NORCO Sight Carbon 9.2 – Testfazit: von c_g
(bisher hierzu erschienene Artikel: Offizielle Vorstellung des neuen NORCO Sight Carbon, Testintro Norco Sight C 9.2, Zwischenstand)

Bei manchen Begegnungen braucht es eine zweite Chance ehe es so richtig zwischen deb Beteiligten funkt. Zwischen mir und dem neuen Trail-/All-Mountain 29er NORCO Sight C 9.2 hat es ja anfangs ein wenig gehakt – einzelne Schwächen im Aufbau des Testrades waren daran schuld. Aber als die behoben war, hat das Bike mit seinem Ursprung auf den kanadischen North-Shore Trails mir gezeigt was wirklich in ihm steckt. Und das, was ich da in dem grellgelben Kostüm kennengelernt habe, hat mir in der zweiten Testphase rundum richtig gut gefallen.

Auf den ersten Blick ist das Sight Carbon ein durchdachtes und modernes Trailbike. Der Carbonrahmen (mit Alu-Kettenstreben und –Umlenkwippe) ist ordentlich steif und verfügt über alle modernen Standards, die man sich wünschen kann (konisches Steuerrohr, Boost, PF92 Tretlager, ISCG05, eine durchdachte interne Zugverlegung …). Die Geometrie ist mit einem moderat flachen Lenkwinkel (67°), steilen effektiven Sitzwinkel (74,3°) und dem langen Oberrohr bzw. Reach und verhältnismäßig kurzen Heck absolut zeitgemäß. Die bemerkenswert kurze Kettenstrebenlänge (632 mm bei 130 mm Federweg), welche natürlich bei dem eher durchschnittlichen Klettervermögen im Sitzen eine Rolle spielt, verhilft dem Bike auf der anderen Seite zu einem agileren Handling und unterstützt den Fahrer bei Manuals und langsam gefahrenen Drops.

Die A.R.T-Hinterbaukinematik ist genauso unauffällig wie effektiv, wenn auch ein wenig auf der sportlich direkten Seite. Der Treteffizienz wegen kann man den Dämpfer getrost immer offen fahren. Einzige bergauf und im Sitzen habe ich gerne auf die zuschaltbare Plattformdämpfung am ROCK SHOX Deluxe Dämpfer zurückgegriffen, damit ich in steileren Passagen mit weniger Gewichtsverlagerung fahren konnte. Der Federweg von 130 mm am Heck und 140 mm an der Front ist gleichermaßen universell für normale Trailrides hat aber auch das nötige Potential, wenn es mal gröber wird.

Doch das ist nur der erste Blick auf ein Bike das seine Wurzeln auf den kanadischen North-Shore Trails nicht verbergen kann und will. Soblad man über dne ersten Eindruck hinweg ist und ich mich mehr auf die Feinheiten konzentrieren konnte, wurde noch ein anderer Charakterzug des NORCO Sight deutlich: Die progressiv, moderne Geometrie fügt dem Ganzen nämlich noch einen etwas anderen Akzent hinzu den man anfangs eher ahnt. So macht das Sight Carbon auf normalen Trails bereits eine sehr gute Figur, aber wenn man sich die Zeit lässt unter die universelle Oberfläche zu schauen, erkennt man ein Bike, das den Fahrer immer dazu anspornt nach noch technischeren Trails zu suchen oder den Speed einfach noch ein wenig höher zu setzen. Ganz subtil und ohne, dass dieser Charakterzug aufdringlich wäre, hat NORCO es nämlich geschafft, dass bereits das Sight Richtung Enduro tendiert Und statt in einem derartigen Gelände schnell an Grenzen zu stoßen, macht es dort mindestens genauso viel Spaß wie in gemäßigtem Trail-Gelände. Hier merkt man dann auch recht schnell, weshalb die Federung aus dem Stand eher straffer wirkt – einfach um noch ausreichend Reserven zu haben, wenn man das Bike richtig fordert. Hier kehrt sich dann auch der in den ersten Praxiseindrücken geäußerte Eindruck eines „großen“ Bikes komplett und um … in den eines „sicheren“ und „laufruhigen“ Bikes, das mehr leisten kann, als es sein Federweg suggeriert.

Dazu passt auch der breite 800 mm Riser-Lenker (für meinen Geschmack etwas zu breit aber besser zu lang als zu kurz!) und natürlich auch das bereits erwähnte sehr kurze Steuerrohr (94 mm in Rahmengröße Large). In beiden Fällen zeigt, sich, dass NORCO sich wirklich Gedanken darüber gemacht hat, das Bike sowohl für normale Trailpiloten, wie auch solche, die fast schon Richtung Enduro tendieren zu bedienen.
Gerade das kurze Steuerrohr erlaubt es dem Fahrer ohne weiteres das Cockpit auf maximalen Druck an der Front hin zu trimmen. Mir selber war das bereits deutlich zu aggressiv und frontlastig, weshalb ich den Vorbau schon früh im Test weit nach oben versetzt habe. Fahrer mit einer Vorliebe für eine noch stärker tourenorientierten Sitzposition müssen unter Umständen auf einen Vorbau mit mehr Neigung oder einen Lenker mit mehr Rise umrüsten. Fahrer die bei ihren Bikes darum ringen, die Front niedriger zu bekommen, finden im NORCO Sight ein Bike, welches diesbezüglich kaum Grenzen setzt.
Konzepte wie Gravity Tune, bei dem die Hinterbaulänge mit jeder Rahmengröße mit wächst, oder Size Scaled Tubing, für eine ebenfalls auf die Rahmengröße abgestimmte Steifigkeit zeigen, dass NORCO sich nicht scheut auch hier einen aufwendigeren Weg zu gehen.
Auch wenn es ein einer Federwegsklasse darunter agiert, hat mich das NORCO Sight Carbon 9.2 immer wieder an die Fahreindrücke des GHOST SL AMR X LC9 erinnert, das sich ähnlich sicher fahren ließ ohne dabei an Vielseitigkeit einzubüßen. Ebenfalls ein Verteter dieser neune Sparte von 29er-Fullies, mit den man richtig gas geben kann.

Die übrige Ausstattung des Sight C 9.2 ist sehr gut und stimmig gewählt. Die meisten Dinge wie eine Dropper-Stütze (hier mit 150 mm Absenkung), ein kurzer Vorbau und standfeste Bremsen sind ja heutzutage fast schon gesetzt, aber auch kleinere Details wie die ONE-UP Minikettenführung, die breiten RACE FACE AR Felgen (30 mm Innenweite) oder die interessante Reifenwahl zeigen davon, dass man das Bike nicht nur einfach zusammengewürfelt hat. Reifen sind ja bekanntlich Geschmackssache aber mit der SCHWALBE Kombi aus Magic Mary an der Front und Nobby Nic hinten (beide in 2.35“ Breite und dem TrailStar Compound) hat man sich eine maximale Vielseitigkeit gesichert.

Nur wenn es rutschig und schlammig wird, ist die Kombi etwas inhomogen. Dann neigt der Nobby Nic am Heck gerne zum seitlichen Ausbrechen, während die genial griffige Magic Mary vorne noch sauber führt, aber dafür kann man mit dem Bike auch ordentlich Strecke machen. Ansonsten gab es keine echten Beanstandungen. Hier hat NORCO sich offensichtlich viele Gedanken gemacht und den bestmöglichen Kompromiss herausgesucht, was angesichts des sehr breiten Einsatzspektrums eines Sight wahrlich nicht einfach ist.

Die 1×11 Schaltung von SHIMANO hat im Test sehr gut funktioniert. Mit der 11-46 Kassette, sowie einem 30-Zahn Kettenblatt fehlt es damit zwar ein wenig an wirklich schnellen Gängen, aber dafür kommt man mit dem Bike so ziemlich jeden Anstieg hoch. Die Option gegebenenfalls sogar einen Umwerfer zu montieren erweitert die Möglichkeiten natürlich noch mehr. Die Zugverlegung bleibe auch in der zweiten Testphase absolut klapperfrei.

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Testfazit: Das NORCO Sight Carbon ist erst vor kurzem vorgestellt worden und der erste Versuch der Kanadier ein aggressives 29er Trailbike auf die Räder zu stellen. Nach gut 1 Monat im Testeinsatz kann ich sagen, dass dieses Ziel sehr wohl gelungne ist. Das Sight Carbon 9.2 als mittleres von 3 Modellen und mit einem empfohlenen VK von 4799.- Euro ist ein wahrhaft vielseitiges Trail- bis All-Mountain-Bike, das sich in keinem Bereich echte Schwächen erlaubt.

Ein Bike, das seinem Federweg von 130 bzw. 140 mm entsprechend gut als Trailbike dienen kann, aber bedingt durch die groben Trails an den kanadischen North Shore darüber hinaus auch sehr aggressive und anspruchsvolle Biker zufriedenstellt, die bereits in Richtung Enduro liebäugeln. Auch wenn das NORCO Sight C 9.2 sich zu Testanfang ein paar Schwächen geleistet hat (unsauberer Aufbau des Hinterrades und gerissene Kette), hat es letzten Endes einen wirklich guten Eindruck hinterlassen und mir sehr gut gefallen. Ein 29er Trailbike ganz nach meinem Geschmack!

RIDE ON, c_g