SHIMANO XTR M9100 – Vorstellung und erste Fahreindrücke: von MiMü

Seit mittlerweile über zwei Jahren hat SRAM seine 12-fach Schaltung EAGLE nun schon auf dem Markt, und nahezu jeder Mountainbiker hat sich in der Zwischenzeit gefragt, wann SHIMANO denn wohl nachziehen wird. Vor einigen Wochen war es dann endlich so weit, SHIMANO präsentierte die komplett neue XTR M9100 Schaltgruppe mit jetzt 12 Gängen. Die Japaner haben damit mit der direkten Konkurrenz gleichgezogen, und im Detail sogar noch eins draufgelegt.

Beim kürzlich im Rahmen der Eurobike Mediadays getesteten KTM Prowler Sonic 12hatten wir nun eine erste gute Gelegenheit, uns die Topgruppe genauer anzusehen und erste Fahreindrücke zu sammeln. Anders als SRAM bietet SHIMANO seine erste 12-fach Schaltung nicht nur in der 1×12 Konfiguration an, sondern hält weiterhin an 2-fach Kurbeln und damit 2×12 Gängen fest. Zusätzlich wird die XTR M9100 auch mit einer 11-fach Kassette erhältlich sein. So will man XC-Fahrer, Marathonisti und Enduro-Piloten gleichermaßen ansprechen.

 

Optisch auffälligstes Bauteil der XTR M9100 ist zweifellos die aus drei unterschiedlichen Materialien hergestellte 12-fach Kassette, die mit ihrer 10-51 Abstufung sogar noch einen Zahn mehr zu bieten hat als SRAMs EAGLE Kassetten. Besonderes Augenmerk legte SHIMANO dabei auf gleichmäßige Gangsprünge, was sich in der Abstufung 10-12-14-16-18-21-24-28-33-39-45-51 widerspiegelt. Mit einer Übersetzungsbreite von 511% setzt man sich so sogar noch vor die US-Amerikaner und gleich auf mit erst vor kurzem vorgestellten E*THIRTEENs 12-fach System.


Die drei größten Ritzel bestehen aus Aluminium, die fünf mittleren aus edlem Titan und die restlichen vier aus Stahl. Das offizielle Gewicht der Kassette liegt bei 359 g. Die Aluminium- und Titanritzel verbindet SHIMANO dabei mit Hilfe eines Alu-Spiders zu einem Block, der als Ganzes auf den Freilaufkörper aufgeschoben wird. Die kleineren Stahlritzel werden dann einzeln aufgesetzt, wobei das kleinste 10er Ritzel nur auf dem vorletzten Ritzel aufliegt und keinen direkten Kontakt zum Freilaufkörper aufweist. Mit einer Abstufung von 10-45 spricht die „kleinere“ XTR-Kassette (in 11-fach mit 299 g angegeben, in 12-fach mit 349 g) mehr den XC-Piloten an, der eine feinere Abstufung sucht oder ohnehin mit einer 2-fach Kurbel unterwegs ist.

Den mit der Micro-Spline-Technologie arbeitenden Freilaufkörper musste man ebenfalls neu konstruieren, um Platz für das kleine 10er Ritzel der 12-fach Kassette zu schaffen. Zusätzlich wandte sich SHIMANO vom bisher verwendeten Sperrklinkenmechanismus ab und vertraut nun auf einen „Scylence“ genannten Zahnscheibenfreilauf, der mit einem minimalen Einrastwinkel von 7,6° aufwartet. Federn im Inneren drücken die Zahnscheiben dabei auseinander, wodurch eine vollkommen lautlose Nabe das Ergebnis sein soll. Die neuen XTR HR-Naben werden je nach Typ (Stricht Pull oder J-Bend Flansche) mit 231 bzw. 277 g angegeben, die VR-Naben mit 138 bzw. 155 g. Anders als SRAM mit seinem XD-Freilauf wird es SHIMANOs neuen Standard nur bei den hauseigenen Naben und unter Linden fürs Erste auch exklusiv bei DT SWISS geben. Als kleines Trostpflaster können ältere DT-Naben zumindest mit dem neuen Freilaufkörper aufgerüstet werden.

Nach wie vor aus Aluminium wird die XTR-Kurbel hergestellt. Allerdings werden die Kurbelarme jetzt nicht mehr hohlgeschmiedet, sondern bestehen aus zwei kaltgeschmiedeten Teilen, die miteinander verklebt werden. Neben einer Boost-Variante mit 168 mm Q-Faktor wird es auch eine Non-Boost-Version mit 162mm Q-Faktor geben. Die Montage des linken Kurbelarms auf der Kurbelwelle erfolgt bei der XTR mit einem banalen 8mm Inbus, das Tretlagerspiel kann über einen außen liegenden Ring feinjustiert werden – Bilder unten.


Bei der Kettenblattmontage greift SHIMANO auf ein Direct Mount System zurück, wodurch auch ein schneller Wechsel von 1-fach Kettenblatt auf 2-fach Spider möglich sein soll.

Die 2-fach Kurbelgarnitur kommt dabei wahlweise mit einer 24-34, 26-36 oder 28-38 Abstufung in den Handel, die 1-fach Kettenblätter sind mit 30, 32, 34, 36 und 38 Zähnen erhältlich. Durch die verschiedenen Varianten (1-/2-fach, Kurblarmnlänge, usw.) rangiert das Gewicht von knapp über 500 g (Bsp. 170 mm, 1-fach, 30 Zähne) bis etwa 650 g (175 mm, 2-fach, 28-38 Z.) . Ebenfalls neu ist eine eigene minimalistischeund auf die verschiedenen Kettenblattgrößen anpassbare Kettenführung für den 1-fach-Betrieb, die es für die unterschiedlichen Montagestandards gibt, wie oben abgebildet.

Die Trigger-Shifter hat SHIMANO ebenfalls überarbeitet, bekannte Features wie Rapidfire-Plus, 2-Way-Release und Multi-Release hat man vom Vorgänger übernommen. Beide Schalthebel verfügen nun über geriffelte Gummipads, wodurch die Haltik auch unter widrigen Bedingungen wie Nässe noch besser werden soll. Über die neue I-Spec-EV Direktmontageoption können die Shifter direkt an die XTR-Bremsen geschraubt werden, jetzt sollen 14mm Einstellbereich im Längsbereich und 60° in Rotationsrichtung möglich sein. Damit möchte man unterschiedlich große Hände und individuelle Präferenzen noch besser abdecken. Mittels Mode-Converter kann man zudem recht simpel zwischen 11- und 12-fach Konfiguration wechseln, der Kauf eines neuen Triggers bei Umbau bzw. Upgrade entfällt.
Auf der linken Lenkerseite kommt bei der 2×12 Konfiguration nun ein Rapidfire-Plus-Mono-Schalthebel zu Einsatz. Hier genügt ein einzelner Hebel, um zwischen großem und kleinem Kettenblatt hin- und herzuschalten. Beim Hochschalten bleibt der Trigger in seiner Position arretiert und muss zum Runterschalten nur mehr – durch Drücken oder Ziehen – gelöst werden. Das Gewicht des einzelnen Shifters rechts liegt bei 121 g, das des linken Shifters bei 79 g.

Ebenfalls gänzlich neu ist ein trigger-artiger Remotehebel für mechanische Dropper Posts, der sich ebenfalls per I-Spec-EV an den Bremshebel schrauben lässt und in Funktion und Bedienkomfort dem eigentlichen Schalthebel um nichts nachstehen soll.

Um die verschiedenen Aufbauvarianten 1×12, 2×12 oder 1×11 abdecken zu können, war es notwendig, verschiedene Schaltwerke zu entwickeln. Sie unterscheiden sich lediglich in Details und sollen auch in nicht angestammter Konfiguration einwandfrei funktionieren. Ihr Gewicht rangiert von 221 bis 245 g.

Für den 1-fach Betrieb etwa stehen eine Version mit mittellangem und eine mit langem Käfig zur Verfügung. Allen gemein sind die größeren Leit- und Spannrollen, die jetzt 13 Zähne (bisher 11) besitzen, wodurch man sich unter anderem eine bessere Schaltperformance erhofft. Weiterhin mit an Bord ist der Shadow RD+ Reibungsdämpfer, der lästiges Kettenschlagen effektiv verhindern soll. Sollte die Vorspannung doch einmal zu gering sein, dann kann diese einfach per Inbus nachgezogen werden. Komplettiert wird das 2-fach Setup durch einen neuen Side-Swing-Umwerfer, der als E-Type, Direct-Mount-Variante und mit Klemmschelle erhältlich sein wird.
Bei der Kette setzt nun auch SHIMANO erstmals auf ein Quick-Link genanntes Kettenschloß. Das Verbinden der Kettenendglieder mittels Nietstift entfällt.

Bei der XTR-Bremsanlage wird es neben der Zweikolben-Version (ca. 315 g) auch eine auf Enduro ausgerichtete Vierkolben-Anlage (ca. 380 g) geben.

Erstere kommt dabei mit dem einfacheren XC-Bremshebel, bei der Vierkolben-Bremse vertraut man auf einen Servo-Wave-Hebel, der über werkzeuglose Griffweitenverstellung sowie einen einstellbaren Leerweg verfügt. Beiden gemein sind Details wie etwa eine geänderte Klemmschellenposition oder hochfeste Bremsleitungen, sodass die neuen XTR-Bremsen durch deutlich schnelleres Ansprechverhalten und härteren Druckpunkt punkten sollen.

Passend zu den neuen Bremsen entwickelte man auch überarbeitete Bremsbeläge, wobei lediglich bei der 4-Kolben-Anlage Beläge mit Kühlrippen zum Einsatz kommen. Die Bremsscheiben stellen eine Weiterentwicklung der bereits bekannten Ice-Technologies-Freeza-Discs dar. Für die 180mm und 203mm-Versionen etwa gibt SHIMANO hier eine um 20° bessere Wärmeableitung im Vergleich zum Vorgänger an.

Wer noch mehr Details über SHIMANOs neue XTR-Schalt-/Bremsgruppe erfahren möchte, dem empfehle ich die offizielle Homepage.

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Fahreindrücke zur neuen SHIMANO XTR Gruppe
(auf dem KTM Prowler Sonic 12)

Unser EMD-Testbike KTM Prowler Sonic 12 kam dabei in der 1×12 Konfiguration und – entgegen der Serienspezifikation – mit den leichten XC-Bremsen. Dem Einsatzbereich angemessen erschien uns die Kombination aus 32 Zähne messendem Kettenblatt und großer 10-51 Kassette.

Die auffälligste Neuerung an den Shiftern stellten definitiv die griffigen Gummipads der beiden Triggerhebel dar. Unter den nassen Bedingungen der Mediadays war ein Abrutschen damit beinahe unmöglich. Beide Hebel konnten durch geringen Leerweg und ein sehr direktes, homogenes Schaltgefühl überzeugen, insbesondere die geringen Bedienkräfte blieben mir positiv in Erinnerung. Wobei SRAMs Eagle Shifter im direkten Vergleich immer noch eine Spur knackiger, definierter funktioniert. Dafür konnten die XTR-Shifter auf der Anfangs welligen XC-Runde durch ihre Mulit-Release-Funktion voll punkten, häufiges Hin- und Herschalten machte dabei richtig Spass. Dank neuer I-Spec EV waren die Trigger zudem simpel und schnell an meine persönlichen Ergonomie-Vorlieben angepasst.

 

Die einzelnen Gänge rasteten auf der breit gefächerten 12-fach Kassette auch unter Last präzise und zielgenau ein. Der eigentliche Schaltvorgang lief dabei SHIMANO-typisch weich und im wahrsten Sinne des Wortes unspektakulär selbstverständlich ab. Wer das metallene, fast schon digitale Schaltverhalten einer EAGLE-Schaltgruppe gewohnt ist, wird die nahezu geräuschlosen, harmonischen Schaltvorgänge der neuen XTR anfangs vielleicht sogar als nicht erfolgten Schaltschritt fehlinterpretieren und gelegentlich nach hinten schauen, um den Gangwechsel auch optisch zu kontrollieren. Die Spreizung der Kassette empfand ich zudem als sehr sinnvoll und dem Einsatzbereich Marathon/Enduro angepasst: lediglich zwei Zähne Unterschied in den schnellen, harten Gängen, dann drei Zähne Differenz in den mittleren Gängen und zuletzt Sprünge von satten sechs Zähnen in den Berggängen.

Im etwas ruppigeren Terrain des Murmeltiertrails überraschte der XTR-Antriebsstrang dann durch absolute Ruhe. Das Shadow RD+ Schaltwerk spannte die Kette in allen Gängen derart zuverlässig vor, dass ein Kettenstrebenschlagen nicht einmal ansatzweise zu vernehmen war – und das bei fehlendem Kettenstrebenschutz. Auch der Freilauf gefiel durch seine nahezu geräuschlose Funktionsweise, nur ein kaum vernehmbares Surren war zu hören. An der Front sorgte die Kombination aus auffällig geformtem Kettenblatt und minimalistischer Kettenführung für einen sicheren Lauf der Kette.

  

Die beiden XTR 2-Kolben-Stopper hatten zu Beginn unserer Testrunde noch wenig Biss und mussten erst eingebremst werden. Mit zunehmenden Tiefenmetern stieg ihre Bremskraft stetig an, das anfängliche Ausgasen der Beläge war schnell vorbei. Positiv in Erinnerung blieb die angenehme Modulation der Bremse, der geringe Leerweg des Hebels sowie ihre Standfestigkeit auch bei provozierten Dauerbremsungen. Während unserer Testrunde mit Abschluss im Bikepark konnte ich die XTR-Bremse nicht aus der Reserve locken.

Zusammenfassung: Auch wenn unsere Testfahrt zu kurz war um eine präzisere Aussage über SHIMANOs neue XTR M9100 zu treffen, so lässt sich eines mit Sicherheit sagen: Die zwei Jahre warten auf die erste 12-fach Gruppe des japanischen Komponentengiganten hat sich gelohnt. Die sehr präzises, direkte und vor allem seidenweichen Schaltvorgänge, eine durchdacht gestufte Kassette und die kräftigen, standfesten Bremsen machten mein erstes Kennenlernen der 9020 XTR besonders angenehm.

MiMü