Project „New Whip – Plan B+“ – Update: von Grannygear

Nach der Vorstellung des Projektes „New Whip – Plan B+“ bin ich mit dem SPECIALIZED Stumpfjumper FS Carbon Comp 6Fattie recht viel unterwegs gewesen. Wenn es um den MTB-Einsatz geht, habe ich es ganz bewusst mehr gefahren als meine gewohnten 29er – einfach um mich dazu zu zwingen das Plusformat besser zu verstehen. Dabei war ich viel damit beschäftigt darüber nachzudenken, was denn wirklich die Vor- und Nachteile des 6Fattie, bzw. des B+ Formates wären. Auch wenn ich mittlerweile ein paar andere Plusbikes gefahren bin, darunter das SPECIALIZED Fuse, ein INTENSE ACV und eine paar SCOTT Plus-bikes, bin ich weit davon entfernt ein Experte zu dem Thema zu sein. Hier meine aktuellen, aber ganz persönlichen Erfahrungen und Eindrücke hierzu:

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Das Specialized SJ FS Carbon Comp 6 Fattie im Trailainsatz – ein Plusbike wie geschaffen für meine südkalifornischen Trails.

Insgesamt ist und bleibt für mich das Stumpjumper 6Fattie ein exzellentes Allround-Trailbike und ich habe s sehr lieb gewonnen. Hier in Südkalifornien und auf den oft sandigen Trails mit viel loser Auflage ist es eine echte Spaßmaschine und hat mich dazu gebracht wieder mehr auf dem MTB zu sitzen.
Einer der kleinen „inneren Kämpfe“ die ich mit mir führe ist die simple Tatsache, dass das Bike einfach oft etwas zu viel Bike ist für die meisten meiner Ausfahrten. Das liegt daran, dass ein Großteil unserer Touren eben doch sehr lange Auffahrten auf einfachen Forststrassen sind. Andererseits macht es sich auch in dem „Hardtailgelände“ noch recht gut und wenn dann die Abfahrt folgt, freue ich mich jedes Mal darüber doch mit dem 6Fatttie unterwegs zu sein. Selbst längere Straßenanfahrten bis zum Trail sind damit gar nicht so schlimm … und auch hier gilt: Sobald die dicken Reifen den Asphalt verlassen und auf weicherem Untergrund unterwegs sind, sind sie wie ein kleiner Hund, den man zum ersten Mal von der Leine lässt und der sich nun frei austoben kann. Bei keinem anderen Bikeformat ist mir bisher so sehr aufgefallen, wie groß der Unterschied ist zwischen natürlichem Untergrund und Staße/Asphalt wie mit den Plusreifen. Das kann tatsächlich an einem gegenüber 29ern erhöhten Rollwiderstand auf der Straße liegen, oder einfach nur daran, wie sanft sie auch im Gelände rollen. Ich weiß es einfach nicht.

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Das Projekt „Long Legs“ unseres US-Kollgen Grannygear aus dem Jahre 2011/12.

In manchen Aspekten erinnert mich das 6Fattie an mein Projekt „Long Leg 29er“, ein Stumpjumper 29er mit einer 140 mm Gabel und 135 mm am Heck mit 2,3er Reifen, das ich in 2011 aufgebaut habe. Mit seinen knapp über 14 kg ist es nahe am 6Fattie dran und gerade wenn es bergauf geht, sind beide Bikes klar mit einer hohen Trittfrequenz und weniger Kraft besser zu fahren. Allerdings finde ich, dass das 6Fattie sich leichter beschleunigen lässt, obwohl die Laufräder an sich schwerer sind.

Solange die Trails sich eher sanft und schnell bergauf dahin ziehen, merke ich, dass ich mich mit dem 6Fattie mehr anstrengen muss. Gerade weil ich seit Jahren die gleichen Wege und Strassen mit den gleichen Leuten fahre, und die entweder genauso stark sind oder sogar schwächer wie ich, merke ich das sehr deutlich. Wenn wir uns wirklich gegenseitig pushen, muss ich mich mit dem Plusbike wirklich mehr anstrengen. Wen wir alle aber nur 75-80% unserer Leistung abrufen, als eher tourenmäßig unterwegs sind, ist das Gefühl wieder komplett weg und ich kann sehr entspannt mit den anderen mitfahren.
Sobald die Trails aber etwas gröber werden, bergauf wie bergab, dreht sich das Blatt und ich habe mit dem 6Fattie nicht nur mehr Spaß. Ich bin ich auch deutlich schneller und entspannter unterwegs wie meine 29er Kollegen auf ihren Bikes. Je gröber und technischer das Gelände wird, desto mehr zeigen die Plusreifen, was wirklich in ihnen steckt.

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Ich habe mich noch nie auf einem Bike so sicher gefühlt wie auf dem 6Fattie. Ein Eindruck zu dem die Plusreifen definitiv ihren Beitrag leisten.

Eine andere Sache, die mir aufgefallen ist, die aber weniger mit dem Plusformat, als vielmehr mit dem Federungs-Tune zusammenhängt , ist, wie die Federung gerade im mittleren Federwegsbereich zu schnell zu viel Federweg freigibt. Bei dem durch SPECIALIZEDs Autosag vorgegeben Drück im Dämpfer sackt mir das Bike bergauf wirklich zu tief ein, weswegen ich von vornherein immer ein bis zwei bar mehr gefahren bin. Vielleicht hilft es wenn ich das Heck noch ein wenig straffer fahre. Mal sehen.
In dem Atemzug komme ich auch nicht darum herum meinen bisher größten Kritikpunkt am SPECIALIZED Stumpjumper FS 6 Fattie zu nennen: Die viel zu niedrige Tretlagerhöhe! Wie beschrieben, fahre ich bereits mit weniger Sag im Dämpfer als vorgegeben, achte sehr auf mein Timing beim Kurbeln und trotzdem habe ich mit dem 6Fattie ungleich viel mehr Bodenkontakt wie mit jedem anderen Bike vorher .. und wenn man online ein wenig schaut, bin ich damit wohl nicht der einzige. Ich verstehe ja, dass ein niedriges Tretlager die Fahrstabilität erhöht und Sicherheit spendet, aber hier ist SPECIALIZED für meinen Geschmack einen großen Schritt zu weit gegangen. Bei diesem Bike denke ich zum ersten Mal ernsthaft darüber nach eine kürzere Kurbel zu fahren, nur um in schrägen Trails nicht so oft aufzusetzen. Außerdem empfinde ich das 6Fattie bereits als ein wenig zu laufruhig. Mit einem um 5 bis 10 mm höheren Tretlager, wäre nicht nur das Thema der Bodenkontakte behoben, sondern das Bike zugleich auch ein wenig agiler. Der Fairness halber muss ich aber auch erwähnen, dass die nicht nur ein Problem der SPECIALIZED Plusbikes ist. Von TREK Besitzern hört und liest man das gleiche und auch andere Marken scheinen hier noch etwas nachbessern zu müssen.
All diese Kritikpunkte zeigen zwar, dass das SPECIALIZED Stumpjumper 6Fattie nicht perfekt ist – welches Bike ist das schon in letzter Instanz? – aber ich habe damit dennoch so viel Spaß auf den Trails, das ich es aktuell gegen kein anderes Bike eintauschen würde – außer vielleicht einem S-Works 6Fattie, weil das eben noch ein wenig leichter wäre.

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Was die Ausstattung und Komponenten angeht, gab es bisher keinerlei Probleme. Die SRAM Guide Bremsen sind erstklassig – standfest und absolut lautlos, selbst wenn sie heiß oder nass sind. Mittlerweile habe ich das 28er Kettenblatt mehr als nur lieb gewonnen. Vor allem bergauf war es schon oft meine Rettung und hat mir auf langen Fahrten oft erspart schieben zu müssen. Bergab oder in der Ebene mit Rückenwind dagegen ist 28×10 nicht mehr ganz so ideal und ich habe mir doch hin und wieder wenigstens noch einen noch schnelleren Gang gewünscht. Mit einer SRAM Eagle Gruppe wäre es wohl absolut perfekt.
Die Entscheidung die 3.0 Reifen auf einer schmäleren Felge (30 mm Innenweite) zu fahren, habe ich bisher nicht bereut. Die ROVAL Carbon Fatty Laufräder sind definitiv steif genug für mich und mit Drücken um 1,15 bar vorne wie hinten gab es bisher auch keinerlei Defekte. Zugegeben, der Komfort und die Traktion ließen sich mit noch niedrigeren Drücken noch ein wenig steigern, aber dafür sind die Felgen dann doch wieder zu schmal. Ab ca. 1 bar habe ich begonnen die Lenkung in Kurven als zu indirekt zu empfunden und bin deswegen bisher nie niedriger gegangen. Außerdem habe ich schon mehrfach beobachtete, wie die Kombination aus noch breiteren Felgen und niedrigeren Drücken dann doch wieder das von mir verhasste Self-Steering hervorbringt und das geht bei mir überhaut nicht. Wenn die Reifen je ausbrechen, tun sie das auf eine sehr kontrollierte und berechenbare Art und Weise. Manchmal provoziere ich es auch absichtlich, weil es einfach Spaß macht, das Bike um enge Kurven zu driften.
Auch mit der ROCK SHOX Yari Federgabel bin ich sehr zufrieden. Während sie nicht ganz die Sensibilität einer Pike hat, gleichen das die Plusreifen locker wieder aus und so passt die Kombi sehr gut.
Was das Handling angeht, merkt man dem SJ 6Fattie an, dass es ein großes Bike ist, aber es gab bisher noch keine Situation, in der mich das gestört hätte. Bisher bin ich noch um jede Spitzkehre gut rumgekommen :-). Der breite RACE FACE Lenker (780 mm) und der kurze Vorbau tragen ihren Teil zu dem sehr sicheren und doch flinken Handling bei. Was mir aufgefallen ist, ist, dass sich meine Fahrweise in Kurven geändert hat. Ich fahre sie mit dem 6Fattie viel weiter an. Warum? Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, dass es eine intuitive Reaktion darauf ist, dass sich die Reifen einfach nicht ganz so präzise anfühlen, wie die eines 29ers.

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Zusammenfassende Gedanken zu 27,5+ auf Trailbikes: „Plusbike machen alles zu einfach, sind nur was für Anfänger ohne Fahrtechnik, lassen einen vergessen wie man richtig Rad fährt, sind zu langsam ….“  Die Liste der Vorurteile ist scheinbar endlos. Nach gut ½ Jahr auf Plusbike erlaube ich mir hier eine Meinung:
Es ist, wahr: Plusreifen machen vieles einfacher! Aber was ist daran falsch? In meiner Definition bedeutet „einfacher“ in einer beliebigen Situation sicherer und mit mehr Komfort und Reserven unterwegs zu sein.  Genau das gleiche tun auch Scheibenbremsen und eine gut funktionierende Federung, oder eine Dropper-Stütze. Für mich ist das Plusformat nur ein weiterer technologischer Schritt nach vorne. Alles die oben genannten Technologien, helfen auch aggressiven und erfahrenen Bikern noch aggressiver und noch schneller unterwegs zu sein, aber bei Plusformaten macht man plötzlich einen Schnitt und sagt, sie helfen nur den unerfahrenen Anfängern. Warum eigentlich? Wenn etwas einfacher wird, hilft das doch nicht nur denen, die vorher schon am Limit waren, sondern auch denen, die sich (und ihr Material) vorher bewusst ans Limit gebracht haben. Oder sehe ich das falsch?

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Aus meiner üblichen Trailcrew sind es bereits mehr als die Hälfte, die auf Plusbikes gewedelt haben – zwei vor der Linse und ich.

Ich selber werde älter und solange der Trend anhält (wenn er je aufhören sollte, lasse ich es euch wissen ;-)) und ganz ehrlich, obwohl ich ein guter und erfahrener Trailbiker bin, machen mir Plusbikes einfach Spaß. Ich muss nicht unbedingt am Limit fahren um Spaß zu haben, aber mit der Fahrtechnik, die ich habe, kann ich mein 6Fattie einfach noch ein wenig mehr rannehmen, noch schneller fahren und muss dabei trotzdem keine allzu großen Risiken eingehen. Für mich ist daran nichts Verwerfliches zu sehen. Ich halte es eher für eine Art Machotum, alleine deswegen das Plusformat abzutun, weil es Sachen einfacher macht. Das ist keineswegs ein Urteil über Biker denen Plus einfach nicht liegt, aber Plusbikes deswegen pauschal zu verurteilen, halte ich für zu simpel gedacht.
Zugegeben, gegenüber meinen geliebten und gewohnten 29ern, vermisse ich manchmal das direktere und scheinbar schnellere Fahrgefühl und das präziserer Kurvenverhalten. Irgendwie fühlt sich das Plusbike immer ein bisschen so an, als möchte es die Spur nicht so ganz präzise halten und sich selber seinen Weg suchen, aber das ist viel mehr eine Wahrnehmung als Realität. Andererseits fühle ich mich jedes Mal, wenn ich auf einem 29er die selben Trails fahre, fast schon ein wenig unsicher, als wäre der Trail auf einmal schwieriger geworden …. Gleiches Bike, gleicher Fahrer nur andere Laufräder und doch ein anderes Fahrerlebnis. Ob man mit Plusbikes ein wenig der Reflexe und Techniken en verlernt, die man vorher hatte und brauchte? Vielleicht ja, aber ich bin mir nicht sicher.
Einen anderen Effekt, den ich mit meinem Plusbike erlebe, möchte ich auch noch ansprechen: Das Lust darauf Trails wieder zu fahren, die man vorher als grenzwertig oder „hardcore“ erlebt hat um zu sehen wie sie sich jetzt fahren.“ Seit ich das 6Fattie fahre, bin ich ständig dabei neue Ideen zu haben und neue Road-Trips zu planen: Burro Down in Moab, Art Smith Trail bei Palm Desert, Trail 401 & Blue Diamond in Nevada, Highline und Hangover in Sedona, Arizona …..

Gedenken zur zukünftigen Entwicklung: Je tiefer ich mit Plusbikes beschäftige, desto klarer sehe ich bereits den nächsten Schritt, der die bisher schwer vereinbaren Formate wieder zusammenbringt: Eine 2,6er Reifenbreite! 15-speci-sj-6fattieWie sich jetzt schon der Trend weg von 3.0“ hin zu 2,8er Plusreifen durchsetzt, denke ich dass der nächste logische Schritt dann ein 2,6er Reifen sein wird. Ich glaube fest daran, dass viele der Negativaspekte der aktuellen Plusformate (Self-Steering, unpräzise Lenkung und empfindliche Seitenwände, …) sich mit der neuen Zwischengröße beheben ließen und zugleich viele der positiven Attribute (Traktion, Komfort und Sicherheit) weitgehend beibehalten ließen. Ich glaube nicht, dass ein 2,6er noch ein Plusreifen ist. Ich glaube, dass er einfach ur noch ein richtig großer Reifen sein wird, aber das macht ihn deswegen nicht unbedingt schlechter. Außerdem stellt sich dann die Frage, warum nur 27,5×2,6 und nicht gleich 29,2,6“?
Leider hatte ich bisher noch keinerlei Gelegenheit einen solchen Reifen selbe zu fahren, weshalb ich sehr auf die ersten Eindrücke von c_g gespannt bin, die er derzeit schon mit den SCHWALBE Nobby Nic 2,6er Reifen machen darf.

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