SCHWALBE Procore – Langzeitfazit: von c_g

Ähnlich wie auch bereits MiMü, der das Tube+ von DEANEASY im vergangenen Jahr gefahren ist, war auch ich das erste Mal absolut von den Socken als ich ein Doppelkammersystem gefahren bin. Der Komfort, die Traktion und der Pannenschutz bei gerade mal 0,9 bis 1,2 bar im Reifen ist etwas, das man erlebt haben muss um zu begreifen, was das für den Biker bedeuten kann. Mittlerweile bin ich seit dem Mai 2015, also gut 20 Monate mit Procore unterwegs und habe das System sehr genau kennengelernt – Zeit für ein Langzeitfazit.

 

Ein großer Vorteil von SCHWALBEs Procore ist, dass das System in fast allen Felgen nachzurüsten ist (kein Aufbohren des Ventillochs notwendig wie bei Tube+), deren Innenweite zwischen 24 und 40 mm Breite hat.

Doch die offene Konstruktion der Innenkammer und der Modulare Aufbau aus Einzelteilen haben noch weitere Vorteile. Da wäre die Eigenschaft, dass der Innenreifen die Reifenwulst des Außenreifens aktiv nach außen drückt – fast unabhängig von der Felgenbreite. Damit nimmt Procore dem Tubeless-Aufpumpen des Außenreifens jeden Schrecken. Mit Procore konnte ich jeden Reifen selbst mit der kleinen Rucksack-Minipumpe tubeless aufpumpen, egal ob neu oder alt, stabile oder flexible Seitenwände. Für mich als Tester einer der großen Vorteile von Procore neben der reinen Fahrperformance.

SCHWALBEs Procore wird wie ein Reifen im Reifen montiert. Damit die Luft vom Ventil zum Außenreifen gelangen kann, leitet der rote „Air-Guide“ diese zwischen Innenschlauch und Innereien zu dem kleinen Loch in die Außenkammer.

Mit ca. 250 g Mehrgewicht pro Reifen ist Procore wahrlich kein Leichtgewicht (Tube+ ist mit 170-180 g ebenfalls nur wenig leichter), weswegen so mancher das System allein im Gravity-Sport sieht. Nach nunmehr über 2 Jahren im Einsatz auf diversen Laufrädern und Reifen kann ich für mich sagen, dass ich als Trailbiker das Mehrgewicht selbst in Form rotierender Masse bereitwillig in Kauf nehme für die genannten Vorteile – am Hinterrad sowieso, am Vorderrad eher nur dann wenn es besonders felsig wird.

Doch Procore hat auch ein paar Eigenheiten, die man besser bedenkt ehe man auf das System setzt:

Besonders das kleine Loch am Fuß des speziellen Selector-Ventils hat sich im Praxiseinsatz gerne mit Latex zugesetzt.

Die erste und für mich wichtigste ist, dass das Spezialventil wenn man viel damit arbeitet, viel mit dem Luftdruck variiert, oft neue Reifen montiert usw. sich gerne mal mit Dichtmilch zusetzt. In der gesamten Testphase, die bei mir aufgrund der vielen Montageaktionen natürlich etwas intensiver ausfällt, als bei den meisten anderen Bikern, die nicht alle paar Wochen den Reifen wechseln, sind mir mehrere Ventile trotz fachgerechter Handhabung zugesetzt. Das hat mich insofern verwundert, weil die Dichtmilch ja eigentlich nur ein kleines Loch im Innenreifen zur Verfügung hat um einzudringen und sie zusätzlich durch den Air Guide hindurch muss ehe sie an die kleinen Ventillöcher gelangen kann, aber trotz aller Unwahrscheinlichkeit ist mir das bei mehreren Procore Innenschläuchen so ergangen. Anfangs merkt man das anhand eines deutlich geringeren Luftdurchflusses am Ventil, aber irgendwann, macht dieses komplett zu und erlaub es noch nicht einmal mehr die Luft abzulassen ….
Ein zweiter Punkt, den man mit etwas Sorgfalt vermeiden kann, ist dass der Innenschlauch bei der Montage recht einfach verletzt werden kann. Während wir Mountainbiker hier eher sorglos verfahren, weiß der Roadbiker, das man mit den kleinen Schläuchen und höheren Drücken einfach etwas sorgsamer umgehen muss. Ich weiß nicht wie genau und mach die vielen Reifenmontagen in den letzten 20 Monaten dafür mitverantwortlich, aber in der Zeit habe ich es immerhin an 3 Innenschläuchen geschafft, sie so zu verletzen, dass sie schleichend Luft verloren haben. Doch das merkt man normalerweise erst ein paar Stunden später, bzw. am nächsten Tag … und zwar indem am nächsten Morgen plötzlich 1,8 statt vorher 1,2 bar im Außenreifen sind. Das positive bei Procore ist nämlich, dass die Luft des Innenreifens nicht etwa entwicht und verloren geht, man steht am nächsten Morgen also nicht vor einem Platten, sondern vielmehr, entweicht die auf bis zu 6 bar komprimierte Luft des Innenreifens in die Hauptkammer und erhöht so den Reifendruck. Fahren kann man damit weiterhin, aber wenn ich 1,8 bar im Reifen fahren will, brauche ich kein Procore mehr J.

In der Praxis sind diese beiden Punkte aber wenig kritisch, weil sich die Procore Innenschläuche ja jederzeit nachbestellen lassen und mit 19,90 Euro auch recht erschwinglich sind.

Die Anlagerung von Latz am Innenschlauch ist optisch wenig ansprechend, stellt aber kein funktionelles Problem dar – oben ein Innenreifen nach 20 Monaten im Einsatz und unten ein neuer.

In der langen Testphase konnte ich übrigens sehr wohl feststellen, dass sich Latex an dem Innenreifen anlagert und den etwas schwerer macht. Aber zum einen lässt dieses sich mit etwas Geduld wieder entfernen und zum anderen betrug die zusätzliche Latexmasse im schlimmsten Fall gerade mal 25 g. Wem das deutlich zu viel ist, muss damit rechnen die Innenreifen öfter zu säubern oder gleich zu wechseln.

Pannenstatistik: Bis auf einen einzigen Platten am Gardasee, bei dem ich es lediglich geschafft habe, den Innenschlauch zu zerstören bin ich in bei den Fahrten mit Procore vor jeglichen Pannen und Defekten verschont geblieben. Eine für meinen Geschmack wirklich beachtliche Statistik. Auch in dem einen Fall, hat der Defekt des Innenreifens lediglich dafür gesorgt, dass der Druck sich in den unbeschädigten Außenreifen entladen hat, der schlagartig auf 1,8 bar aufgepumpt wurde. Weil das aber komplett unproblematisch ist, bin ich damit einfach weitergefahren und habe die Tour noch sicher beendet. Den Anspruch eines effektiven Pannen- und Duchschlagschutzes kann ich also komplett bestätigen. Diesbezüglich sind die Doppelkammersysteme einmalig.

Mit Procore bin ich komplett von Reifendefekten verschont geblieben.

Am Ende bleibt weiterhin die größte Pille, die man derzeit als Procore-Nutzer zu schlucken hat: Bis auf SYNTACE, die bei der Entwicklung beteiligt waren, (Update: Auch die junge Komponentenmarke NEWMEN erlaubt die Nutzung von Procore an ihren Felgen mit 30 und 35 mm Maulweite) gibt es weiterhin keinen Felgenhersteller, der die Nutzung des Doppelkammersystems Procore freigibt. Wer also Procore montiert und nutzt, verzichtete auf jede Garantie oder Gewährleistung von Seiten des Herstellers. Als Hautgrund wird vor allem die Dauerhaltbarkeit von Felgen und Laufräder genannt, sowie die Gefahr, dass ein Nutzer in beiden Reifen Maximaldrücke anlegt (also 6 bar im Innenreifen und 4 bar im Außenreifen) und so die Felgen überbelasten würde. Auch hier sprechen meine umfangeichen Praxiserfahrungen ein weniger problematisches Bild eine sachgemäße Nutzung vorausgesetzt. Ich bin Procore auf diversen Felgen gefahren, am meisten aber auf der sehr leichten AMERICAN CLASSIC Wide Lightning, wo ich es seit 2015 fahre, und hatte bisher keinerlei Felgendefekte durch die Zusatzbelastung.

Von au0en erkennt man Procore nur an dem speziellen Ventil und dem blauen Aufkleber … wenn man ihn anbringt.

Was je nach Laufrad spürbar ist, ist eine reduzierte Speichenspannung mit Procore, der man aber mit dem Speichenschlüssel schnell und mit wenig Aufwand entgegen wirken kann. Ich jedenfalls habe keine Bedenken Procore auf meinen eigenen Felgen zu fahren. Weil ich selber lediglich Alufelgen meine Eigen nenne und Carbonfelgen nur immer kurz zum Test hatte, kann ich keinerlei Erfahrungswerte beisteuern, ob es hierbei mehr Probleme gäbe. Die Schwelle damit potentiell eine teure Carbonfelge zu zerstören ist natürlich hier noch mal höher.

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Zusammenfassung
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Auf den Luftdruck kommt es an! Niedrige Reifendrücke sind eine der effektivsten Möglichkeiten sowohl die Sicherheit, wie auch die Fahrperformance am Bike zu optimieren. Genau deswegen erobern die Plusreifen derzeit ja die Herzen so vieler Biker – weil sie Luftdrücke von 0,9 bis 1,2 bar zulassen.
Noch ehe der Plustrend angefangen hat die Bikerherzen höher schlagen zu lassen, hat SCHWALBE mit seinem Doppelkammersystem Procore eine Technologie vorgestellt und zur Serienreife gebracht, welche viele dieser Vorteile mit normalbreiten Reifen zulässt. Auf der Positiv-Seite von Procore stehen ein Komfort und eine Traktion wie sie sonst nur Plusreifen bieten; dazu eine ausgezeichnete Pannensicherheit und Tubeless-Eigenschaften wie man sie sich wünscht. Gleichzeitig bewahrt man aber alle Vorteile der normalebreiten Reifen bei wie etwa das unauffällige Handling (ohne Self-Steering) und die freie Auswahl bei den Reifen.
Auf der Negativseite stehen dafür ein hoher Anschaffungspreis (179,90 für ein Bike), ein nicht weg zu diskutierendes Mehrgewicht (ca. 250 g je 29er Reifen), der Verlust der Herstellergarantie und ein etwas höherer Montageaufwand. Hinzu kommt, dass einzelne Komponenten wie der Procore-Innenschlauch hin und wieder ausgetauscht werden müssen.

Doppelkammersysteme bei MTB-Reifen sind noch sehr jung und keineswegs perfekt – Procore ist aber bereits eine sehr vielversprechende Umsetzung des Konzepts.

Dies alles zeigt: Die Entwicklung von Doppelkammersystemen steckt noch in den Kinderschuhen und auch Procore ist weit davon entfernt perfekt zu sein, aber ich halte das Doppelkammer-System Procore auch weiterhin für eine vielversprechende Entwicklung. Wer sich nicht wirklich mit dem Reifendruck im MTB beschäftigen will, wer schon genug damit zu tun hat, den Luftdruck seiner Reifen wie sie sind kontrollieren oder sich einfach nicht auch noch um zwei zusätzliche Luftkammern im Reifen kümmern will, sollte die Finger davon lassen. Wer allerdings einmal von dem süßen Kuchen der Fahrperformance gekostete hat, den die Doppelkammersysteme bieten, dem wird es schwer fallen wieder mit normalen 1,6 bis 1,8 bar über die Trails zu rumpeln.

RIDE ON,
c_g