CANE CREEK AngleSet – Praxiserfahrungen: von c_g

Vielleicht erinnert ihr euch ja noch, denn mittlerweile ist es ja schon fast 3 Monate her, dass ich euch das CANE CREEK AngleSets zum Test vorgestellt habe.

Ein Steuersatz mit dem man den Lenkwinkel eines Bikes von 0 bis 1,5° anpassen kann? Wer sich nicht sonderlich für die Feinheiten von Bikegeometrien interessiert, wer glaubt, dass ein halbes Grad hin oder her ohnehin keinen Unterschied machen, kann diesen Post getrost wegklicken, denn hier geht es um echte Nuancen. Für alle, die sich aber dafür interessieren, ihrem Bike auch das letzte bisschen Feintuning angedeihen zu lassen, und sich nicht scheuen es vielleicht sogar von Strecke zu Strecke zu optimieren, die sind mit dem AngleSet genau richtig. Ich selber habe das CANE CREEK AngleSet für diesen Test ausschließlich am TANTRUM Shinning gefahren– und zwar sowohl am ersten, wie auch am zweiten Rahmen. Der Auslöser für den AngleSet-Test war, dass der Entwickler und Gründer von TANTRUM Brian Berthold selber ein AngleSet an seinem Bike fährt mir auf Nachfrage dazu erklärt hat, wie sich sein Rahmen durch unterschiedliche Lenkwinkel noch mal optimieren ließe. Gesagt, getan … und so habe ich mir das passende Set ausgesucht und es an dem Rahmen montiert.

Mit den drei unterschiedlich exzentrischen unteren Lagerschalen lassen sich 6 verschiedene Winkelverstellungen realisieren.

Wie im Testintro bereits erklärt, bewirkt das AngleSet seine Lenkwinkelverstellung ja durch eine präzise berechnete und gefertigte Exzentrizität seiner Steuersatzschalen (in meinem Fall die unterer – im Bild oben die drei im Kit mitgelieferten unteren Lagerschalen ). Indem man die Schalen präzise in der Längsachse wirkt ich die Exzentrizität nur auf den Lenkwinkel aus und indem man die Schalen jeweils um 180° dreht, kann man sie nutzen um den Lenkwinkel entweder steiler oder flacher zu machen. Um die Lager auch bei den unterschiedlichen Winkeln und Steuerrohrlängen präzise parallel zueinander  und damit spannungsfrei zu halten, verfügen die obere und untere Schale jeweils über eine Art Kugelgelenk-Schale, das sich im losen Zustand frei bewegen lässt, unter Spannung aber aufgrund der angerauten Oberfläche bombensicher sitzen soll.

Für exakt parallele und spannungsfreie Lager sorgen die hochpräzisen Kugelkopf-Gelenke im Ober- und Unterteil.

Diese Kugelgelenkschalen sind die nächste Besonderheit die es neben der Lagerschalenausrichtung bei der Montage zu beachten gilt. Um ein Verkanten zu verhindern muss man nämlich alles zuerst unbelastet zusammenstecken ohne, dass sich die Kugelkopf-Schalen bereits berühren. Erst wenn alles über den Gabelschaft sauber ausgerichtet ist, darf man die beiden Lagereinheiten in die Kugelgelenkschalen drücken damit sie dort in genau dem korrekten Winkel fixiert werden.  Das ganze geht am einfachsten, wenn man noch einen zweiten Helfer zum halten hat, aber nachdem ich es im Laufe des Tests mindestens 10 mal gemacht habe, war es auch kein Problem mehr es alleine hinzubekommen. Sollte sich der Kugelkopf aus Unachtsamkeit bei der Montage doch mal falsch setzen, tut man gut daran den Prozess einfach noch mal zu wiederholen statt mit verspannten Lagern zu fahren, denn neben einem ungleichmäßigen Lenkwiderstand machen die Steuersatzlager so etwas nicht lange mit.

Geht man bei der Montage sorgfältig vor, hat sich das CANE CREEK AngleSet in meinem Test allerdings als absolut sorgenfrei und zuverlässig erwiesen. Sauber ausgerichtet, fährt sich das AngleSet genauso leise, leichtgängig und unauffällig wie jeder gute herkömmliche Steuersatz. Bei wirklich extrem harten, missglückten Landungen  auf der Front – solche, die einem kurz das Herz in die Hose rutschen lassen – hat es zwar hin und wieder ein lautes Knacken von der Front des Testbikes gegeben, das möglicherweise durch die Gabelschaft-Durchbiegung im Steuersatz erzeugt wurde, aber nachdem es ebenso die Gabelkrone gewesen sein könnte und dieses Knacken nie irgendwelche spürbaren Effekte hatte möchte ich es nicht unbedingt dem Steuersatz anhängen. Ansonsten lief das AngleSet in meinem Test ohne jegliche Auffälligkeiten.

Das CANE CREEK AngleSet hat bislang jede Herausforderung mit Bravour bestanden … egal ob lange, ruppige Abfahrten oder kleinere Sprungeinlagen wir hier.

Wie gesagt, muss man für jede Winkelverstellung die exzentrische Lagerschale jedes Mal aus dem Rahmen nehmen und die Schale mit dem gewünschten Winkel wieder sauber einpressen – ein Vorgang, der zwar außer einer Steuersatzpresse und einem Lagerschalenentfernen nebst Hammer nicht viel Werkzeug erfordert und mit ein wenig Schrauberkenntnissen recht problemlos geht, aber eben doch eine recht hohe Hemmschwelle für den Gelegenheits-Schrauber setzt. Ich selber habe das AngleSet für den Test in allen Variationen ausprobiert und den Vorgang daher sehr oft absolviert, gebe aber offen zu, dass ich das gleiche an meinem eigenen Bike wahrscheinlich nur solange machen würde, bis ich mein persönliches Optimum gefunden hätte und es danach wohl auch nicht mehr regelmäßig verändern würde.

   

Aber genau darin liegt ja auch der Charme des CANE CREEK AngleSets, das eben keine fixe Winkelverstellung vorgibt (es gibt diverse derartige Steuersätze mit fester Winkelverstellung), sondern einem die Möglichkeit gibt, von 0,0° bis ca. 1,5° in beide Richtungen alles frei auszuprobieren. Auch ist man mit anderen festen Steuersätzen auf eine Stuerrohrlänge fixiert, währen das AngleSet durch seine Kugelkos-Konstruktion hier keine Einschränkungen hat. Die auf die jeweiligen Schalen aufgelaserten Winkelangaben sind dabei aber nur als Richtwerte zu sehen, denn die effektive Lenkwinkelveränderung hängen noch dazu von der Steuerrohrlänge ab. Mit dem eher langen Steuerrohr des TANTRUM Shinning 2.0 von immerhin 130 mm ergaben sich deutlich geringere Veränderungen. So lagen in meinem Fall zwischen der +1° und der -1,5° Konfiguration als Exterme im Spektrum des AngleSets keine 2,5° sondern lediglich 1,7°. Was sich dementsprechend natürlich auch weniger deutlich aufs Handling auswirkt.

Während jedem vorrangig die Lenkwinkelverstellung am Herzen liegt, wirkt sich diese auch auf andere Bereiche der Bikegeometrie, wie die Tretlagerhöhe, den Radstand oder den effektiven Sitzwinkel aus.

Was man aber unbedingt noch bedenken sollte, ist der Effekt, den die Winkelverstellung nicht nur auf den Lenkwinkel, sondern auf die übrige Geometrie hat. Indem man den Winkel der Gabel gegenüber dem Rahmen abflacht oder aufstellt hebt oder senkt man nämlich gleichzeitig die Front der Gabel, was sich sowohl auf den Stack, wie auch den effektiven Sitzwinkel unddieTretlagerhöhe auswirkt. Um beim Beispiel der oben genannten Extreme zu bleiben, hebt man das Tretlager bei einem +1° flacheren Lenkwinkel um bis zu 8 mm gegenüber der flachsten -1,5° Position. Beim Stack ist der Effekt noch deutlicher und liegt bei immerhin 12 mm, wobei sich das bei einem ausreichend langen Gabelschaft über Spacer nicht unbedingt auf die effektive Cockpithöhe auswirken muss.  Der effektive Sitzwinkel verändert sich dadurch um bis zu 0,7° – alles keine dramatischen Werte, aber doch so, dass ein dafür sensibler Fahrer sie neben der veränderten Lenkung spüren kann. Während es beim TANTRUM mit dem ohnehin eher hohen Tretlager diesbezüglich keinerlei Probleme gab, kann es sich bei Bikes mit bereits sehr tiefem Tretlager bereits negativ auswirken. Sehr deutlich ist der Unterschied auch was den Radstand angeht. So macht das in meinem Fall mit der 160 mm Gabel immerhin 18 mm aus, die das Bike zwischen der +1.0° und der -1,5° Position hat.

Im Ötztal war ich mit der flachsten Einstellung unterwegs und fand sie zwar spürbar gravitylastig, aber in keiner Situation zu extrem.

Die große Frage wie deutlich sich diese Veränderungen wirklich auf das Handling eines Bikes auswirken, kann man nur im Zusammenhang mit dem Rahmen selber beantworten und hängt auch immer sehr davon ab wie sensibel man für spezifische Geometrieveränderungen ist. Zweifellos wird ein Bike mit einem flacheren Lenkwinkel noch laufruhiger bei High-Speed und fühlt sich in wirklich steilem Gelände sicherer, aber ab einem gewissen Punkt beginnt die Lenkung in technisch langsamem Gelände eben auch abzuknicken.

Je schneller und ruppiger der Trail wird, desto mehr profitiert man von einem flacheren Lenkwinke und dem damit verbundene tiefen Tretlager.

Ab wann man diesen Punkt überhaupt wahrnimmt oder als störend empfindet ist ganz individuell und hängt vom Terrain, der Fahrweise und vielen anderen Faktoren ab. In meinem Fall mit dem TANTRUM Shinning bin ich in 95% der Fälle nach einer kurzen Eingewöhnung mit jeder einzelnen Einstellung gut zurecht gekommen. Lediglich auf einem besonders langsamen und technischen Wurzeltrail habe ich die Konfiguration mit dem allerflachsten Lenkwinkel (in diesem Fall bei ca, 63,2°!) als leicht abkippend empfunden. Auf der Schnitzeljagd und die Gravity Trails in Sölden (Bild oben) gab es nicht einem Moment in dem ich die flachste Position als „zu viel“ empfunden hätte … noch nicht einmal in den zum Teil steilen Uphills dazwischen.

Im Vinschgau hab eich statt dessen die steilste Konfiguration (+1,0°) gewählt, wodurch das Handling zwar etwas agiler wurde, aber auch in schnellen oder technischen Downhills nie zu verspielt.

Andererseits war mir die steilste Position mit einem effektiven Lenkwinkel von 64,9° auch auf dem zum Teil sehr steilen Abfahrten des 3-Länder-Enduro oder den Shuttle-Runs in Latsch (oben) auch nie so steil dass ich das Bike je als nervös bezeichnen würde. Ich wage zu bezweifeln, dass viele Fahrer in der Lage sind Veränderungen von +/- 0,5° überhaupt wahrzunehmen, aber meinem Empfinden nach konnte ich Schritte von 1,0° durchaus ausmachen. Der Sprung von -1,5° zu +1,0° den ich zwischen dem Ötztal und dem Vinschgau Trip gemacht habe (merke: der effektive Unterschied an meinem Testbike war nur 1,7°) ist deutlich zu spüren gewesen und hat das Shinning von ziemlich „race- & abfahrtslastiger“ hin zu „universell einsetzbar, aber weiterhin laufruhig“ gemacht, war aber  nie so prägnant, dass ich nicht mit beidem gut zurecht gekommen wäre.

Zusammenfassung: Die US-Marke CANE CREEK ist einer der Begründer moderner Fahrrad-Steuersätze und bietet mit dem technisch raffinierten AngleSet einen modularen Steuersatz-Kit zur Lenkwinkelverstellung an, der es dem interessierten Schrauber erlaubt die Geometrie und das Handling über einen sinnvollen Bereich in 0,5° Schritten nachzujustieren. Durch das notwendige  Tauschen einer Steuersatzschale und die spezielle Montage der ausgleichenden Kugelkopfschalen ist es etwas, das zwar jeder selber machen kann, aber wohl nur wenige wirklich öfter machen werden. Einmal korrekt montiert ist die Funktion in unserem Test ohne jegliche Kritik geblieben. Mit einem empfohlenen VK von 209.- Euro ist der Steuersatz zwar kein „Ich-probier’s-einfach-mal-aus-Kauf“ mehr, aber durch seine vielen Optionen und hohe Qualität ist das CANE CREEK AngleSet dennoch ganz sicher ein sehr interessantes Upgrade und eine echte Alternative zum herkömmlichen Steuersatz für alle echten Geometrie-Nerds.

RIDE ON,
c_g