TANTRUM Shinning 2.0 – Testfazit: von c_g
(bisher hierzu erschienene Artikel: EB’16 – Erstkontakt mit TANTRUM CYCLES, Testintro des TANTRUM Shinning Rahmens, Vorstellung des TANTRUM Shinning Komplettbikes, Erste Eindrücke zum TANTRUM Shinning, Update mit TANTRUM SHINNING 2.0)

Ein Erfinder und Fahrwerksexperte aus dem mittleren Westen der USA, namens Brian Berthold, hat eine findige Idee und glaubt fest daran, dass seine Kinematik, die er Missing Link nennt, in allen Bereichen besser ist, als es die Systeme der großen Hersteller und Marken mit ihren R&D Abteilungen. Sein Konzept soll ganz ohne Elektronik oder erforderliche Plattformdämpfung ein Fahrwerk ergeben, das nicht nur eine optimale Federungsperformance in allen Lagen bietet sondern zugleich sehr effizient klettert … und das unabhängig vom Federweg.

Das TANTRUM Shinning 2.o war mit mir neben vielen anderen alpinen Abenteuern auch auf felsigen Gardasee-Trails unterwegs.

Brian Berthold mag ein wenig wie ein „verrückter Wissenschaftler“ wirken, aber er weiß was er macht, wenn es um Fahrwerke geht.

 Als er keinen Hersteller findet, der ihm seine Idee unter Lizenz verbaut, beschließt er die Sache selber in die Hand zu nehmen und gründet die Bikemarke TANTRUM CYCLES. Mit Hilfe einer KIickstarter Kampagne baut er eine erste Kleinserie von 50 Stück der Rahmen um zu zeigen wie gut das System wirklich funktioniert. Weil wir schon seit 2016, dem Gründungsjahr von TANTRUM mit Brian in Kontakt stehen und ich immer das Gefühl hatte, dass er mehr als nur ein „Mad Scientist“ ist, lassen wir uns auf einen ausführlichen Test mit einem der letzten noch verfügbaren Rahmen ein … und zwar in der extra für uns ins Leben gerufenen 29er Long-Travel-Variante„Shinning“ – mit satten 165 mm Federweg am Heck. „Wenn die Kinemtik schon besser sein soll als ihre Konkurrenz, dann muss sie es auch unter den erschwerten Umständen eines ordentlich langen Federwegs beweisen.“ dachten ich mir.

  

Der erste Anlauf (hier) ergab, dass der Rahmen satte 3 cm zu kurz gefertigt war. Aufgrund der eingeengten Sitzposition und damit falschen Gewichtsverteilung fiel mein erster Eindruck des Bikes noch wenig begeistert aus. Also wurde der Hauptrahmen gegen einen längeren getauscht, mit dem ich nun seit Anfang Mai unterwegs bin Erst jetzt, mit der korrekten Rahmengröße und für mich passenden Sitzposition konnte das TANTRUM seine Qualitäten wirklich unter Beweis stellen. Aber auch im zweiten Teil des Tests gab es ein paar Dinige, die mir als Kritikpunkte aufgefallen sind. Allerdings betreffen diese Schwachstelle, wie die ausladenden Kettenstreben, die geringe  Einstecktiefe der Sattelstütze und die nicht ganz optimale Leitungsführung um die Dämpferaufnahme im Unterrohr  ohnehin nur die erste, bereits ausverkaufte Produktionsreihe – in der kommenden zweiten Produktion (geplanter Auslieferungstermin dafür ist Ende 2018) werden sie allesamt behoben sein, so hat uns Brian Berhold zugesichert.

das TANTRUM Shinning ist bei weiten kein perfektes Bike (zumindest in seiner ersten generation), aber mit dem passenden Rahmen hat es mir mit jeder Ausfahrt mehr Spaß gemacht – hier auf dem 3-Länder-Enduro am Reschenpaß.

Doch auch mit diesen Kritikpunkten, die man durch etwas Sorgfalt bei der Komponentenwahl und bei der Montage gut umgehen kann, hat mich das Shinning von Tag zu Tag immer mehr begeistert: Seine Performance im Downhill hatte ich ja schon vorher gelobt, aber je länger ich das Bike fahre, desto deutlicher wird für mich, dass es auch im Uphill eine überlegene Effizienz an den Tag legt, wie ich sie bei Bikes dieser Federwegsklasse bisher nur durch traktions-mindernde Plattformdämpfungen habe erzeugen können. Das TANTRUM macht das allein durch seine spezielle Kinematik. Für schwere und aggressive Fahrer ist es nicht ganz optimal, dass der serienmäßig verbaute DVO Topaz Dämpfer bereits ab Werk mit der Maximalzahl an Volumenspacern kommt, wodurch man keine Möglichkeit mehr hat die Kennlinie noch progressiver zu bekommen. Ich habe mich dazu entschieden mir einfach mit etwas mehr Druck behelfen und fahre den Dämpfer seit dem Update einfach mit 10-15 psi mehr Druck. Seither erlebe ich kaum  mehr Durchschläge, während ich mich an die leichten Einbußen in Sensibilität des Hinterbaus schnell gewöhnt hatte. Dieses etwas straffere Setup hat außerdem dafür gesorgt, dass dadurch das Heck auch in den steilsten Anstiegen so ruhig geblieben ist, dass ich seither kein einziges Mal mehr dem Plattform-Hebel am Dämpfer angerührt habe. So eingestellt ist das TANTRUM Shinning bergab als gleichwertig mit den besten All-Mountain-7Enduro-Bikes herausgestellt  aber eben auch bergauf eines mit dem ich überall gelassen hoch gekommen. Sicher wäre es noch optimaler hier bie den Setup-Optionen noch Reserven zu haben, und die maximale Sensibilität des Dämpfers voll auszukosten womit das Bike auch bergab der Konkurrenz ablaufen würde, aber selbst so gehört es zu den besseren Performern seiner Klasse. Außerdem muss man das Shinning schon sehr hart fahren um überhaupt die originale Progression zu überfordern …

Die berühmten Panzersperren kurz vor dem Bunkertrail sind eine passende Kulisse für diesen supersteifen, aber auch nicht allzu leichtgewichtigen Rahmen.

Während der Testphase von fast 2 Monaten (die Zeit mit dem ersten, zu kurzen Rahmen zähle ich nicht einmal dazu) hat das TANTRUM Shinning so richtig viel durchgemacht. Neben ungezählten Ausfahrten hier bei mir auf meinen zum Teil auch sehr fordernden Hometrails, war das Bike mit mir für ein paar Tage am Gardasee, auf einem Wochendtrip mit zur Schnitzeljagd in Sölden, im Bikepark Oberammergau und auf einem Mehrtagestrip zwischen Reschen und dem Vinschgau – insgesamt locker 35.000 Tiefenmeter und auch sehr viele aus eigener Kraft erklommene Höhenmeter.

Trotz der vielen Drehpunkte, gab es bis auf ein Mal – und das war wohl selbstverschuldet – keine Situation in der ich mir statt des Missing Links eine einfachere Kinematik am Shinning 2.0 gewünscht hätte. Das Teil funktioniert wirklich!

Bezüglich der vielen Lager und Drehpunkte, die durch das Missing Link am Hinterbau erforderlich sind, kann ich schon mal Entwarnung geben. Sie haben mir während der gesamten Testphase keine echten Probleme gemacht. Nur einmal hat sich nach einem harten Tag mit ca. 5.000 Tiefmetern die Schraubverbindung an der oberen Dämpferaufnahme leicht gelockert, was ich aber eher darauf zurückführe, dass ich nach dem Umbau vergessen hatte hier ein paar Tropfen Schraubensicherung aufzutragen. Seither hat sich dort nichts mehr gelockert. Was die Steifigkeit angeht, hat es ja von vornherein keinerlei Auffälligkeiten oder Beanstandungen gegeben – der gesamte Rahmen, samt Hinterbau zählt für mich zu den steiferen und damit präziseren Vertretern seiner Art.

In seiner Trailperformance kann es das TANTRUM Shinning mit den besten Bikes der großen Hersteller aufnehmen. Ein klasse Bike!

Was mich auch schon zu einem der unbestrittenen Kritikpunkte des Rahmens bringt – sein mit 3,8 kg doch recht hohes Rahmengewicht (mit aller Hardware, aber ohne Dämpfer). Wie mir von Brian Berthold versichert wurde, ist der Rahmen so ausgelegt, dass er wirklich viel aushält und mit einem Unterrohr versehen, wie es sonst nur an DH-BIke verbaut wird. Außerdem sei der Rahmen fälschlich mit Edelstahl-Hardware ausgeliefert worden, statt, wie geordert mit Alu-Hardware. Mit allen zukünftigen Optimierungen möchte Brian den TANTRUM Rahmen der nächsten Serie zwischen 250 und 400 g leichter bekommen, was wiederum ein mehr als ordentliches Gewicht für ein Bike mit wahlweise 140 oder 165 mm Federweg am Heck und der Freigabe für Gabeln bis 180 mm wäre.

Ein für mich weiterhin spannender Aspekt an dem TANTRUM Shinning 2.0 Testbike ist, dass es obwohl es in seiner aktuellen Konfiguration 14,55 kg auf die Waage bringt, mir dennoch auch auf langen und steilen Uphills sehr viel Spaß macht. (Anmerkung: Die Differenz gegenüber dem im Update genannten Gewicht von 14,05 kg liegt an der 250 g schwereren MARZOCCHI Z1 Federgabel und den ebenfalls schwereren VITTORIA TNT Reifen. Mit den beiden VITTORIA AirLinern, zu je 180 g, kommt das Shinning 2.0 sogar auf fast 15,00 kg.) Als ein Fahrer, der sehr wohl erlebt hat wie schön es ist mit einem leichten Bike bergauf zu fahren, bin ich immer wieder verblüfft wie viel Spaß es mir macht auch mit dem Tantrum meine Bikerfreunde im Uphill herauszufordern. Normalerweise verbringe ich mit langhubigen Fullies die allermeiste Zeit im Uphill sitzend, mit einem  möglichst runden Tritt – was da Shinning 2.0 übrigens mit einem absolut stoischen Hinterbau und ganz ohne jedes Wippen bravurös absolviert – aber mit dem Shinning finde ich mich auch immer wieder im Wiegetritt die Berge hinaufstürmen … ohne, das ich auch nur einen Gedanken an das hohe Gewicht verschwende.

Ein der Besonderheiten des TANTRUM ist, dass der Hinterbau unter Kettenzug das Fahrwerk aktiv beruhigt und bei hohem Kraft-Output sogar aufrichtet . Das macht das TANTNTRUM zu einem extrem effizienten und kletterfreudigen Bike.

Nüchtern betrachtete ist es natürlich Unfug – ein leichteres Bike ist nun mal zweifellos bergauf leichter zu bewegen – aber die Fahrpraxis mit dem Shinning 2.0 mich mit der Zeit davon überzeugt, dass das TANTRUM Shinning trotz seines Gewichts eines der am effizientesten kletternden Bikes ist, das sich kenne. Neben der Kinematik trägt natürlich auch die für mich optimal passende und moderne Geometrie mit einem steilen Sitzwinkel und  großzügigem Reach maßgeblich dazu bei, dass ich mit dem Shinning oft entspannter oben angekommen bin, wie mit manch anderen, leichteren Bikes. So habe ich es nie als Kompromiss empfunden damit 700 Höhenmeter und mehr am Stück  hoch zu treten oder zum Training mehrere Stunden damit über Forststrassen zu jagen. Auch wenn Federweg und Gewicht etwas anderes suggerieren, ist das TANTRUM Shinning ein sehr vielseitiges und für meinen Geschmack voll tourentaugliches Bike.

Mit dem TANTRUM Shinning werden Hangneigungen relativ – die laufruhig sichere Geo sorgt bergab für hohe Reserven und bringt in Kombi mit dem Missing Link auch im Uphill eine tolle Effizienz.

Wie ihr ja wisst bin ich bis gegen Ende des Tests Test das TANTRUM mit dem CANE CREEK AngleSet gefahren. Das erlaubt eine Lenkwinkelverstellung, die ich sehr intensiv genutzt habe, hebt aber zusätzlich durch die externe untere Lagerschale (EC) die Front und das Tretlager an. Gerade durch die Versuche mit unterschiedlichen Lenkwinkeln habe ich sehr viel gelernt. Eine  wichtige Erkenntnisse daraus ist, dass das TANTRUM Shinning mit dem gesamten Verstellspektrum des AngleSet bestens zurechtkommt. Währen es bereits ab Werk mit ca. 65° einen zeitgemäß flachen Lenkwinkel besitzt, wurde es durch die optionalen Lenkwinkel (von nominal +1,0° bis -1,5°, real zwischen 63,5° und 65,3°) keineswegs überfordert und hat in allen Einstellungen sehr gut funktioniert. Mal etwas agiler und verspielter, und mal etwas gravity-orientierter, aber ich hatte nie echte Defizite zu bemängeln was die Allroundeigenschaften angeht.
Für mein bevorzugtes Gelände und meine Fahrweise hat sich das Bike am besten mit dem originalen Lenkwinkel bis ca. -1,0° gefahren. Mit der höher bauenden EC-Lagerschale fand ich die Geometrie mit einer 160 mm Federgabel am stimmigsten, was bedeutet, dass man man den Rahmen mit einem ZS-Lager unten idealerweise eine 170 mm Federgabel fährt. Wer mit dem etwas höheren Tretlager zurecht kommt, könnte auf dem Shinning bestimmt sogar eine 180 mm Federgabel fahren. Die Performance des Hinterbaus kann meiner Meinung nach mit jedem dieser Federwege gut mithalten.

Auch größere Hüpfer gehörten zum Repertoire des Tantrums während des Tests.

Das Bedürfnis das TANTRUM in einer anderen als der 29er Konfiguration zu fahren, hatte ich während des Tests nie, aber es sei dennoch hier erwähnt, dass man das Bike mit anderen Ausfallenden auch als 27,5er oder in einer Mixed Variante (vorne 29er und hinten 27,5″ Laufräder) fahren kann. Außerdem kann man den Rahmen ja durch einen Dämpfer mit verringertem Hub auch mit 140 mm Hub fahren, aber dazu hat mir der passende Dämpfer gefehlt.

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Testfazit:

Das war kein einfacher Test, aber das TANTRUM Shining hat alle Herausforderungen mit Bravour gemeistert.

Auch wenn das TANTRUM Shinning im Test bei mir einen holprigen Start hingelegt hat, ist es mir im Laufe des Tests nicht nur sehr ans Herz gewachsen, sondern hat sich als ein extrem vielseitiges und fähiges All-Mountain bis Enduro 29er herausgestellt. Mit seiner modernen Geometrie und der exzellenten Federungsperformance der Missing Link Kinematik kann es sich durchaus mit den besten seiner Federwegsklasse messen, hat aber zugleich im Uphill eine derart hohe Effizienz und Kletterfreudigkeit wie sie es bei anderen langhubigen 29ern nur durch das Umlegen von Hebeln zu erzielen ist.  Letztlich hat Brian mit der ersten Generation TANTRUM CYCLES eines aber zweifelsfrei bewiesen – die Missing Link Kinematik ist ein wirklich spannendes und ausgezeichnet funktionierendes System, das es verdient in einem Atemzug mit anderen Systemen wie VPP, Horst Link oder Infinity Link genannt zu werden. Great job, Brian!

RIDE ON,
c_g