich aber nach Abenteuer und Wildniss an.
Die Gabel selber ist eine komplette Neukonstruktion auf der Basis von 38 mm Standrohren und soll aufgrund einer höheren Steifigkeit und Federwegen zwischen 160 und 190 mm (!) vor allem sehr aggressive Fahrer und Enduro-Racer ansprechen. Glaubt man den Zahlen von ROCK SHOX so hat die ZEB gegenüber einer Lyrik mit gleichem Federweg (Referenz ist 29“ und 180 mm) ca. 21.5 % mehr Torsionsteifigkeit, aber nur 2 % mehr Bremssteifigkeit und 7% mehr Seitensteifigkeit besitzen. Offenbar ist man der Meinung, dass vor allem das Thema Lenkpräzision noch verbesserungswürdig sei, es in den anderen Steifigkeiten dafür auch ein „zu steif“ gibt. Ein aus unserer Sicht spannender Ansatz die Steifigkeit nicht pauschal höherzuschrauben.


Optisch ist die ZEB mit dem neuen Casting und der CNC-gefrästen Gabelkrone ein ganz anderes Kaliber, als die Lyrik – viele kantiger, deutlich aggressiver und wuchtiger in der Erscheinung – als die bekannte Lyrik oder Pike. Durch die vielen harten Kanten und weniger organischen Formen macht sie am ebenso geradlinigen NICOLAI G1 eine exterm gelungene Figur … wie dafür gemacht.

Interessant: Im Inneren sind die meisten Technologien mehr oder weniger von der Lyrik übernommen worden. Auf der Dämpfungsseite werkelt die gleiche Charger 2.1 RC2 Kartusche mit separat einstellberer Low- und High-Speed Druckstufe und verstellbarem Rebound (bei der ZEB Select RC und der ZEB Select kommen etwas einfachere Dämpfungen zum Einsatz) und auf der Federseite gibt es die formidable und für 2021 aktualisierte DebonAir Luftfeder (über den Luftdruck und Tokens in der Charakteristik verstellbar). Aufgrund der größeren Rohrdurchmesser kommt die Zeb bei gleichem Fahrergewicht allerdings mit weniger Luftdruck aus, was die Dichtungen auf Dauer entlasten soll. Außerdem soll dies zur Folge haben, dass bereits kleinere Änderungen einen deutlicheren Unterschied im Federungsverhalten machen sollen (mehr dazu weiter unten). Eine Stahlfedervariante gibt es aktuell nicht.

Um der beabsichtigten Klientel noch besser gerecht zu werden, verfügt die ZEB über eine PM8 Bremsaufnahme, was bedeutete, dass man daran eine 200 mm Scheibe komplett ohne Adapter fahren kann. Kehrseite der Medaille ist aber auch, dass sich kleineren Scheiben (180 oder 160 mm) darauf gar nicht montieren lassen. Der maximale Scheibendurchmesser liegt bei 220 mm. Neu an der ZEB ist auch die von der Boxxer übernommene Leitungsführung, die nur noch aufgeschraubt wird und die Möglichkeit einen eigenen Fender ran zu schrauben. Das halbseitige schön geformte Schutzblech wird mit der Gabel ausgeliefert und wirkt  natürlich deutlich hochwertiger als die klassischen Kabelbinder-Fender, wie sie noch bei der Lyrik genutzt werden müssen. Geblieben sind die Ausfallenden im Boost-Standard (110×15 mm) mit Torque-Cap Kompatibilität und die Option sowohl eine Steckachse mit Schnellspanner, wie auch die Ultimate Steckachse (mit 6-mm-Inbus) damit zu fahren. Das Gewicht unserer Testgabel liegt mit den einem 190 mm Gabelschaft bei 2243 g, womit sie ca. 230 g Mehrgewicht gegenüber unserer Lyrik auf die Waage bringt.

Die neue ZEB ist im 29er Format sowohl mit 51 mm wie auch 44 mm Offset erhältlich. Somit bot sich für mich auch hier die Gelegenheit mal die beiden Offsets im direkten Vergleich zu fahren, denn während meine Lyrik Testgabel noch 51 mm Offset hat, kam die ZEB Testgabel mit dem kleineren 42 mm Offset. Mal sehen, ob bzw. wie sich das in der Praxis ausdrückt.

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Praxiserfahrungen

(Ein paar Worte vorab: Mitte November und inmitten einer ist nicht unbedingt der ideale Zeitpunkt um die aktuell potenteste Single-Crown Federgabel voll auszufahren. Ohne Zugang zu Bikeparks und Liftunterstützung, aber vor allem ohne an mein fahrerisches Limit zu gehen, lassen sich die Grenzen dieser Gabel ganz sicher nicht erfahren. Ich bitte daher meine Praxiseindrücke auch immer unter diesen Voraussetzungen zu bewerten.)

Als die ZEB Ultimate angeliefert wurde, ist sie sofort ans Bike gewandert und auf  eine erste ausgedehnte Testrunde gegangen. Auf diesen ersten Ausfahrten (auf 25-27 % SAG eingestellt) kam sie mir auf Anhieb direkter, weniger komfortabel und damit „anstrengender“ zu fahren vor. Die mutmaßlich höhere Lenkpräzision war vor allem in hart angebremsten Kurven oder in tiefem Schlamm deutlich  spürbar, insgesamt aber war die ZEB für mich aber eher ermüdend, als zuträglich. „Muss wohl wegen der zusätzlichen Steifigkeit sein“ dachte ich mir. Ich selbst bin überzeugt davon dass ein definiertes Maß an Flex an der richtigen Stelle dem Fahrer eher hilft, als ihn zu hindern und so sah ich mich in der ZEB sofort bestätigt, dass sie für mich einfach „zu steif“ wäre – eine E-Bike oder reinrassige RACE-Gabel eben.

Nach kurzer Rücksprache dazu mit ROCK SHOX kam der Vorschlag doch mal ein paar psi aus der Luftfeder zu lassen. Gesagt getan … und auf einen Schlag, war die ZEB genauso komfortabel wie meine Lyrik. Gerade mal 5 psi weniger (was mit meiner mechanischen Dämpferpumpe nur bedingt präzise zu bestimmen ist) machen bereits den Unterschied zwischen ein wenig zu straff und perfekt. Ein paar psi weiter runter mit dem Luftdruck, machen die ZEB aber auch ganz schnell „zu komfortabel“ und man muss isch schon wieder eines zusätzlichen Tokens bzw. der Druckstufendämpfung bedienen um ein Absacken oder Durchschlagen zu vermeiden. Insgesamt ist das Einstellen der Luftfederung wie immer sehr einfach erfordert bei der ZEB aber ein wenig mehr Aufmerksamkeit, weil eben schon kleine Druckunterschiede deutliche Unterschiede im Federungsverhalten bedeuten.

Nachdem die Charger 2.1 RC2 Dämpfung ohnehin übernommen wurde ist es nicht weiter verwunderlich, hier auch die gleiche Performance und ein sehr ähnliches Fahrgefühl vermittelt. Während sich die High-Speed-Druckstufe (HSC) mit gerade mal 5 Klicks in einem eher schmalen, aber sinnvollen Bereich verstellen lässt, hat die Low-Speed-Druckstufe (LSC) und die Zugstufe (Rebound) einen deutlich breiteren Einstellbereich. Damit ist die Gabel insgesamt ziemlich einfach einzustellen und man kann den Charakter zwischen komfortbetont oder feedbackstark/direkt variieren. Der enge HSC-Einstellbereich verhindert aber auch, dass die Fahrer grobe Fehler bei der Dämpfungseinstellung machen, die ihnen gerade im härteren Einsatz zum Nachteil werden könnten. Selbst mit komplett offener Druckstufe und bei einer hohen Sensibilität hat die Gabel nur eine mäßige Wipptendenz, wobei eine solche Aussage bei 180 Federweg im Wiegetritt natürlich schnell ad absurdum geführt werden kann. Mit meiner Vorliebe für eher aktive Gabeln bin ich die High-Speed Druckstufe mit nur einem Klick von offen und die Low-Speed Druckstufe ganz offen gefahren. Das heißt man kann den Charakter der Gabel damit zwar, läuft aber nie Gefahr sich die Performance damit massiv zu beeinträchtigen. Die Zugstufe habe ich, wie immer so eingestellt, dass sie gerade nicht zum Springen neigt, was hier etwa 1/3 geschlossen bedeutete. Also auch in der Dämpfung keine echten Auffälligkeiten.

 

Mit der passenden Einstellung, bin ich die ZEB nun gut 3 Wochen gefahren und kann einfach nichts negatives mehr daran finden. Sie funktioniert richtig gut, spricht extrem sensibel an und hat gegen Ende des Federwegs auch ganz ohne Token ausreichend Progression um je durchzuschlagen. Wer mag, kann der Gabel aber durch bis zu 4 Tokens noch ordentlich mehr Progressivität verliehen. Wie auch schon bei der Lyrik gibt die ZEB ihren Federweg sehr bereitwillig frei, taucht für meinen Geschmack aber trotzdem nie zu weit ab. Selbst in langsam gefahrenen Steilpassagen bleibt sie angenehm hoch im Federweg. In der Praxis bedeutet dies, dass ich stets mit Vollgas über Wurzelteppiche ziehen und dabei immer eine maximale Kontrolle erlebe (selbst über mäßig schwere Wurzeltrails nutze ich zwischen 60 und 70% des Federwegs), dabei aber weder bei Sprüngen ans Ende des Federweges komme oder in Steilpassagen zu weit abtauche. Für mich ideal und eine wahre Freude zu fahren.

Wie gesagt, hatte die ZEB außerdem noch einen kürzeren Offsetgegenüber der vorher gefahrenen Lyrik (42 mm bei der ZEB gegenüber 51 mm bei der Lyrik). Während ich vor allem bei sehr langsamer Fahrt und engsten Spitzkehren eine leichte Tendenz zum Lenk-Flop mit 51 festgestellt habe, wirkt die Gabel mit kürzerem Offset tatsächlich einen Tick homogener. Allerdings sind die Unterschiede nicht wirklich signifikant. Die allermeisten Fahrer – und dazu würde ich mich an der Stelle auch selbst zählen – würden den unterschied wirklich nur im direkten Vergleich spüren. So gerne der Offset gerade als trendiges Verkaufsargument genutzt wird, würde ich sagen, dass man sich innerhalb kürzester Zeit zwischen beiden problemlos umgewöhnen kann. Sobald der Speed über das Schritttempo hinausgeht, also in 95% der Fälle, treten die Unterschiede ohnehin so sehr in den Hintergrund, dass sie für mich nicht mehr wahrnehmbar waren. Selbstverständlich ist der Vergleich hier nicht 100% korrekt, das es sich doch um zwei unterschiedliche Gabeln handelt, für mich zeigt er aber, dass eine Gabel mit 51 mm Offset noch keineswegs als überholt angesehen werden muss.

Was den Vergleich zwischen Lyrik und ZEB angeht, bleibe ich dabei, dass die ZEB eine spürbar höhere Lenkpräzision besitzt. Ich tue mir aber ganz ehrlich schwer dieser Qualität eine Wertung anzuheften. In manchen Situationen,  z.B. wenn der Vorderreifen zwischen rutschigen Wurzeln seinen Weg sucht, bevorzuge ich den höheren Flex der Lyrik … in manchen Situationen, wo ich trotzt grobem Geläuf eine Kurve maximale präzise fahren muss, ist mir die Steifigkeit der ZEB lieber. In der jeweiligen Situation kann ich sehr wohl der einen oder anderen Gabel den Vorzug geben, aber nachdem jeder Ride aus unzähligen, verschiedenen Fahrsituationen besteht, kann ich wirklich keine generelle Bewertung geben oder gar eine Empfehlung aussprechen.

Eventuell würde eine Woche in alpinen Bikeparks meine Meinung in die eine oder andere Richtung schwenken lassen, aber selbst da wage ich zu behaupten, dass es auf den Charakter der Strecken und die Bedingungen ankäme, wie welche der Gabeln sich als mein Favorit herauskristallisieren würde. Am Ende ist es wohl auch weniger eine Frage der objektiven Funktion – die ist bei beiden Gabeln auf höchstem Niveau – sondern vor allem eine Frage der persönlichen Prioritäten. Auch mit meinen 90 kg (zzgl. Ausrüstung) habe jedenfalls weder eine Lyrik mit 180 mm als zu weich, noch eine ZEB als zu steif empfunden.

Was ich im Vergleich aber sagen kann, ist dass beide Gabeln erstklassig funktionieren und das Gros der Fahrer wohl mit beiden Gabeln glücklich werden können. Trotz des funktionalen Unentschieden, würde ich mich persönlich aber wohl für die ZEB entscheiden, weil sie mir mit ihrer kantigen Optik einfach deutlich besser auf dem G1 gefällt. Aber die Optik ist ja bekanntlich komplett subjektiv …..

RIDE ON,
c_g