NICOLAI Helius TB – Zwischenstand: von c_g

Mit den Jahren als Biketester und den zahlreichen Bikes, die man fahren darf, läuft man Gefahr manchmal ein Bike schon vor dem Test in eine Schublade zu stecken. Ich versuche so etwas möglichst nicht zu tun, aber das NICOLAI Helius TB (hier vorgestellt) hat mich in diesem Test sozusagen „in flagranti“ erwischt. Die Fakten – 29er Laufräder, 120 mm Federweg, gemäßigte Geometrie und dann auch noch der Name TB für „Trailbike“ – sagen doch eigentlich schon alles, oder?

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Doch schon auf der ersten Trailrunde wurde mir klar, dass das TB ein Bike mit „Persönlichkeit“ war. Das NICOLAI Helius TB ist ein Bike, das sich bisherigen Konventionen entzieht und es hat etwas gedauert  bis ich es „verstanden“ hatte. Geht man an das TB naämlich mit dem klassischen Verständnis eines 120 mm Allround-Fullies heran, ist es nicht wirklich stimmig. Doch wenn man das erstmal als NICOLAI Helius TB als ein Short Travel Enduro versteht macht es plötzlich 100 % Sinn und unter dem richtigen Fahrer auch unglaublich viel Spaß!

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Doch der Reihe nach:

1, Anfangs hatte ich noch das Leitbild eines Allrounders wenn ich das NICOLAI Helius TB gefahren bin. Während die zentrale und sehr angenehme Sitzposition noch ganz „normal“ ausfällt, fällt man schon mit der ersten Lenkbewegung auf, dass das Helius TB vom Handling kein gutmütig tourenlastiges Bike, sondern ein quirlig, sehr verspieltes. So passierte es mir auf den ersten Ausritten regelmäßig, dass ich in gewundenen Trails regelrecht gegensteuern musste um die Kurven nicht zu eng zu nehmen. Hier reicht es fast schon an eine Kurve zu denken um das TB einlenken zu lassen!
Im Gegenzug dazu entwickelt der eher lange Radstand auf schnellen Passagen eine ausgesprochenen Laufruhe, die ihm dort extrem viel Sicherheit verleihen.

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Diesen scheinbaren Widerspruch habe ich in einem ersten Versuch mit einem längeren (75 mm) Vorbau versucht aufzulösen um das TB mehr Richtung Tourenfully zu trimmen.

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Die Maßnahme hat die Lenkung auch spürbar beruhigt und dem TB etwas mehr Langstreckenenffizienz entlockt, hat zu meiner Überraschung das TB aber nicht etwa stimmiger, gemacht sondern es fast schon langweilig wirken lassen. Also bin ich wieder zurück zu dem Original 50 mm Vorbau gegangen und bin das Bike weiter gefahren .. auf der Suche nach seiner „Persönlichkeit“.

Noch verwirrender unter der klassischen Definition eines Allroundfullies fand die ausgesprochen straffe Federungscharakteristik. Wenn der Dämpfer mit einem Sag von 25-30% eingestellt ist, fährt sich das TB ungewöhnlich direkt für ein 120 mm Fully. Erst mit einem sehr hohen Sag ab 35% erreichte ich eine gewohnte Sensibilität, die aber dann auch mit zu schnellem Durchschlagen gekoppelt kam. Ich habe recht viel mit dem Dämpfer herumprobiert um das optimale Federungsverhalten herauszubekommen und es eigentlich nie gefunden. Auf Anfrage bei NICOLAI nach der Dämpfercharakteristik sagte man mir, dass es ein spezieller Tune wäre, der in Standarddämpfern nicht zu finden sei.

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Die Klettereigenschaften des TB sind übrigens  sehr gut. Durch den straffen und kanppen Federweg am Viergelenker gibt es kaum Pedaleinflüsse, das Heck sinkt bergauf kaum ein und kann damit fast durchweg offen gefahren werden. In maximal steilen Passagen brauchtman zwar ein wenig Gewichtsverlagerung, aber dafür kann man beim Helius TB getroste aus dem Sattel gehen und im Wiegetritt fahren, weil hier einfach nichts störend wippt.

Was die Lenkpräzision und Rahmensteifigkeit angeht, spielt das Helius TB ebenfalls in der Spitzenklasse mit – hier wird jeder Lenk- und Tretimpuls unmittelbar und direkt übertragen.

Hmmmm, was das wohl zu bedeuten hat? Ist das NICOLAI Helius TB doch ein verkappter Allrounder?

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2, Die Short-Travel-Enduro-Erkenntnis:

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Dann kam dieser eine Ride auf dem ich mit lauter 160+ Fullies unterwegs war und befürchtete bergab kaum mit ihnen mithalten zu können, doch statt dessen fand ich das Helius TB plötzlich in seinem Element.  Ja, die straffe Federung fordert ein wenig mehr Finesse im groben Gelände, macht dies aber durch seine super verspielte Lenkung und maximale Lenkpräzision wieder wett. Auf diesem Ride haben sich dann alle Eigenschaften des TB wie bei einem Puzzle zusammengefügt:
–> Ein Bike ergeben das einfach nur sehr aggressive auf wilden Trail gefahren werden will. Der kurze, straffe Federweg fordert eine etwas aktive Fahrweise, die aber haargenau zu der agilen Lenkung passt. Außerdem bietet die straffe Abstimmung massive Reserven für genau diese sehr aggressive Fahrweise, die das Helius TB so liebt.

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Die Dropper Post mit 150 mm Hub und die ERGON Endurokomponenten (SME3 Sattel und Griffe) passen da perfekt in das Bild des  aggressive Short Travel Trailbikes.

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Allerdings sind in der ersten Testphase auch ein Kritikpunkte aufgetaucht: Die ungewöhnliche Form des unteren Yoke, welche die seitliche Reifenfreiheit der Kettenstreben einschränkt – beim Helius TB befindet sich die engste Stelle der Kettenstrebe ausgerechnet an der weitesten Stelle des Reifens!
Hier ein Kommentar von NICOLAI dazu:  „Die sogenannte „Stimmgabel“, also die Ausbuchtung für den Reifen, wurde nicht länger gezogen, weil das stark die Hinterbausteifigkeit reduzieren würde. Die Stimmgabel ist nicht komplett weiter nach Hinten gerückt, weil dadurch besonders hoch bauende Reifen, wie der Trailking oder der Hans Dampf zu wenig Freiheit nach vorne hätten.  Da sich klebriger Schlamm eher an den Stollen, als an der Reifenflanke sammelt, ist dort auch am meisten Spielraum. Dass der Reifen mit der Flanke an der Schwinge schleift, kommt selbst bei hohen Kurvengeschwindigkeiten sehr selten vor.“
Um das in der Praxis zu überprüfen, habe ich beim Helius auch meinen anderen 1×11 Laufradsatz mit der breiten AC Wide Lightning Felge und dem HUTCHINSON Squale montiert und herausgefunden, dass die Reifenfreiheit in der Tat auch dort gut genug ist. Die Wide Lightning mit dem WTB Vigilante geht aber beislpielsweise scho nicht mehr. Etwas mehr seitlicher Raum zwischen Reifen und Kettenstreben wäre mir also angesichts des Einsatzbereiches des NICOLAI Helius TB schon lieber gewesen!

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Zwischenfazit: Soweit zum Zwischenbericht des NICOLAI Helius TB – einem Bike mit einer kantigen Persönlichkeit und einem eher speziellen bevorzugten Einsatzbereich. Das NICOLAI Helius TB ist nach meinen bisherigen Empfinden kein „Allerwelts-Trailbike“, das ich jedem emfehlen würde, sondern eines das vom Fahrer eine gute Fahrtechnik und ein gewisses Maß an Engagement verlangt, dann aber mit seiner Short-Travel-Trailperformance unglaublich viel Laune macht. Mal sehen wie sich das im weiteren Testverlauf ausspielt. Nachdem ich endlich das leise Flüstern nach aggressiverem Gelände gehört habe, weiß ich in welcher Richtung ich suchen muss.
Das NICOLAI Helius TB ist zweifelsohne ein spannendes Bike dem ich mich in de kommenden Wochen noch weiter widmen werde. Bis bald zum Testfazit.

RIDE ON,
c_g

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Ps: Auch wenn die Bilder einen das fast glauben machen – die unglaublich grelle  Lackierung ist keine flouroszierende Glow-In-The-Dark-Farbe – auch wenn es in den Fotos oft so aussieht :-).